Seine Haare trägt er als Rastas, im Nacken zusammengebunden.
Er sieht aus wie ein Pirat, denke ich, fehlt nur noch der Ohrring.
Doch als er mir seine andere Seite zudreht, sehe ich, wie etwas an seinem Ohr blitzt.
Ich mache erste Anstalten, mich zu erheben.
Er hilft mir hoch.
„Danke, geht schon.“, stammle ich.
Er lässt von mir ab.
Ich bezahle meine Rechnung, jedoch nicht, ohne ihm einen Drink seiner Wahl zu spendieren, damit er nicht ganz leer ausgeht, denke ich und grinse in mich hinein.
Doch das vergeht mir schneller als gedacht.
Zurück auf der Straße wird es nicht einfacher für mich.
Die Sonne blendet.
Ich muss mich kurz an einer der Häuserwände anlehnen. Ich schwanke mehr, als dass man es Laufen nennen könnte.
Wie ich es zum Hotel schaffe, weiß ich letztendlich nicht wirklich.
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In der Nacht träume ich schlecht. Von meiner Schwester.
Ich weiß nicht, ob es der Rausch ist. Oder aber der Wunsch, mit ihr zusammen zu sein, weil ich sie so sehr vermisse.
Als ich am nächsten Morgen aufwache, schwöre ich mir, nie wieder Alkohol zu trinken.
Ich habe mörderische Kopfschmerzen.
Erst nach einem wunderbar reichhaltigen Frühstück und einer Schmerztablette geht es mir wieder besser.
An den Strand möchte ich nicht gehen.
Die Sonne würde mir heute nicht gut tun.
Also mache ich mich auf, mir die Stadt anzusehen.
Das alte Stadtviertel von Havanna.
Ich habe die Wahl zwischen den Oldtimer- oder den Mopedtaxen, den Cocos.
Diese passen so gar nicht in das Stadtbild.
Es scheint eher so, als hätte sie jemand aus der Zukunft in die Vergangenheit gebeamt.
Sie stechen nicht nur sofort wegen ihrer knallgelben Farbe, sondern auch ihrer seltsamen Form wegen heraus. Eben wie Kokosnüsse, irgendwie. Oder, wenn ich sie beschreiben müsste, dann als fahrbare Integralhelme auf drei Rädern.
Ich habe so etwas nie zuvor gesehen.
Mit einem von denen zu fahren, müsste doch ungemein mehr Spaß machen, als mit den alten „Schlachtschiffen der Straße“.
Ich habe mich längst entschieden.
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Ein Straßenbild gleicht dem anderen.
Der Belag löchrig. Die Häuserschluchten alt, renovierungsbedürftig, marode.
Die alte Dame zeigt ihre Unzulänglichkeiten ganz offen: abgeblätterte Farbe, kaputter Putz, Rost an jeder Ecke.
Und immer wieder Menschen, die unendlich Zeit zu haben scheinen oder auf irgendetwas warten.
Die alten Ami-Straßenkreuzer, Lastkraftwagen, Busse, Kinder mit Fahrrädern, Straßenmusikanten, Dominospieler, Frauen und Männer mit Zigarre, Hunde. Die zum Trocknen aufgehängte Wäsche an den Balkonen, Souvenirläden.
Und dennoch liegt über allem etwas Faszinierendes: Dieser ganz besondere Charme, den man nur hier findet.
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Ich lasse mich zum Capitolio bringen.
Dem Wahrzeichen Havannas.
Diesem, gleich dem Kapitol in Washington D.C., im Stil des Klassizismus dem Petersdom in Rom nachempfunden, wird für die nächsten Stunden meine Aufmerksamkeit gelten. Wenn ich nun schon einmal in Havanna bin, sollte ich mir schon diese Sehenswürdigkeit ansehen, finde ich.
Ich habe Glück und werde nicht sofort, wie die anderen Touristen, auf dem Prado, der Treffpunkt der Busse, Oldtimertaxen und Cocos ist, von einer Traube Kindern und Erwachsener umringt und bedrängt.
Aus einigen Metern Abstand verfolge ich das Schauspiel und beobachte, wie Dinge wie Kugelschreiber, Kosmetikprodukte und andere Kleinigkeiten den Besitzer wechseln.
Dass die Leute diese Dinge nicht für sich persönlich wollen, sondern damit ihren Lebensunterhalt aufbessern, indem sie die Sachen weiterverkaufen, ist hier nichts Anstößiges. Schließlich musste jeder sehen, wo er bleibt.
Letztendlich werde auch ich umringt, als ich am späten Nachmittag von meiner Besichtigung aus dem Gran Teatro komme. Vorsorglich habe ich Dinge wie Kugelschreiber, eine größere Mengen an Proben in Form von Cremes, Shampoos und Duschgels, Zahncreme, Parfüm sowie kleine Tütchen Haribo und Mambo eingesteckt, die ich jetzt weiterreiche.
Ich gehe an einem Verkaufsstand vorbei, der nur aus einem einfachen Holztisch besteht und auf dem drei Bananenstauden ausgebreitet sind. Wieder wird mir bewusst, dass auch dies ein Zeichen von Armut ist und von Improvision.
An einem Souvenirladen bleibe ich stehen und besehe mir das Angebot: Panamahüte, Trommeln, Sonnenbrillen, Rasseln, Ketten, Autokennzeichen, Poster und Bilder von Ernesto „Che“ Guevara und Fidel Castro, Fahnen, Puppen.
Ich gehe weiter, ohne etwas gekauft zu haben.
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Es ist inzwischen früher Abend geworden.
Ich schlendere durch die engen Gassen und setze mich in die Bar „El Floridita“, wo einst schon Ernest Hemingway gerne einkehrte.
Ich wähle vorerst das hauseigene Restaurant, um meinen Magen zu füllen, bevor ich mich für einen Drink in die Bar begebe.
Obwohl Cuba Libre mein Favorit bei den Cocktails ist, bestelle ich mir einen Daiquiri und später noch einen Mojito, der ja schließlich als das Nationalgetränk Kubas gilt.
In die Raucherlounge werfe ich nur kurz einen Blick. Zigarren sind nicht so mein Geschmack.
Am nächsten Morgen mache ich mich abermals auf den Weg zu Carlos.
Meine Hände schwitzen.
In meinem Magen rumort es. Mir ist richtig gehend schlecht.
Was, wenn seine Mutter ihn wieder verleugnet und mich wegschickt? Was würde ich dann tun?
Ich steige die Treppe bis in den dritten Stock hoch, klingle und harre der Dinge, die da kommen.
Doch es kommt nichts.
Ein Blick durch den Türspion hatte meine Wiederkehr sicher schon verraten.
Ich lege meinen Kopf an die schwere Holztür.
Doch dieses Mal dringt kein einziges Geräusch von innen zu mir.
Wohl oder übel habe ich heute wieder kein Glück.
Es scheint niemand zu Hause zu sein.
Ich überlege kurz und krame in meiner Handtasche, suche nach einem Stift. Doch ich kann ihn nicht finden. Dann erinnere ich mich, den hatte ich am Vortag den Bettelnden am Capitolio gegeben.
Mein Unterfangen, Carlos eine Nachricht zu hinterlassen, kann ich somit aufgeben.
Enttäuscht kehre ich zum Hotel zurück.
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Ich kann keinesfalls den Tag über in meinem Hotelzimmer bleiben, das ist mir klar.
Da würde ich verrückt werden.
Aber Lust auf Sightseeing verspüre ich nicht. Und am Strand liegen möchte ich ebenfalls nicht.
Eigentlich habe ich Lust auf gar nichts und so viel Zeit. Und diese musste ich irgendwie rumkriegen.
Daher lasse ich mich mit einem der Oldtimertaxen aus Havanna herausbringen.
Mein Fahrer heißt Ernesto Ramos und ist mir sofort sympathisch. Deswegen duzen wir uns auch. Das macht es für jeden von uns einfacher und angenehmer, den Tag zusammen zu verbringen.
Das Radio dudelt. Und er ist pausenlos am Zigarrerauchen. Das ist das einzige, was mich an ihm stört.
Es geht die Küstenstraße am Meer entlang nach Matanzas und weiter nach Varadero. Dort möchte ich gern das Delfinario besuchen.
Während der Fahrt erfahre ich vieles vom Leben der Einheimischen, dennoch muss ich manchmal nachfragen, da auch Ernesto kein reines Spanisch spricht, sondern kubanischen Dialekt. Daran muss ich mich noch gewöhnen. Aber, wenn er langsam spricht, geht es einigermaßen.
So erzählt er mir unter anderem, dass viele seiner Landsleute umgerechnet nur etwa fünfzehn Euro Durchschnittseinkommen im Monat zur Verfügung haben. Das ist echt wenig.
Das habe ich nicht erwartet.
Ich bin ehrlich betroffen, und weiß gar nicht, was ich sagen soll.
Doch Ernesto will kein Mitleid.
Weiterhin erfahre ich, dass es ein Bezugsscheinsystem gibt, subventionierte Waren rationiert werden. Und diese Lebensmittel jedoch meist nur zehn bis vierzehn Tage reichten. Den Rest müssten sich die Einheimischen auf dem freien Markt besorgen.
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