Im Little Girls‘ Room drückt er sie gegen die Fliesen, küßt sie auf den Mund, hat eine Hand an ihrem Busen und zwei Finger in ihrer Möse, während sie anfängt, an seinem Hosenknopf zu nesteln. Obwohl sie ständig Leute raus- und reingehen hört und der Geruch von Duftsteinen und Reinigungsmitteln ihr widerlich in die Nase steigt, beugt sie sich weit nach vorne, hält sich am Toilettendeckel fest und dreht ihm den Hintern zu.
Bert hat keine schwarzen Haare, keinen Knackarsch und fährt auch nicht Motorrad. Er ist nicht groß, nicht schlank und würde nie in einem Café eine Frau ansprechen. Dafür ist er Ingenieur, beherrscht ein exzellentes Bœuf Bourguignon , kann einen Rasenmäher reparieren und bringt sie, wenn sie aus der Haut fährt, was öfter passiert, wieder runter. Bert ist ein Mann für Bausparverträge, Wanderurlaube und Musical-Reisen.
Als sie ihn im Internet trifft, ist sie vierzig Jahre alt, von denen sie fünfunddreißig zugibt. Fünfzehn einsame Jahre in der Gesellschaft vieler Katzen liegen hinter ihr: Jahre des Studiums, der Promotion in einem Männerfach, Anfangsjahre in der Stadtverwaltung, in der altgediente Beamte sich von einer Frau doch nichts sagen lassen. Im Jahr der Hochzeit mit Bert, dem Jahr, in dem ihr alles glückt, wird sie zur Leiterin der Stadtverwaltung ernannt, avanciert zur rechten Hand des jungen, lieben und sehr grünen Bürgermeisters, der sich im realen Verwaltungsleben jedoch als ein ziemlicher Trottel erweist, weshalb bald sie als das wahre Stadtoberhaupt gilt. In diesem Jahr, in dem einfach alles wie geschmiert läuft, in dem Bert und sie günstig an ein wunderschönes Häuschen am Waldrand kommen, in dem ihr Gehalt nach oben schnellt und Bert zum Leiter der Kläranlage aufsteigt, da fühlt sie sich reif und bereit für die nächste Stufe in ihrem Leben: Kinder.
Es ist keineswegs zu spät , sagt ihr Frauenarzt. Sie sind gesund und in den besten Jahren.
Das kommt ihr auch so vor. Noch nie im ihrem Leben hat sie sich dermaßen gut gefühlt. Jetzt können die Kinder kommen. Und sie gibt sich wirklich alle Mühe: Da besorgt sie sich schwarze Strümpfe und passende Strapsgürtel dazu, da hat sie kaum noch etwas an, wenn er zur Tür hereinkommt, und an den Wochenenden lutscht sie ihm den Schwanz mit einer Hingabe, wie er das noch nicht erlebt hat.
Aber nichts hilft. Kein Kind will kommen.
Nun beginnen hektische Jahre. Beide nehmen den Kampf auf. Sie wollen Nachwuchs. Jetzt erst recht. Andere haben auch Kinder und bekommen jedes Jahr noch eins dazu. Bert und sie haben ein Recht auf Kinder, auf ein Familienleben, sie wollen das, was sie haben, einmal jemandem hinterlassen.
Sie rennen von Pontius zu Pilatus, probieren es mit Joga, Schüssler-Salzen, Akupunktur, Ayurveda und Meditation. Sie schlucken Zink- und Selenkapseln wie die Weltmeister. Bert läßt sich drei schmerzhafte Monate lang die Krampfadern am Hodensack wegoperieren. Sie fahren zu einem Wunderdoktor in die Slowakei, wo ihr Auto gestohlen wird. In Valencia sieht schon die Ambulanz der Fruchtbarkeitsklinik so dreckig aus, daß sie umdrehen und schnurstracks wieder nach Hause fliegen. Sie schaffen, tun und machen wie die Verrückten, aber nichts passiert. In Brittas Gebärmutter herrscht Totenstille. Irgendwann stellen sie sich die Frage, der sie bislang aus dem Weg gegangen sind: Könnte es an Bert liegen? Sie konsultieren einen Spezialisten in Freiburg, der in den schwierigsten Fällen bereits geholfen hat, weltweit und diskret. Binnen Tagen erfahren sie die niederschmetternde Wahrheit: zeugungsunfähig. Berts Spermien sind zu schlecht, um damit Eizellen zu befruchten, und ziemlich alt ist er auch schon: Mit dem Alter nehmen Anzahl und Qualität der Spermien bekanntlich ab.
Das haut erstmal rein. Auf der Rückfahrt sagt Bert gar nichts. Zu Hause vergräbt er sich in seine Arbeit, geht auch am Samstag in die Kläranlage, kommt abends spät heim, redet beim Essen kein Wort.
Als sie sich wieder einigermaßen gefangen haben, sagt ausgerechnet er: Da muß man doch was tun können .
Es vergeht noch ein Jahr mit Hormonspritzen, Temperaturmessungen, künstlichen Befruchtungen und dem pausenlosen Nachdenken über Adoption und Pflegekinder, bis Britta an einem Dezembertag die Idee hat: Samen aus dem Internet. Lieferung in der Kühlpackung, bis an die Haustür, direkt aus den USA, getestet, bewährt und sicher, Erfolg garantiert. Bert hat Bedenken, kann sich nicht entscheiden, bringt Gott ins Spiel, Tradition, Moral, Natur und Biologie, sogar Aristoteles und Kant. Britta redet ihm gut zu, zeigt ihm hundert Internetseiten, erklärt, übersetzt und überzeugt: Tausende Paare haben so ihr Glück gefunden. Alles ist völlig problemlos, einfach und absolut sicher, da wieder und wieder getestet und geprüft, auch vom TÜV. Sie zeigt ihm Bilder über Bilder: Hazel and Walter, Tallah and DeShawn, José and Debbie, alle umgeben von vielen lachenden Kindern.
Die Idee mit der Samenbank hat eine befreiende Wirkung auf Britta. Sie kommt sich vor wie eine zu unrecht Eingesperrte, die nach Jahren im Gefängnis plötzlich freigesprochen und entlassen wird. Die Durchfälle, ihre Panikattacken, wenn sie schwangere Frauen sieht, die Migräneanfälle: alles ist auf einen Schlag weg.
Allein das Stöbern im Internet macht unglaublichen Spaß. Die Auswahl ist riesengroß: Es gibt Dutzende Samenbanken mit hunderttausenden von Spendern, aber die Boston Cryobank hat es ihr ganz besonders angetan. Die braunen Farben, das goldene Wappen mit der lateinischen Inschrift, diese typischen Neuengland-Gebäude mit den roten Backsteinen und dem spitzen weißen Glockenturm, die alten Bäume, der Efeu, der an den Hauswänden hinaufklettert – all das strahlt Geschichte und Seriosität aus. Und da ist noch etwas: Die Boston Cryobank ist die Samenbank mit mehr Nobelpreisträgern, Hochschulprofessoren, Mathematikern und weltbekannten Künstlern und Top-Managern unter ihren Premium-Spendern als jede andere auf der Welt.
Sie klickt sich durch zahllose Profile, bis sie an der Nr. 9.713 hängenbleibt. Sie hat sofort den Eindruck: das ist er. Wieder und wieder liest sie den Fragebogen, den der Unbekannte ausgefüllt hat:
Südländischer Typ, dunkle Augen, schwarze Haare, sehr groß, schlank. Blutgruppe: A Positiv.
Quantenphysiker, promoviert, Schachspieler.
Katholisch erzogen, heute: Agnostiker, naturwissenschaftliches Weltbild.
Sport: Langlauf, Schwimmen, Volleyball, Fahrradfahren; Triathlet.
Englisch als Muttersprache, fließend in Deutsch. Hat mal da gelebt. Mag Rucksacktouren in den Bergen, ist gerne am Strand.
Freundlich, abenteuerlustig. Gern mal nach Neuseeland oder Australien. Oder wieder nach Österreich, wegen der Alpen. Guter Zuhörer.
Hobbys: Computer, Eisklettern und Motorräder.
Lieblingsbücher: „Der Fänger im Roggen“, „Zen und die Kunst ein Motorrad zu warten.“
Mögen Sie Tiere: Ja, Delphine.
Essen: Pfirsicheis, Schokolade, italienisches Essen und das vom Chinesen. Lieblingsfarbe: Blaugrün.
Fast noch besser als dieser Fragebogen gefällt Britta ein Bild des Spenders als Kind. Dieses Bild ist ein großes Farbfoto, auf dem ein Weihnachtsbaum zu sehen ist und ein Junge, der vor einem Berg von Geschenken steht und in den Blitz der Kamera strahlt. Das durchgesessene Sofa, ein Nierentisch auf Spinnenbeinen und eine abgewetzte Couch machen zwar einen ärmlichen Eindruck, aber das Gesicht des hübschen Jungen, sein von Herzen kommendes Lachen, seine schwarzen Haare und seine feinen Gesichtszüge wiegen all das mehr als auf. An den Rand des Fotos hat irgend jemand mit krakeliger Druckschrift geschrieben: Remember, you never had it so good . Hinter dem Samenspender, halbverdeckt vom Christbaum und ziemlich unscharf, ist eine zweite Person zu erkennen, ein dicker, großer Jugendlicher mit roten Haaren, Sommersprossen und einem schiefen Gesicht, auf das ein blauer Pfeil zeigt: Ron, best of friends .
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