Hagen Seibert - Die Elemente des Zen in der Kampfkunst

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Japans Geschichte war lange Zeit geprägt durch ständige Kriege rivalisierender Fürsten, gipfelnd in einem hundertjährigen Bürgerkrieg. Es entwickelte sich ein besonderer Kriegerstand, die Samurai. In den permanenten Kriegswirren schliffen sich deren Fähigkeiten. Es schied sich das Ineffektive vom Effektiven, und Meisterschaft in den Kampfkünsten war überlebensnotwendig. Spirituellen Beistand fanden sie in der Lehre des Zen-Buddhismus. Zen verhalf den Samurai zu einem speziellen Zugang zu ihrer Lebenssituation und zu ihren Kampfkünsten. So lernten sie einerseits unerschütterlich dem Tod ins Auge zu sehen, zum anderen ihre Waffen mit herausragender Präzision zu handhaben.
In unserer heutigen Zeit ist Budô – der Weg der Kampfkünste – das Vermächtnis der Samurai. Im Budô verbindet sich das Streben nach Meisterschaft in sportlicher Übung und Kampf mit den geistigen Inhalten des Zen-Buddhismus. Zen unterstützt dieses Streben nachhaltig, durch die spezielle Geisteshaltung und praktischen Mindset.
Mit diesem Buch soll auf praktisch anwendbare Weise die Lehren aus dem Zen-Buddhismus für Praktizierende von Kampfkünsten, für Ambitionierte anderer Sportarten und allgemein für Betroffene von Konflikt-Situationen erschlossen werden.
Dazu wird dargelegt, welche Elemente im Einzelnen diesen Weg zur Meisterschaft bereiten.
Nebenbei bietet dieses Buch auch einen unkomplizierten, pragmatischen Zugang zu den Lehren des Buddhismus. Zuletzt wird Kampfkunst als solche in diesem Kontext hinterfragt.

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In der Kampfkunst hat Spannung eine noch viel größere Bedeutung als in der Zazen-Übung, da man sich dynamisch bewegt statt statisch zu sitzen. Die geistige Spannung entscheidet über Sieg oder Niederlage. Die Körperspannung ist fundamental für jede Bewegung. (Eine digitale Unterscheidung zwischen körperlicher und geistiger Spannung soll jedoch an dieser Stelle nicht vorgenommen werden, denn beides hängt zusammen.)

Prinzipiell ist Körperspannung die Kontraktion gegenläufiger Muskeln. Eine hohe Muskelspannung ist dann notwendig, wenn man einer gegnerischen Kraft entgegenwirken muss, zum Beispiel in einem Haltegriff, wenn der Gegner fixiert werden soll, oder zum Beispiel bei einem Block, wenn der Arm den eigenen Kopf schützen soll. Der Arm soll starr bleiben.

Körperspannung bedeutet Unbeweglichkeit, das ist gelegentlich erwünscht. Sie kann aber auch von Nachteil sein, nämlich dann, wenn man die Spannung nicht wieder gänzlich loslässt. Will man sich bewegen, ist es schlecht, wenn man gegen die eigene Körperspannung arbeiten muss. Wenn sich der eine Muskel gegen die Spannung seines Antagonisten bewegt, muss er erst dessen Kraft überwinden. Bewegungen werden dadurch langsam. Das ist wie Fahren mit angezogener Handbremse.

Als Karate-ka trainiert man, eine Schlagbewegung möglichst ansatzlos auszuführen. Ein schneller Fauststoß ist aber nur möglich, wenn man geübt ist, seine Muskulatur vollständig zu entspannen.

Als Aikidô-ka sollte man versuchen, locker zu bleiben, auch wenn man mit Spannung angegriffen wird. Man muss selber gelöst bleiben, um anpassungsfähig an die Dynamik des Geschehens zu sein. Wenn man dann den Angriff aufnimmt, ist das Entspannt-Bleiben essentiell für die gelungene Ausführung der darauffolgenden Technik. Eine gute Hilfe, um nicht in Anspannung zu verfallen, ist sich vorzustellen, dass man sich angreifen lässt, anstatt bei dem Gedanken zu verbleiben, dass man angegriffen wird. Das heißt, den Angriff aufzunehmen in einem Bewusstsein von „Ich lasse mich greifen“; es heißt, ihn zu akzeptieren, anstatt ihn abzuwehren.

Lächelt man jemanden an, so lächelt er meistens zurück. Wenn man bei anderen Begeisterung spürt, zum Beispiel bei einem Sportereignis, oder einem Konzert, so lässt man sich anstecken. Begegnet man jemandem unfreundlich, so wird er mit Unfreundlichkeit antworten. Es gibt eine natürliche menschliche Regung, einen Gleichklang zum jeweiligen Gegenüber herzustellen. Dies gilt für Gefühle und Stimmungslagen, und es gilt auch für den Grad der körperlichen Anspannung.

Körperspannung kann übertragen werden, sogar unbewusst, durch Berührung, über körperlichen Kontakt. Ein Gegner kann meine Spannung spüren, zum Beispiel wenn ich ihn am Handgelenk oder an der Schulter fasse und nimmt dann diesen Kontakt auf. Wenn der Gegner Spannung spürt, wenn er merkt, dass ich etwas mit ihm machen will, dann reagiert er mit Gegenwehr. Wenn ich seinen Arm verdrehen will, so wird er es nicht zulassen, durch Anspannung und Gegendruck. Es reicht aber auch schon, dass er die Spannung nur unbewusst wahrnimmt, um unwillkürlich selber anzuspannen. Wird er fest, mit angespanntem Arm, gegriffen, spannt er an. Greift man locker, so tritt der Effekt eher nicht auf.

Im Aikidô möchte ich, dass der Gegner meiner Führung folgt. Aus diesem Grund sollte ich vermeiden, Anspannung bei ihm auszulösen. Man muss selber entspannt bleiben, während man eine Technik ausführt, um den Mechanismus der Übertragung nicht in Gang zu setzen.

Eine grundlegende Idee des Aikidô ist: Nicht ich mache etwas mit meinem Gegner, sondern es entsteht eine gemeinsame Bewegung. Nicht ich werfe ihn, sondern er fällt (durch die Technik – ist sie gut ausgeführt, hat er keine andere Wahl als zu fallen). Man kann kein Aikidô machen, wenn man selber angespannt ist. Nur unverkrampfte Bewegungen können sich dem Angreifer so anpassen, dass es eine gemeinsame Bewegung wird. Ist man angespannt, so gibt man zu viel seiner eigenen Dynamik und eigenen Intention in die gemeinsame Bewegung, die dann ihre Gemeinsamkeiten verlieren wird. Die Technik ist dann eckig und wirkt über den Schmerz, anstatt rund zu werden und über die Dynamik zu funktionieren.

Mushotoku - Handeln ohne Absicht

Ob ein Wurf gut gelungen ist, merkt man als Geworfener und meistens auch als der Werfende 10sofort. Mir fällt dazu eine Begebenheit ein, als einmal zwei Schwarzgurt-Aspiranten für ihre Dan-Prüfung trainierten. Man sah dem einen deutlich an, dass er mit seiner Wurftechnik nicht zufrieden war. Während einer Atempause meinte der Geworfene:

"Du zerrst total!"

„Ja, ich merk´ schon ... Aber ich will dich so richtig auf die Matte schmeißen."

„Genau deshalb ist die Technik nicht im Fluss, weil du vor lauter Hinschmeißen zu zerren anfängst."

Der eine wollte seinen Trainingspartner mit Wucht werfen, und doch gelang der Wurf nicht gut. Vor lauter Hinwerfen-Wollen vernachlässigte er die Einleitung der Technik. So hatte der Trainingspartner Mühe, dem Wurf in einer natürlichen Bewegung zu folgen, und fühlte sich gezerrt. Der Werfende hatte sich zu sehr auf sein Ziel fixiert; er hing zu stark an seiner Intention, und so ging die maximale Konzentration auf die Ausführung, auf die Tätigkeit an sich verloren. Die Absicht vereitelte die Handlung. Besser wäre gewesen, er hätte sich ganz auf sein Tun konzentriert.

Das Handeln ohne Absicht finden wir wieder im Zen-Buddhismus. Es lässt sich in der Lehre Gautama Buddhas begründen bis zurück zu deren Ausgangspunkt, dem Leiden. Alles Leiden wird verursacht durch die „Bonnô", die Begierden. Jene ergeben sich als unzählige Spielarten aus den drei menschlichen Grundübeln: Gier, Zorn und Verblendung. Im Buddhismus werden die drei menschlichen Grundübel gerne durch Tiergestalten symbolisiert. Eine Schlange versinnbildlicht die Gier, ein Hahn steht für Zorn, und ein Schwein stellt Verblendung und Unwissenheit dar. Die Bonnô wurzeln in diesen drei Grundübeln. Als Varianten der Gier gibt es beispielsweise Habsucht, Neid, Erwerbstreben, Egoismus, Vorteilsdenken. Als Facetten des Zorns findet man Hass, Verärgerung, Geltungsbedürfnis, Abneigung und Unduldsamkeit. Als Spielarten der Verblendung erlebt man Ignoranz, übertriebenes Selbstwertgefühl, Genusssucht und Überheblichkeit.

Das Leiden wird aufgehoben, indem der Mensch seine Begierden verwirft, aufgibt und restlos ablegt. Nur diejenigen Taten ziehen kein Karma 11nach sich, die nicht durch Begierden motiviert sind, die frei sind von den Grundübeln. Doch, was bleibt dann noch übrig, wenn die Bonnô nicht mehr die Motivation für das Handeln sind, wenn alle Begierden auch in den feinsten Abstufungen ausgemerzt sind? Im Zen ist dies radikal zu Ende gedacht. Aus dem Fallenlassen all dieser Triebfedern folgt letzten Endes ein Handeln, ohne an ein Ziel oder einen persönlichen Nutzen zu denken, die Handlung um ihrer selbst willen.

Einmal nahm ich an einem Zazen-Wochenende mit Nakasawa Rôshi 12teil. Der Meister erklärte in seinem Vortrag, dass man nicht Zazen üben sollte, wenn man nicht das Gefühl hätte, anderen Menschen helfen zu wollen. Man könnte auch Zazen üben, um persönlichen Gewinn für sich selbst zu erzielen, es gäbe sogar Leute, die mit dieser Einstellung Abt geworden wären, aber es wäre nicht richtig. Ich runzelte die Stirn. Genau deswegen war ich damals dort: weil ich dachte, Zen könnte mir selbst nützlich sein und mir Aufschlüsse für mein Aikidô erhoffte.

Die Aussage von Nakasawa Rôshi wird verständlicher, wenn man hört, was der Zen-Meister Seung Sahn seinen Schülern eröffnete:

„Einige von euch wollen Erleuchtung erlangen und (so schnell wie möglich) ein Zen-Meister werden. Solange das eure Motivation ist, werdet ihr nicht das geringste erreichen. ... Zwischen Begehren und Bemühen ist ein großer Unterschied. Schon die Idee, du könntest irgend etwas mit Zen erreichen, ist selbstsüchtig."

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