Bei einem seiner Erkundungsflüge entdeckte Moses in südlicher Richtung mitten in einer großen und völlig menschenleeren Wüste einen großen dunklen Flecken, der sofort seine Neugier weckte. Er flog darauf zu und stellte zu seinem Erstaunen fest, dass es sich um eine große Felsformation handelte, die nicht in seinem Kartenmaterial verzeichnet war. Als er noch ungefähr zehn Kilometer von dem Felsen entfernt war, setzte ohne Vorwarnung der Motor seines Flugzeugs aus und die Maschine verlor schnell an Höhe. Instinktiv änderte Moses die Flugrichtung und vergrößerte so im Gleitflug den Abstand zur Felsformation. Da der Untergrund an diese Stelle der Wüste nahezu eben war, entschloss er sich, dort zu landen. Sicher setzte er auf. Das Flugzeug rollte aus und kam in einem Abstand von circa fünfzehn Kilometern vor der Felsformation zum Stehen. Moses stieg aus und sah sich um. Weit und breit war außer Sand und Steinen nichts zusehen. Und natürlich in der Ferne die Felsformation, die ihn wie ein Magnet anzog. Er stieg wieder in das Flugzeug und startete den Motor, der auch sofort ansprang und störungsfrei lief. Moses schloss die Augen, um sich zu entspannen und über die letzten Minuten nachzudenken. Aber er konnte sich nicht konzentrieren. Immer wieder öffnete er die Augen und sah hinüber zu dem Felsen. Er nahm sein Kartenmaterial in die Hand und vergewisserte sich, dass die Felsformation wirklich nicht verzeichnet war. Er sah auf die Uhr, stieg aus dem Flugzeug und machte sich mit großen Schritten auf den Weg zum Felsen, denn er wollte sichergehen, dass es sich nicht um eine Fata Morgana handelte. Zwei Stunden später stand er nur noch wenige Meter vor der Felswand. Die Oberfläche war nahezu eben. Moses schätzte die Höhe auf 350 bis 400 Meter. Als er die letzten Meter zurücklegte, um den Felsen zu berühren, klopfte sein Herz laut und eine Begeisterung, die er in dieser Form bis dato noch nie verspürte, nahm von ihm Besitz. So musste sich ein Forscher fühlen, der im Begriff war, etwas wirklich Neues zu entdecken. Moses berührte vorsichtig den Felsen und war ein bisschen enttäuscht, dass er sich anfühlte wie jeder andere Felsen auf dieser Welt. Er ging in westlicher Richtung am Fuß des Felsen entlang, um eine Stelle zu finden, die es ihm ermöglichte, hinaufzusteigen. Nach einer Stunde brach er seine Suche erfolglos ab. Er ging zurück zu seinem Ausgangspunkt und dann die gleiche Strecke in östliche Richtung. Wieder ohne Erfolg. Moses sah auf die Uhr und stutzte. Es war schon über sechs Stunden her, dass er losgegangen war. Jetzt wurde ihm bewusst, dass er Hunger und vor allen Dingen Durst hatte und entschloss sich, seine Untersuchungen ein anderes Mal fortzusetzten und zum Flugzeug zurückzukehren. Er stieg ein, startete den Motor, der wieder sofort ansprang und überprüfte sein Funkgerät. Es funktionierte fehlerfrei. Erleichtert flog er zurück.
Als er spät am Abend wieder in seinem Hotelzimmer saß, markierte er auf der vor ihm liegenden Karte die Stelle, an der er gelandet war, mit einem kleinen Kreis. Dann zeichnete er in einem Abstand von zehn Kilometern den Felsen ein. Er wusste nicht warum, aber er vermutete, dass der Motor seines Flugzeugs auch an jeder anderen Stelle, die sich näher als zehn Kilometer von der Felswand entfernt befand, den Dienst einstellen würde. Dieser Gedanke elektrisierte ihn, und er beschloss, ihn vor Ort zu überprüfen und wenn er zutraf, diesem Phänomen auf den Grund zu gehen.
Eine Woche später näherte sich Moses mit dem Flugzeug wieder der Stelle, an der er beim ersten Mal gelandet war und die er auf seiner Karte markiert hatte. Aber er flog nicht weiter Richtung Felsen, sondern parallel auf einer gedachten Linie im Abstand von zehn Kilometern zum Felsen. Der Motor lief ruhig und das Funkgerät funktionierte. Moses war sich darüber im Klaren, dass er den Abstand versuchsweise unterschreiten musste, um seine Vermutung zu überprüfen. Nach mehreren Versuchen hatte er die Gewissheit, dass seine Annahme stimmte.
Als er am Abend wieder in seinem Hotelzimmer saß, nahm er Papier und Stift zur Hand, um seine Eindrücke aufzuschreiben:
- Der Motor stellte umgehend seine Arbeit ein, wenn er die Zehnkilometerlinie in Richtung Felsen überflog. Gleiches galt auch für das Funkgerät.
- Der Felsen hatte die Form einer Ellipse mit einer Ausdehnung in NordSüdRichtung von ungefähr 100 Kilometern und in OstWestRichtung von circa 50 Kilometern.
- Die Höhe des Felsen war fast überall konstant.
- Es sah von oben aus, als ob der Felsen einen grün schimmernden Kern hatte, den er wie einen Ring umschloss.
Moses las die Zeilen immer wieder durch. Was hatte es mit dem grünen Kern auf sich? Sein erster Gedanke war, dass es sich um ein ausgedehntes Waldgebiet handelte. Aber das konnte mitten in der Wüste, wo es weit und breit kein Wasser gab, nicht sein.
Am nächsten Morgen flog er zurück nach Genf. Aber er konnte sich nicht auf seine eigentliche Arbeit konzentrieren. Immer wieder musste er an den geheimnisvollen Felsen und seinen grün schimmernden Kern denken, und schnell wurde ihm bewusst, dass er das Geheimnis des Felsens lüften musste, um wieder Herr über seine Gedanken zu werden.
Zwei Wochen später flog Moses wieder los. Da er diesmal länger in der Wüste bleiben wollte, um mehr über den Felsen in Erfahrung zu bringen, hatte er seine Ausrüstung entsprechend zusammengestellt. Neben einem kleinen Zelt, einem Schlafsack und Proviant in mehreren Kisten, hatte er einen großen Leiterwagen mitgebracht, den er nach der Landung aus vorgefertigten Einzelteilen zusammenbaute, um seine Ausrüstung zu transportieren.
Direkt vor der Felswand schlug er sein Lager auf. An den ersten beiden Tagen fand er weder eine Stelle, an der er den Felsen als ungeübter Kletterer besteigen konnte, noch eine Öffnung, die ihm einen Zugang zum Kern ermöglicht hätte. Aber er ließ sich nicht entmutigen. Am Morgen des dritten Tages wurde seine Geduld belohnt. Ein Vogelschrei riss ihn aus seinem Schlaf. Er sprang auf, lief in die Richtung, aus der die Vogelstimme kam und entdeckte nach wenigen Metern in einer Höhe von drei Metern eine Öffnung im Felsen, die er in der Vergangenheit übersehen hatte. Während er nach oben sah, verließen verschiedene Vogelarten dieses Loch und flogen hinaus in die Wüste. Er ging zurück zum Lager, lud mehrere Kisten auf den Leiterwagen und transportierte sie bis zu der Öffnung. Anschließend stapelte er sie so, dass er das Loch gut erreichen und hineinsehen konnte. Es war fast kreisrund und hatte einen Durchmesser von etwas mehr als einem Meter. Moses leuchtete mit der Taschenlampe hinein. Er blickte in einen Gang, der circa fünf Meter weit unter 45 Grad Richtung Westen verlief und dann anscheinend nach Süden abbog. Da der Gang mindestens zwei Meter hoch und über einen Meter breit war, zögerte Moses nicht und kroch durch die Öffnung. Im Schein der Lampe tastete er sich langsam vorwärts. Der Boden des Gangs war eben und fest. Hinter der Biegung verdoppelte sich die Breite des Gangs. Moses ging vorsichtig weiter und zählte die Schritte. Die Helligkeit im Gang nahm zu und bei der Zahl 60 erreichte er wieder eine Biegung. Der Gang wurde wieder schmaler und verlief jetzt unter 45 Grad nach Osten. Nach weiteren zehn Schritten erreichte er das Ende des Ganges, das fast vollständig von den Ästen und Blättern eines Baumes versperrt wurde. Moses teilte die Äste mit seinen Händen und sah hinaus. Als sich seine Augen an die Helligkeit gewöhnt hatten, entdeckte er in einer Entfernung von 100 Metern einen kleinen See. Die am Ufer stehenden Bäume bildeten mit ihren Ästen und Blättern ein Dach, durch das sich nur wenige Sonnenstrahlen einen Weg bahnten. Moses bot sich ein einmaliger Anblick. Trotz der unterschiedlichen Farben und einem bizarren Schattenspiel auf der Wasseroberfläche strahlte die vor ihm liegende Landschaft eine Vollkommenheit und Harmonie aus, wie er dies in seinem Leben noch nie erlebt hatte. Vor dem Ausgang lagen mehrere unterschiedlich große Felsbrocken, die es Moses problemlos ermöglichten, den Höhenunterschied von etwa einem Meter zu überwinden. Am Ufer des Sees blieb er stehen und schloss die Augen, um zur Ruhe zur kommen, denn er zitterte vor Aufregung am ganzen Körper. Jetzt erst fiel ihm auf, dass hier am See kein Laut zu hören war. Nicht einmal die Blätter bewegten sich im Wind. Minutenlang blieb er so stehen und spürte, wie jeder Stress und alle Sorgen von ihm abfielen und er einfach nur dankbar und glücklich war, in diesem Moment an dieser Stelle sein zu dürfen. Die vielen unbekannten Düfte, die er einatmete, versetzten ihn in einen rauschähnlichen Zustand. Er schüttelte sich mehrmals, um wieder in die Realität zurückzufinden. Vorsichtig öffnete er die Augen und stellte erleichtert fest, dass der See und der Wald noch vorhanden waren. Er konzentrierte sich jetzt auf seine Umgebung, ging vorsichtig zwischen den Bäumen und Sträuchern am Ufer des Sees entlang und entdeckte viele Spuren, die von unterschiedlichen Tieren stammten. Er hatte Durst, bückte sich und schöpfte mit beiden Händen das klare Wasser. Es war angenehm kühl und schmeckte köstlich.
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