Sie atmete erleichtert auf und schenkte mir ein Lächeln. „Schon okay, ich kaufe mir einfach einen neuen.“
„Kommt nicht in Frage“, protestierte ich lautstark und erkannte meine Chance in dieser zufälligen Begegnung. „Ich lade dich natürlich ein!“
Sie sah verunsichert zwischen Evan und mir hin und her. „Willst du nicht lieber nach Hause und dich umziehen?“
Ich folgte ihrem Blick zu dem Kaffeefleck, der mir in der Tat unangenehm war, aber wer wusste schon, wann sich mir sonst nochmal die Chance bieten würde, in Kontakt mit Mona zu kommen. Es tat gut, sie so lebendig und irgendwie auch gestärkt vor mir zu sehen, und vielleicht konnte sie mir auch als seine Cousine den Weg zu Liam ebnen. „Besser wäre das“, lachte ich. „Holen wir das nach?“
„Die Einladung zum Kaffee?“, fragte sie erstaunt.
„Ja“, stieß ich nickend aus. Nun begann Evan ebenfalls, unsicher zu lachen, und legte mir einen Arm um die Schultern. „Entschuldige meine Freundin, sie ist sehr spontan und manchmal etwas aufdringlich“, erklärte er Mona, die sich gerade zu überlegen schien, was sie von mir halten sollte. Spontanität war normalerweise ein Fremdwort für mich. Ich mochte es lieber gut durchorganisiert.
Mona schien entschieden zu haben, dass ich vielleicht etwas seltsam, aber harmlos war und zuckte mit den Schultern. „Na gut.“
„Gibst du mir deine Nummer?“, bat ich sie und wollte ihr mein Handy reichen, damit sie ihre Nummer direkt eintippen konnte. Erst dann stellte ich fest, dass ich es zum Joggen gar nicht mitgenommen hatte. „Hast du vielleicht einen Stift dabei?“, setzte ich direkt hinterher.
Sie sah mich erneut misstrauisch an, kramte dann aber in ihrer Tasche nach einem Kugelschreiber. Ich streckte ihr meine Hand entgegen.
„Schreib mir deine Nummer einfach auf den Arm“, forderte ich sie auf. Erneut warf sie mir einen irritierten Blick zu, tat dann aber, worum ich sie gebeten hatte. Auch wenn ich mich fragte, ob sie mir wirklich ihre richtige Nummer aufschrieb. Die ganze Begegnung musste wirklich seltsam auf sie wirken und ich hätte es ihr nicht verübeln können, wenn sie das aufdringliche Mädchen ihr gegenüber nur schnell wieder loswerden wollte.
„Danke, ich melde mich dann bei dir“, sagte ich und reichte ihr zum Abschied meine Hand. Als sie mich berührte, zuckte sie kurz zusammen, als habe sie etwas Ungewöhnliches gespürt. „Ich heiße übrigens Mona“, stellte sie sich vor.
Ich konnte mich gerade noch bremsen, ihr mitzuteilen, dass ich das natürlich längst wusste. „Winter“, antwortete ich stattdessen und deutete auf meinen Begleiter. „Das ist mein Freund Evan.“
„Bis dann!“, meinte Mona und ging eilig an uns vorbei. Nach ein paar Metern sah sie sich jedoch nochmal nach uns um, als sie erkannte, dass wir ihr nachblickten, winkte sie uns kurz zu und beschleunigte ihren Schritt. Evan stellte sich vor mich und versperrte mir die Sicht.
„Hältst du das wirklich für eine gute Idee?“ Er schien genau zu wissen, was ich vorhatte.
„Es ist eine grandiose Idee!“, erwiderte ich zufrieden. „Wenn ich mich mit Mona anfreunde, komme ich außerhalb der Schule an Liam ran.“
Evan legte die Stirn in Falten. „Findest du das nicht ein bisschen unfair?“
„Unfair?“
„Du nutzt Mona nur aus!“
Empört schnappte ich nach Luft. Sah er das wirklich so? „Mona und ich sind Freundinnen!“
„Ich wart Freundinnen!“, korrigierte mich Evan. „Jetzt willst du sie nur benutzen, um an ihren Cousin ranzukommen.“
„Das stimmt nicht! Unsere Freundschaft wird ihr auch helfen.“
„Wobei?“
„Sich zu erinnern!“
Er zog mich weiter. „Winter, ist dir nichts an ihr aufgefallen?“
„Was meinst du?“
„Sie sieht glücklich aus! Zugegeben, ich kenne Mona nicht besonders gut, aber als ich sie zuletzt gesehen habe, war sie ein Häufchen Elend und das auch schon, bevor Aidan gestorben ist. Sie wirkte wie ein Geist und konnte kaum jemandem in die Augen blicken. Jetzt macht sie einen ziemlich normalen Eindruck auf mich. Was, wenn es besser für sie ist, sich nicht an das Leid aus ihrer Vergangenheit zu erinnern?“
„Aber sie hat Aidan geliebt“, konterte ich. „Wenn sie sich erinnern könnte, würde sie ihn bestimmt wiedersehen wollen.“
„Weißt du denn, wo Aidan ist und wie es ihm geht?“
„Nein“, gab ich kleinlaut zu. Es war so viel passiert, dass ich bisher nicht dazu gekommen war, zu überprüfen, ob er sich immer noch in Velvet Hill befand.
„Was, wenn du Geister weckst, die besser weiterhin ruhen sollten?“
„Dir wäre es doch auch lieber, wenn Lucas sich wieder erinnern könnte“, fuhr ich ihn verärgert an. Seine Reaktion machte mich wütend, weil er vielleicht nicht Unrecht hatte mit dem, was er andeutete. „Wir können nicht versuchen, einzelnen Personen ihre Erinnerung zurückzugeben und andere außen vor lassen. Entweder sorgen wir dafür, dass alle sich wieder erinnern oder keiner!“
Nun wirkte Evan wiederum zornig. Er hielt mir mit zusammengekniffenen Lippen die Tür zu seinem Wagen auf.
„Sollen wir aufgeben?“, fragte ich ihn herausfordernd, als ich mich niederließ und zu ihm aufsah.
„Ich kann Lucas nicht aufgeben“, murmelte er leise.
„Dann hör auf, mir Vorwürfe zu machen. Wir müssen alles versuchen und ich kann dir versichern, dass ich Mona weder ausnutzen noch schaden werde. Sie liegt mir am Herzen, genauso sehr wie du!“
Er nickte nachgiebig. „Das weiß ich doch. Es hat mich nur irgendwie irritiert, sie so …“ Ihm fehlte das richtige Wort, um Monas Auftreten zu beschreiben.
„So lebendig zu sehen?“, schloss ich seinen Satz. Sie war zwar auch zuvor nicht tot gewesen, aber ihre ganze Ausstrahlung hatte sich verändert. Eindeutig zum Positiven!
Der Bass wummerte aus den Boxen und brachte den Boden zum Beben. Bunte Laserstrahlen tanzten über die Tanzfläche, während die Bar in einem goldenen Licht erstrahlte. Menschen drängten sich davor, doch sie wichen beiseite, sobald Eliza sich einen Weg durch die Masse bahnte. Sie genoss die Aufmerksamkeit und die neidischen Blicke gleichermaßen. Lucas, Evan, Dairine und ich folgten in ihrem Windschatten, bis wir uns einen Platz an einem freien Stehtisch sichern konnten.
Eliza warf sich die Wellen aus dem Gesicht, wobei mir eine Wolke ihres Parfüms in die Nase kam: Orangeblüten, Opium und weißer Moschus. „Schwesterchen, es wundert mich, dass du etwas deiner wertvollen Zeit erübrigen konntest, um sie mit einem sinnlosen Clubabend zu vergeuden“, zog sie mich auf und versuchte dabei scheinbar, meine Stimme zu imitieren. Ich war mir jedoch ziemlich sicher, dass sie sich dabei ziemlich schlecht anstellte, auch wenn Dairine sich ein Grinsen nicht verkneifen konnte.
Lucas ergriff sofort Partei für mich. „Lass sie in Ruhe, Eliza“, fuhr er meine Schwester warnend an. „Nur weil Winter die Schule ernst nimmt, brauchst du sie nicht aufzuziehen. Ich hätte die Zeit ehrlich gesagt auch besser nutzen können.“
„Nicht nur du“, pflichtete ihm Evan bei. Die Abschlussprüfungen würden schon in der nächsten Woche stattfinden und alle außer Eliza waren deshalb ziemlich nervös. Sie musste ihren ganzen Körper zum Einsatz gebracht haben, um Lucas von den Büchern losreißen zu können.
„Langweiler!“, zog sie nun beide auf und begann, sich im Takt der Musik auf ihren roten High Heels zu bewegen. Sie ließ ihren Blick durch den Saal schweifen und blieb an der Theke hängen. „Hey, ist das nicht euer neuer Lehrer?“, rief sie plötzlich aus und deutete mit ausgestrecktem Zeigefinger in eine Richtung. Augenblicklich folgten Dairines und mein Kopf ihrer Hand. Mein Herz machte einen freudigen Satz, als ich tatsächlich Liam an der Bar erkannte. Sein hellblondes Haar war unübersehbar und er übte denselben Effekt auf die Menschen aus wie meine Schwester: Sie betrachteten ihn alle, aber hielten geradezu ehrfurchtsvoll Abstand. Leider war er nicht allein: Faye klebte an seiner Schulter und flüsterte ihm etwas ins Ohr, was ihn zum Schmunzeln brachte. Er trug eine schwarze Jeans und dazu ein graues Hemd mit abgeschnitten Ärmeln, sodass die Tattoos auf seinen Oberarmen zur Geltung kamen.
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