„Habt Ihr den Verstand verloren?“, entfuhr es ihm, doch er ermahnte sich sofort zur Ruhe. Noch hatte sie ihren Dolch ja nicht in Bewegung gesetzt.
„Ihr wisst etwas, das Ihr nicht wissen dürftet“, vernahm er ihre Stimme in seinem Rücken. Ihr Arm lag über seiner Brust und drückte ihm die Luft ab.
„Wovon sprecht Ihr?“, fragte er und kämpfte darum, seine Stimme ruhig zu halten. Es gelang ihm nicht ganz.
„Von den Schwarzen Assassinen.“
„Deren Geheimnis Ihr verraten habt, nicht ich. Bin ich etwa für Euren Fehler verantwortlich?“
Jetzt spürte er, wie Charas Mund an seiner Schläfe ein Lächeln formte. Diese Frau war eindeutig einen Pakt mit dem Wahnsinn eingegangen.
„Nein, Darcean. Und es tut mir auch fast leid, dass Ihr für meinen Fehler bezahlen müsst. Aber am Ende ist es gleich, wer den Fehler macht. Eine Schadensbegrenzung bleibt nicht erspart. Ich bin sicher, Ihr versteht das.“
Charas Unterarm presste ihn hart gegen die Lehne. Er hatte keine Möglichkeit, sich herauszuwinden. Und die Klinge ihrer Waffe blieb, wo sie war. Seltsamerweise erschien ihm ihre Stimme sanfter, ihre Worte gerade in diesem bizarrsten aller Momente fast weise im Vergleich damit, was sie sonst so von sich gab.
„Da mögt Ihr Wahres sprechen, doch widerspricht es jeglicher Gerechtigkeit, die Schadensbegrenzung an Unschuldigen zu betreiben.“
„In diesem speziellen Fall kann das Problem leider nur auf diese Weise gelöst werden.“ Sie senkte ihre Stimme zu einem Flüstern. „Ich werde Euch nicht töten, Darcean. Aber wenn Euch dieses kleine Geheimnis je über die Lippen kommt, wenn Ihr nicht lernt, es zu vergessen, es so tief in Euch zu begraben, dass Ihr das nächste Mal, wenn Ihr einem Schwarzen Assassinen gegenübersteht, vergessen habt, wer oder was sich unter seinen dunklen Gewändern verbirgt, werdet Ihr tot sein, noch ehe Ihr Euren Fehler bemerkt habt. Habt Ihr das verstanden?“
„Verschwindet aus meiner Kajüte!“ Darcean konnte nicht mehr an sich halten. Dieser geistlose Mensch wagte es, ihn in seinen eigenen vier Wänden derart nassforsch zu bedrohen.
„Ich frage noch einmal“, kam es unverfroren zurück. „Habt – Ihr – mich – verstanden?“
Er fühlte, wie die Klinge seine Haut ritzte.
„Ich habe Euch sehr gut verstanden“, antwortete er heiser.
Der Dolch zog sich zurück. Der Arm um seine Brust verschwand. Darcean atmete tief durch.
„Nichts für ungut“, sagte Chara und steckte das Messer weg. „Im Grunde hab ich nichts gegen Euch. Ist einfach nur blöd gelaufen.“ Sie öffnete die Tür und verschwand im Korridor, wo sie sofort von ihren beiden Wachen in die Mitte genommen wurde.
Darcean massierte sich den Nacken und stand auf. Das war also die Oberkommandantin dieser Flotte … und so sahen ihre Problemlösungsstrategien aus.
Mit gemischten Gefühlen griff er nach seinem Dolch, öffnete seinen Webgürtel und befestigte die Dolchscheide daran. Dann zog er seinen Kapuzenumhang vom Bettpfosten.
Es würde ihm nicht erspart bleiben. Es war unabdingbar, Siralen über den Vorfall in Kenntnis zu setzen. Und da es erst früher Morgen war, befand sie sich vermutlich an Deck und widmete sich ganz ihrem Schwerttanz.
Auf dem Weg zurück in ihre Kajüte kam ihr einer der Matrosen entgegen.
„Lucretia L’Incarto schickt mich, Frau Flottenoberkommandantin. Sie braucht Euch an Deck.“
Chara zog die Hand vom Türgriff und blickte an dem Mann vorbei in die Mannschaftsunterkünfte. Kerrim war im Augenblick mit einem seiner Leute in der Flotte unterwegs. Aber Simi musste an Bord sein. „Worum geht es?“
Als Antwort bekam sie ein Schulterzucken und einen unbehaglichen Blick. „Weiß nicht genau. Aber die Stimmung an Deck ist ziemlich angespannt. Es geht um Stowokor Olschewski. Wenn ich’s richtig verstanden hab, will Lucretia ihn festnehmen lassen.“
„Und Olschewski wehrt sich.“
„So in etwa.“
Chara nickte. „Gehen wir.“
Während Chara dem Matrosen durch den Korridor zu den Mannschaftsunterkünften folgte, dachte sie an ihr letztes Gespräch mit Lucretia. Die Magierin hatte ihr von den Botschaften aus unbekannter Feder erzählt. Sogar, dass sie befürchtete, Stowokor wäre in die Sache verwickelt. Dabei war sie nicht zu betonen müde geworden, dass die Nachrichten von Schattenhand übermittelt worden waren. Und selbstredend, dass Schattenboten gerne mit den Assassinen in Verbindung gebracht wurden. Der eigentliche Hintergrund von Lucretias Redseligkeit war also die Hoffnung, ein Assassine wäre der eigentlich Verantwortliche und Chara könnte die Sache vielleicht irgendwie aufklären. Dann wäre Olschewski aus dem Schneider gewesen.
Lucretia hatte sich also entschieden, ihren Liebhaber festnehmen zu lassen. Damit bewies sie Initiative. Und eine gewisse Härte, wenn man bedachte, wie nahe sich die beiden allem Anschein nach standen. Gnadenloses Voranschreiten statt ängstlicher Stagnation … Die Magierin hatte offenbar ein Heilmittel gegen das lähmende Gift der Lethargie gefunden, die sie während der vergangenen Trideade gefangen gehalten hatte. Die Kommandantin der Zauberkundigen schritt erneut zur Tat. Und Olschewski war ihr Auftrag. Mit Verlaub, das war exakt jener Gang über eine schmale Brücke, den Chara sich bis jetzt erspart hatte.
„Simi, Tyrsis, mitkommen!“, rief sie, als sie vier der fünf Hatschmaschin in ihren Hängematten dösend vorfand. Die beiden waren so schnell auf den Beinen, als hätte Al’Jebal sie persönlich wachgeküsst. „Sieht so aus, als müssten wir jemandem seine Rechte vorlesen.“
Die Oberdecks der Meerjungfrau hatten sich drastisch verändert. Das Hauptdeck hatte sich in eine Arena verwandelt, und die kleineren Decks bug- und heckseitig in Tribünen. Dicht gedrängt standen die Matrosen auf dem Achterdeck und Vordeck und verfolgten gebannt, was sich um den Hauptmast im Zentrum der Meerjungfrau abspielte. Nur fand dort kein Kampf statt, sondern eine offensichtliche Tragödie.
Der Himmel war wolkenverhangen und eine steife Brise trieb Tauron die Tränen in die Augen. Er hatte sich am Poopdeck aufgebaut und beobachtete wachsamen Blicks, was auf seinem Schiff vorging. Sein Bart juckte, was er meistens tat, wenn er irgendwie angespannt war. Jetzt gerade war er ziemlich angespannt – immerhin sah es aus, als würde es demnächst eine Festnahme auf seinem Schiff geben.
Zeit für eine Rasur.
Er erhaschte einen Blick auf Siralen, die nahe dem Großmast stand, ihre blauen Augen unruhig die Reling fixierend, an welcher sich der etwas untersetzte Magier namens Stowokor Olschewski befand und wie in Trance auf das Meer hinausblickte. Neben ihm auf den Planken standen eine kleine Truhe und ein Rucksack.
Fällt nicht in meinen Zuständigkeitsbereich, ermahnte sich Tauron. Nicht, solange sich die werten Zauberkundigen an die Regeln an Bord meines Schiffes halten. Im Augenblick sah es ganz danach aus.
Die vier eben erst an Bord gekommenen Magier, darunter die Kleine, die zu Telos Malakin gehörte, waren umgehend in der Offiziersmesse abgetaucht und warteten dort darauf, ihren Dienst an der Sache zu tun. Soweit Tauron informiert war, waren sie hier, um Olschewski einer Befragung zu unterziehen, weil er sich des Verdachts auf Verrat schuldig gemacht hatte. Damit hatte Olschewski offenbar ein Problem, denn er hatte kurzerhand seine Sachen gepackt und nach einem Drachenboot verlangt. Das war natürlich gewesen, bevor Tauron gewusst hatte, worum genau es ging. Jetzt wartete Stowokor Olschewski, dass sein Drache aufkreuzte, was ihm wahrscheinlich nicht einmal dann weiterhelfen würde, wenn Tauron ihm gestattete, von Bord zu gehen. Denn gerade betraten Chara und zwei Assassinen das Hauptdeck, und die waren ganz sicher nicht hier, um ihn freundlich zu verabschieden. Lucretia hatte nach ihnen schicken lassen.
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