Wenig später trugen einige Diener das schmutzige Geschirr vom Frühstück herein und stapelten es auf einem der Tische an der Wand. Nomo beugte sich noch ein wenig tiefer über den Waschtrog. Viele der Diener hatte sie schon einmal gesehen. Sie fürchtete, die Diener würden sie ebenfalls erkennen. Doch keiner würdigte sie auch nur eines Blickes. Zwei ältere Frauen mit grauen Schürzen füllten einen weiteren Waschtrog mit heißem Wasser. Nomo blickte ein wenig sehnsüchtig auf den dampfenden Trog, ihr Wasser war inzwischen kalt. Keine wirklich guten Voraussetzungen für saubere Töpfe.
„Wenn ich diesen Berg an Geschirr sehe, beneide ich die Zimmermädchen“, begann die eine der Frauen, „ein paar Stunden mit dem Staubwedel durch die Räume ziehen und schon ist ihre Arbeit getan“
„Es kommt darauf an, durch welche Räume man zieht. Zosel hat sich letztens einige Hiebe eingefangen, weil sie Isis Goldkinder zur Räson bringen wollte. Die Quälgeister hatten hinter ihrem Rücken den Staub wieder in den Zimmern verteilten. Natürlich sind sie daraufhin gleich heulend zu ihrer Mutter gerannt. Und die versteht bekanntlich keinen Spaß, wenn es um ihre Lieblinge geht“, entgegnete die andere Frau.
„Da hast du recht. Nicht einmal der König wagt es, seinen Söhnen eine Maulschelle zu verpassen“, stimmte die erste Frau zu.
„Ich verstehe ohnehin nicht, warum er sich das alles von Isi gefallen lässt. Warum jagt er sie nicht einfach davon?“, meinte die zweite Frau.
„Das weiß ich auch nicht. Er kann sich ja nicht einmal sicher sein, dass die Prinzen von ihm sind. Isi treibt es ja beinahe mit jedem Beseelten. Schlimmer als die Hohepriesterin. Derzeit vögelt sie mit Kirai herum. Ob die Idee mit dem Blutrichter von Isi stammte? Mal sehen, wie lange er seinen Kopf noch auf den Schultern trägt“, sagte die erste Frau.
„Da kann einem nur die Prinzessin leidtun. Sie ist so ein unschuldiges Mädchen, Kirai betrügt sie bereits vor der Hochzeit“, seufzte die andere Frau.
„Ich werde ihn niemals heiraten!“, stieß Nomo hervor.
Die beiden Frauen blickten sich verdutzt zu ihr um. Nomos Gesicht lief rot an. Sie drehte sich weg, zog den Kopf noch ein wenig tiefer zwischen die Schultern und schrubbte den Topf besonders heftig.
„Was?“, fragte eine der Frauen.
„Ich meine, an Stelle der Prinzessin würde ich Kirai nicht heiraten“, sagte Nomo leise.
„Wie soll sie das anstellen, sie ist ihm versprochen“, entgegnete die Frau.
***
Ängstlich verkroch sich Pst hinter einem der Pfeiler, als sie die stählerne Schlange – wie Pst das Ungetüm nannte – kommen hörten. Kex versteckte sich nicht, schließlich hatte er nun bereits drei Begegnungen mit der Schlange überlebt. Es war eine Maschine der Alten, beängstigend groß und ohrenbetäubend laut, aber nicht hinter ihnen her. Warum sie noch immer funktionierte, wusste Kex nicht. Im Licht ihrer Augen, betrachtete er kurz die Wunde an seinem Arm. An den Rändern bröckelte bereits der Schorf ab, nicht mehr lange und einzig eine lange Narbe würde daran erinnern. Dann sauste die Schlange vorbei, Kex hielt sich die Ohren zu. Wie immer erschien die Dunkelheit danach viel intensiver. Beinahe völlige Schwärze, bis sich die Augen daran gewöhnt hatten und zumindest einige Konturen wahrnahmen. Aber auch nach Tagen hier unten – wie viele konnte Kex nicht sagen – fühlte er den Weg mehr, als das er ihn sah. Die seltsam leuchtenden kleinen Pilze, die er von Pst bekommen hatte, halfen wenig. Ohne Pst wäre er verloren. Der alte Zausel hatte ihn aufgepäppelt, seine Wunden versorgt, ihn manchmal – als Kex in fiebrigen Träumen lag – sogar gefüttert. Noch heute erschien Kex dies einfacher, als bei vollem Bewusstsein die Käfer und Würmer herunterzuwürgen, die Pst ihm brachte. Meist lebten sie noch. Kex schüttelte es leicht bei dem Gedanken.
„Junge wie Pst“, pflegte der alte Mann dann immer zu sagen, „Junge und Pst essen keine Menschen“
Auch jetzt brabbelte der Alte leise vor sich hin, sprach von sich in der dritten Person. Er nannte sich selbst Pst, kein richtiger Name, aber der Einzige, den er offensichtlich kannte. Kex hatte ihn nach seinem richtigen Namen gefragt, ohne Erfolg. Mit seiner bisweilen schusseligen Art, erinnerte Pst ihn ein wenig an Chak, für den Kex als Kind Artefakte der Alten gesammelt hatte. Vielleicht projizierte Kex aber auch nur seine Wünsche. Es war das erste Mal, dass Kex ihn auf einem seiner Streifzüge begleitete. Kex fühlte sich ausreichend erholt dafür. Schließlich musste er langsam lernen, sich hier allein zurecht zu finden. Sicher, Pst genoss Kex Gesellschaft offenkundig, sorgte hingebungsvoll für ihn. Doch Kex widerstrebte diese Abhängigkeit zutiefst. Wenn es wirklich darauf ankam, stand jeder für sich allein. Außerdem konnte Kex nicht ewig hier unten in diesen Katakomben leben, die Dunkelheit ertrug er schon jetzt kaum noch. Er wollte zurück an die Oberfläche, zurück in die Stadt. Auch wenn dies bedeuten könnte, Esrin gegenübertreten zu müssen. Ein kalkulierbares Risiko, verglichen mit einem Leben hier unten. Pst kannte einen Weg in die Stadt, da war sich Kex sicher. Zumindest wurde der alte Mann immer recht still und gebärdete sich noch ängstlicher als sonst, wenn Kex danach fragte.
„Gebiet der Menschenfresser“, flüsterte Pst plötzlich, „Haben gute Ohren, feine Nasen. Junge muss ganz leise sein“
Noch immer nannte Pst ihn Junge, nach unzähligen Versuchen verbesserte ihn Kex nicht mehr. Wohl eine der vielen Eigenarten von Pst, so wie die Selbstgespräche, oder dass er sich auf dem Zeigefinger herum kaute, so wie jetzt. Sie schlichen nun durch die Gänge, beim kleinsten Geräusch blieb Pst kurz stehen und lauschte angestrengt. Erst wenn er sich sicher war, dass sie keinem der Menschenfresser in die Arme liefen, gingen sie weiter. Das wenigste hier unten war natürlichen Ursprungs. Vielmehr schienen diese ganzen Katakomben eine einzige riesige Ruine der Alten zu sein. Eben betraten sie zum Beispiel eine eher flache Halle, die von unzähligen Pfeilern gestützt wurde. Vereinzelt glimmten oder flackerten einige Lichter der Alten. Chak hatte Kex einmal erzählt, dass die Alten damit die Nacht zum Tag gemacht hatten. Wie sie genau funktionieren, hatte aber auch Chak nicht erklären können. Immerhin konnte durch die Lichter auch Kex etwas erkennen. Die Halle ähnelte dem Kerker im Palast, nur dass hier niemand Mauern zwischen den Pfeilern errichtet hatte. Ein Muster aus Strichen und Pfeilen schmückte den Boden. Verstreut standen einige völlig verrostete … nun ja, Karren. Zumindest hatten sie Räder. Sie waren jedoch komplett geschlossen und Kex fragte sich, wo die Alten die Ochsen festgemacht haben mögen. Aber wer weiß, vielleicht fuhren sie – so wie die stählerne Schlange noch heute – von ganz allein und benötigten gar keine Ochsen. Kex ging näher zu einem der Karren hin und blickte durch die Scheibe ins Innere.
„Maschinen der Alten gefährlich wie Menschenfresser. Junge nicht anfassen“, flüsterte Pst leise und zog Kex weiter.
Sie ließen die Halle hinter sich und die Dunkelheit kehrte zurück. Der schwache Schimmer der Pilze reichte nicht einmal bis zu den Wänden. Doch wenig später entdeckte Kex am Ende eines Seitenganges erneut Licht, sehr helles Licht. Kex bog in den Gang ein, Pst zog ihn am Ärmel zurück.
„Gefährlicher Ort. Menschenfresser dort. Junge und Pst nicht diesen Weg gehen“, warnte er.
Kex ließ sich nicht beirren, ging den Gang weiter. Pst folgte ihm, zitterte dabei aber vor Angst, zupfte Kex immer wieder an den spärlichen Resten seines Hemdes. Sie krochen auf allen vieren durch ein nur reichlich hüfthohes Rohr. Dahinter öffnete sich ein Spalt und Kex stand in einem riesigen Raum. Der Boden war gefliest, unweit wand sich ein überdimensionierter Schlauch nach oben, ein großes, rundes, größtenteils zerbrochenes Fenster in der Decke gab den Blick in den Himmel frei. Mehrere Stockwerke über ihnen klapperten plötzlich Türen, Stimmen waren zu hören. Pst riss an Kex Kleidung.
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