Abby presste die Lippen aufeinander, dann nickte sie in Richtung Küche, um ihre Unsicherheit zu überspielen. »Du kannst dich ja wie zu Hause fühlen und dir was zu essen nehmen. Und ich glaube, im Kühlschrank hab ich noch Saft. Ich schau mal in meinen Schrank, ob der was hergibt.«
Ethan hüstelte. »Hübsche, ich bin ja nun echt nicht dick für meine Größe, aber ich wage zu bezweifeln, dass mir übergroße Shirts oder Jogginghosen von dir passen. Sowas funktioniert nur umgekehrt.«
Nun gab sich Abby keine Mühe mehr, ihr Augenrollen zu verstecken und schritt einfach schnurstracks in ihr Schlafzimmer. »Du bist doof. Warte hier, ich komme gleich wieder.«
Abby hatte ein paar kleine, bunte Teppiche in der Wohnung verteilt, sodass die Räume freundlicher und wärmer wirkten. Sie genoss das Gefühl unter ihren Füßen, die von der Arbeit schmerzten.
Ihr Schlafzimmer war kleiner als das Wohnzimmer. Neben Kommoden und Nachtschränkchen, die sie zu dem Doppelbett in den kleinen Raum gezwängt hatte, führte noch eine Tür in einen begehbaren Schrank. Er war nicht groß, sie konnte sich darin knapp umdrehen, aber alles, was sie benötigte, hatte Platz. Seit ihrem letzten Umzug lebte Abby eher minimalistisch und verzichtete auf Krimskrams.
Sie bückte sich, um ihren kleinen Staubsauger zur Seite zu schieben, und angelte die Plastikkiste dahinter aus der Ecke. Dann kniete sie sich auf den weichen Bettvorleger, der den Boden des Schranks bedeckte, und nahm den Deckel der Kiste ab.
Darin waren die letzten Gegenstände, die sie noch von Daniel besaß. Unter anderem seine Lieblingsklamotten. Den Hoodie trug sie im Winter selbst gern, denn der übergroße Kapuzenpulli war warm und flauschig. Darin fühlte sie sich einfach wohl. Außerdem die Trainingsklamotten, mit denen Daniel immer laufen gegangen war. Es war nichts Besonderes, aber für sie waren diese Sachen wertvoll. Alles andere hatte sie ausgemustert.
Einen Moment zögerte sie und ihre Finger strichen über die Stoffe, die auf ihrem Schoß lagen.
Daniel.
Doch dann rief sie sich zur Ordnung. Daniel würde diese Kleidungsstücke nie wieder brauchen. Ethan schon. Sie ihm zu leihen, würde weder ihr noch den Klamotten schaden. Und Daniel schon gleich gar nicht.
Obwohl sie nicht bestreiten konnte, dass der Anblick von Ethan in diesen Sachen ihr wehtun würde.
Mit einem tiefen Atemzug riss sie sich zusammen. Sie legte alle Kleidungsstücke ordentlich auf einen Stapel, klemmte sich diesen unter den Arm und stand auf.
»Ethan?«
»Hier.« Der junge Mann hatte seine Mütze und Jacke in der Zwischenzeit wohl an die Garderobe gehängt, jetzt saß er auf einem der Klappstühle und hatte die Hände unsicher verschränkt.
Der Anblick rührte irgendwas in ihr. Die Situation machte ihn offenbar genauso verlegen wie sie.
»Hier. Die Sachen müssten dir ungefähr passen. Zumindest reichen sie zum Schlafen. Und dein Zeug können wir morgen ja waschen. Unter dem Dach gibt es eine Waschküche.«
Ethans Augen wurden groß. »Warum hast du Männerzeug hier? Muss ich Angst haben, gleich von deinem Verlobten verprügelt zu werden, oder ist der noch drei Tage auf Geschäftsreise?«
Abby konnte ein Lachen nicht unterdrücken. »Ich bin solo, du Dummkopf.«
»Also ist das von einem Verflossenen?« Ethan wirkte ein wenig skeptisch.
Abby nickte mit einem Seufzen. Wenn sie nicht zumindest ein bisschen was preisgab, würde er die Sachen wohl nicht annehmen. »Es ist okay, Ethan, wirklich. Sie haben meinem … letzten Freund gehört.« Das Wort »Ex« hatte ihr nicht über die Lippen kommen wollen.
»Warum hast du das alles dann noch?« Zögernd nahm Ethan die Kleidungsstücke entgegen und ließ sie dabei nicht aus den Augen.
»Lange Geschichte. Ich erzähle sie dir ein andermal, okay?« Abby wich seinem Blick aus.
Ethan betrachtete sie kurz, dann nickte er und das vertraute Lächeln, das Abby so gern an ihm sah, breitete sich wieder auf seinem Gesicht aus. »Kein Problem, Abby. Danke dir.«
»Gern geschehen, Ethan. Ich mach mich später frisch, geh du mal duschen. Ich schätze, den Luxus kannst du nicht so oft genießen?« Mit einem Grinsen legte sie den Kopf schief.
Er lachte und stand auf. »Da hast du recht, das ist nett von dir. Und übrigens … ich weiß ja nicht, was du hast, aber die Wohnung ist gut genug beheizt.«
Abby zog die Augenbrauen hoch. »Ach ja? Warte, bis du aus der Dusche kommst. Du bist nach fünf Minuten ein Eiswürfel, versprochen.«
Er schüttelte entschieden den Kopf. »Ganz sicher nicht, Abigail Baker! Dafür ist mir nämlich viel zu warm ums Herz, weil ich froh bin, einen so tollen Menschen wie dich zu kennen!« Ethan legte sich die Hand auf die Brust und zwinkerte ihr zu. Dann verschwand er im Badezimmer, bevor Abby etwas erwidern konnte.
3. Kapitel
Das sachte Klopfen an ihrer Schlafzimmertür erschreckte Abby so sehr, dass sie mit rasendem Herzen sofort senkrecht im Bett saß. Sie war daran gewöhnt, allein zu wohnen. Deshalb musste sie erst einmal ein paar Sekunden darüber nachdenken, wo das Geräusch überhaupt hergekommen war. Da meldete sich eine sanfte Männerstimme und ihr fiel wieder ein, dass sie einen Gast hatte.
»Abby? Bist du schon wach?«
Abigail grinste schief, gähnte und reckte sich. »Jetzt ja. Ist alles okay?«
»Ich hab Frühstück vorbereitet, ich hoffe, das war in Ordnung. Kommst du raus?«
»Du hast was?« Abby, die gerade die Beine aus dem Bett geschwungen hatte, hob überrascht den Blick.
»Ähm. Frühstück. Wichtigste Mahlzeit des Tages und so?« Ethan klang verlegen. »Du frühstückst doch, oder?«
»Ab und zu schon, also beruhig dich. Ich bin unterwegs.« Abby stand auf und zog sich eine Jogginghose und ein ausgebleichtes Top an. Dann nahm sie ein Haarband aus ihrem Nachtkästchen und fasste ihre Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen. Bevor sie das Schlafzimmer verließ, betrachtete sie sich noch in dem Spiegel, der an der Tür in ihrem Kleiderschrank hing. Bequem, aber nicht verlottert. So konnte sie sich sehen lassen.
Ethan stand in ihrer Kochnische und hatte sich an die Arbeitsfläche gelehnt. In der kleinen Wohnküche duftete es nach Eiern, Speck und zu Abbys Überraschung auch Croissants. Kurz durchforstete sie ihr Hirn, wann sie zuletzt welche gekauft hatte. Ethan lächelte sie schüchtern an. »Ich hoffe, ich hab dich nicht gestört. Ich möchte nur bald mit der Gitarre los und dachte mir, vorher gemeinsam zu frühstücken wäre nett.«
»Du störst mich nie, Ethan.« Abby strahlte ihn an. »Was gibt es denn Gutes?«
»Also, du hattest Speck und Eier im Kühlschrank. Und ein Stück Käse, der aber schon etwas angetrocknet war. Ich hab daraus und aus den Eiern ein Omelett gemacht, bevor er kaputt wird. Aber vorher war ich noch beim Bäcker eine Straße weiter und hab von meinem letzten Geld Croissants geholt.«
Abby senkte verlegen den Blick. »Ach Ethan, das hättest du nicht tun müssen.«
»Ich erwarte nicht, dass du mich durchfütterst, Abby!«, betonte Ethan. »Ich wollte dir eine Freude machen und mich ein bisschen beteiligen. Die nächsten Bushaltestellen an größeren Straßen sind nicht weit, da komme ich zu Fuß hin und kann dort spielen. Das heißt, ich brauche kein Geld für den Bus.«
»Oh, okay. Danke, Ethan.«
Ethan zog einen der Stühle etwas von dem Tisch weg, damit sie sich setzen konnte, dann ging er in die Küche und holte die Teller mit den Omeletts. Abbys Blick wanderte über den Tisch und sie konnte nicht anders, als sich zu freuen. Er hatte bereits Gabeln aufgelegt, neben jedem Platz stand ein Glas Orangensaft und auf einem kleinen Tablett lagen zwei Croissants.
Schon stellte er den Teller vor ihr ab und schob ihn zurecht. Abby musste lachen, als sie darauf hinunterblickte. Ethan hatte die drei Speckstreifen so aufgelegt, dass sie ein lächelndes Emoji auf dem Omelett ergaben. »Du bist doch echt ein Spinner.«
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