Katrin Fölck - Verkettet

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Das letzte Lebenszeichen von meiner Schwester erhielt ich vor drei Monaten.
Aus Kuba, wo sie mit ihrem Geliebten leben wollte.
Und nun bin ich in dieses ferne Land gereist, um sie zu finden.
Doch so einfach ist das nicht, denn angeblich weiß niemand etwas zu ihrem Verbleib.
Als ich anfange, Fragen nach ihr zu stellen, geschehen seltsame Dinge.
Wem bin ich zu nahe getreten? Wer will, dass ich verschwinde?
Und welche Rolle spielt der geheimnisvolle Junge mit dem Strohhut?

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Katrin Fölck

Verkettet

Imprint:

Verkettet

Copyright: © 2014 Katrin Fölck

Published by: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

ISBN: 978-3-8442-8511-6

Titelbild © Kalpis/Fotolia

1

Nie im Traum hätte ich daran gedacht, jemals in meinem Leben nach Kuba zu reisen.

Doch nun bin ich nach Havanna gekommen, um nach meiner Schwester zu suchen.

Und, um sie zu finden.

Tot oder lebendig.

Denn hier verläuft sich ihre Spur. Ihre letzte.

Seitdem gibt es kein Lebenszeichen mehr von ihr.

Kein Anruf, keine Karte, nichts.

Keiner weiß, was mit ihr passiert ist

Sie ist verschwunden. Einfach so.

Das ist nunmehr ein viertel Jahr her.

Der einzige Anhaltspunkt, den ich habe, ist, dass sie im gleichen Hotel, in dem auch ich jetzt abgestiegen bin, Urlaub machte.

Und die Hoffnung, dass sich jemand an sie erinnert.

Aber ob das nach dieser langen Zeit überhaupt realistisch ist?

Ich habe ein Foto von ihr, das sie und ihren Geliebten zeigt.

Hier in Havanna. Irgendwo am Strand.

Lächelnd.

Glücklich verliebt.

Und seinen Namen: Carlos Gonzales.

Das ist alles, was ich habe.

Keine besonders gute Ausgangsbasis, um einen nahen Menschen in einem fernen und fremden Land zu finden. Aber immerhin etwas.

-----

Ich stehe auf der Balkonbrüstung und schaue hinaus aufs Meer.

Der Ausblick ist einfach wundervoll.

Weißer Sand und blaue Wellen, soweit das Auge reicht.

Zwei junge Männer kämpfen sich mühsam mit einem zum Verkaufsstand für Souvenirs umgebauten und mit den verschiedenartigsten Dingen bepacktem und behangenem Fahrrad durch den Sand.

Aller paar Meter bleiben sie, der Anstrengung wegen, sichtlich geschafft stehen, um sich den Schweiß vom Gesicht abzuwischen und kurz auszuruhen, bevor sie es weiter vorwärts durch den Sand schieben.

Ich schüttele den Kopf hinsichtlich dieses seltsamen und fremden Anblicks. Wie einfallsreich doch die Leute sind, wenn sie nichts haben und Geld verdienen müssen…

Ich werde zart von einer Brise gestreichelt. Sie fächelt mir angenehm Luft zu. So kann mir die Gluthitze des Tages nichts anhaben.

Andererseits kann ich jederzeit wieder in mein Hotelzimmer zurückkehren, das zwar keine Klimaanlage hat, aber dafür einen großen Deckenventilator, der für Luftverwirbelungen sorgt, um den Aufenthalt im Inneren angenehmer zu machen.

Und dann sind ja da noch die eisgekühlten Getränke, die die innere Temperatur etwas abkühlen.

Ich weiß nicht, wie lange ich schon dastehe und einfach nur vor mich hin starre.

Ab und an fährt mir der Wind etwas stürmischer in die Haare, und es scheint fast so, als ob er mit ihnen spielt.

Der Anblick des Wassers ist wunderbar beruhigend.

Doch wahre Ruhe würde ich erst finden können, wenn ich weiß, wo meine Schwester verblieben ist…

2

Dieses Land hat mich seltsamerweise sofort in seinen Bann gezogen. Ich weiß nicht genau, was seine Faszination ausmacht.

Vielleicht ist es auch nur die Andersartigkeit oder das Exotische, Geheimnisvolle.

Doch wiederum hat dieses Land etwas.

Etwas ganz Eigenes. Besonderes.

Man kann es spüren.

Und man kann es jedem seiner Bewohner ansehen.

Den Stolz und eine seltsame Unerschütterlichkeit, ein In-sich-selbst-ruhen, eine Art Urvertrauen, welches sie in ihrem Inneren bewahren wie einen Schatz.

Ihr gemeinsames Bewusstsein nämlich, ihre gemeinsame Geschichte, ihr Wissen um ihre Revolution.

Und trotz der Unabänderlichkeit ihrer Lebenslage, ihrer Armut, trotz aller Unzulänglichkeiten und Missstände im Kampf um die Lösung ihrer alltäglichen Probleme strahlen sie Lebensfreude aus und nicht Resignation.

Das ist wahrlich erstaunlich.

Und mittlerweile verstehe ich auch, wie meine Schwester sich in dieses Land verlieben konnte. Und in einen Mann dieses Landes.

Nur mit der Hitze kann ich mich nicht anfreunden.

Ich kann nicht verstehen, dass Menschen der Sonne und des warmen Wetters wegen Deutschland den Rücken kehren und lieber auf eine Insel ziehen.

Hitze macht mich aggressiv.

Ich mag lieber das gemäßigte Klima, wie ich es gewohnt bin, und die vier Jahreszeiten.

-----

Dass hier die Zeit anders geht, sieht man an jeder Straßenecke.

Das zeigt sich an der jungen Frau, die auf einem Hocker neben ihren zwei Holzkisten sitzt und mit stoischer Ausdauer auf einen Käufer für ihre Orangen wartet.

Oder an dem alten Mann im karierten Hemd, der Tag für Tag auf der Stufe vor der Haustür seines Hauses der geruhsamen Langsamkeit zusieht und dennoch am Leben teilnimmt.

Ich kann nicht sagen, wer älter ist, der Mann oder das Haus, an der die Fassade bröckelt. Das hatte seine besten Jahre auch schon lange hinter sich.

Das haben sie wohl beide gemeinsam.

Als ich an dem Alten vorbeigehe, nicke ich ihm zum Gruß zu.

Sein Gesicht ist faltig und von der Sonne gegerbt.

Ob er sich an mich erinnert, weiß ich nicht.

Vielleicht bin ich ihm dennoch aufgefallen, da ich bereits den dritten Tag infolge dieselbe Straße entlanggehe.

Die Vermutung liegt nahe, denn er lächelt mich an und gewährt mir einen Blick auf seinen zahnlosen Kiefer, während er mir noch hinterher winkt.

Dann sind da noch die Herren älteren Semesters, die ganz zwanglos ihre Holzstühle an den Straßenrand stellen und sich mit ihren Instrumenten spontan zusammenfinden und die Straße zu ihrem Konzertsaal machen. Auch das ist hier Normalität. Oder der spontane Plausch von einem Balkon hinüber zum anderen. Das Knallen der Spielsteine, das man schon durch die Gassen hallen hört, bevor man überhaupt erst die dazu gehörigen Dominospieler sieht.

Und nicht zu vergessen, die dicken Zigarren. Das Selbstverständlichste überhaupt, sogar im Mund alter Frauen.

Das ist Kuba pur.

-----

Dass hier die Zeit langsamer geht, weiß ich bereits.

Darauf hat mich ein Bekannter, der schon in Jamaika war, hingewiesen. Dort ist es ähnlich lässig. Oder besser gesagt: gelassener.

No problem…

Und hier heißt es eben: Manana.

-----

Ja, und manchmal scheint hier die Zeit sogar ganz stehen geblieben zu sein. Das kann man an den alten US-Fregatten, die immer noch das Straßenbild beherrschen, sehen. Man fühlt sich förmlich in die dreißiger oder fünfziger Jahre zurückversetzt.

Hingebungsvoll oder doch nur aus Gründen des Unvermögens und der jahrelangen Misswirtschaft wegen, immer und immer wieder repariert, aufgehübscht und auf Hochglanz poliert, erinnern sie an den Charme vergangener Jahre. An bessere Zeiten.

Und man sieht es den wunderschönen alten Häusern im Kolonialstil an.

Früher der ganze Stolz dieser alten Dame Havanna, nun hoffnungs- und würdelos dem ständigen Verfall preisgegeben.

Der Putz bröcklig.

Die Farbe verwaschen.

Das Metall der Geländer und Zäune rostig.

Die Balkone nur zum Teil noch nutzbar oder mit Wäsche behangen…

Die Bewohner, so scheint es, haben sich in ihr Schicksal gefügt.

Warum etwas ändern, was unabänderlich scheint?

3

Wie ich schon vermutet habe, kann sich vom Hotelpersonal niemand wirklich an meine Schwester erinnern, außer dem Zimmermädchen.

Aber dieses weiß auch nur zu berichten, dass meine Schwester früher als geplant ausgecheckt hat und zu ihrem Freund ziehen wollte.

Von dieser Seite kann ich also nicht weiter auf Hilfe hoffen.

Bleibt nur, Carlos Gonzales zu finden. Den Geliebten meiner Schwester.

Zum Glück habe ich außer seinem auch den Namen der Straße, in der sich das Haus befindet, in dem er wohnt.

Die Anschrift stand auf dem Briefkuvert, übrigens dem letzten, das meine Schwester geschickt hat.

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