Wie heilend kann der Liebe Licht schon sein, wenn doch so voll von Leid ihr Schatten ist?
„Stowokor“, hauchte Lucretia. Da hatte er sie schon in eine Umarmung gezogen und geküsst.
„Hab ich dir schon gesagt, dass ich dich liebe?“, flüsterte er in ihre Locken und Lucretias Magen ballte sich zu einer kleinen Faust zusammen.
„Das hast du“, versuchte sie es mit einer neutralen Antwort. Es war natürlich nicht das, was er hören wollte. Widerstrebend löste sie sich von ihm.
Stowokor ließ es nicht zu, dass sie ihm auswich, zog sie zum Bett und drückte sie behutsam auf die Matratze. Dann setzte er sich neben sie. „Worüber denkst du schon wieder nach, Lucretia?“
Lucretia stierte auf seine sauberen Nägel. „Ich muss mit dir über eine … eine nicht sehr angenehme Sache reden. Ich habe über die Botschaften aus giftiger Feder nachgedacht. Nach allem, was ich weiß, und nach allem, was mir Magus Primus Major Ahrsa Kasai bestätigt hat, fällt der Verdacht … er fällt …“ Sie musste schlucken, knetete betreten seine Finger. Irgendetwas verbot es ihr, Stowokor in die Augen zu sehen.
„Der Verdacht fällt, so leid es mir tut, auf dich, Stowokor.“
Die Hand in ihrer Hand versteifte sich.
„Bitte, versteh mich richtig. Ich bin sicher, dass nicht du der Botschaftenverfasser und damit ein Verräter bist. Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass dein Ruf als integeres Mitglied der Zauberkundigen auf dem Spiel steht.“
„Wie, bei allen Göttern, kommst du oder Kasai auf mich?!“, stieß Stowokor bestürzt hervor und entzog sich ihrem Griff.
„Du warst die ganze Zeit in meiner Nähe“, flüsterte sie. „Du wusstest um meine Niedergeschlagenheit nach unserer Rückkehr von Isahara, und dass ich kurz davor war, meine Sachen zu packen und Billus zu verlassen. Ich war seelisch aus dem Gleichgewicht, und gerade das scheint dem Verfasser ein Motiv gewesen zu sein, mich als Ziel auszuwählen. Du hattest Gelegenheit, diese Nachricht zu schreiben und zu hinterlassen und nicht zuletzt – du hast gewusst, dass sie von einem Schattenboten übermittelt wurde. Warum hast du mir diese wertvolle Information vorenthalten?“
Der Vorwurf war da und mit der adäquaten Vehemenz über ihre Lippen gekommen. „Was hast du dir nur dabei gedacht?“
„Ich wollte dich schützen“, sagte Stowokor sofort.
„Wovor denn? Du hast mich stattdessen in Gefahr gebracht.“
„Niemals! Ich war doch immer hier, hab doch jeden Tag darauf geachtet, dass du dich nicht in Gefahr bringst. Ich hab dir diese Tatsache verschwiegen, weil ich nicht wollte, dass du dich ängstigst. Immerhin handelt es sich bei dem Überbringer um einen Dämon – einen Boten der Unterwelt, den größtenteils Leute nutzen, die zur Chaosseite gehören.“ Er holte tief Luft. „Aber Lucretia, Liebes, ich habe dich keinen Herzschlag aus den Augen gelassen. Es hätte dir nichts passieren können.“
Lucretia suchte in seinem runden Gesicht nach einem Hinweis, der jeglichen Verdacht von ihm wies, und fand nichts als tiefe Zuneigung darin. Es tat weh. Doch seine Gefühle sprachen ihn noch lange nicht frei. Stowokor hatte mit seiner Verschwiegenheit Verdacht erregt und die Zauberkundigen hatten nun, da Kasai davon wusste, ein Recht darauf, diesem Verdacht auf den Grund zu gehen. Mehr noch, es war Lucretias Pflicht als Sprecherin der Zauberkundigen, dieses Verbrechen zu ahnden. Das Private war das eine, die Profession eine ganz andere Sache. Wer der Feder mächtig ist, schreibt keine Liebesgeschichte. Gefühle durften Entscheidungen nicht beeinflussen. Sie musste Härte und Entschlossenheit an den Tag legen und in aller Öffentlichkeit zeigen, dass sie mit ihrem Gefährten genauso verfuhr wie mit jedem anderen, der sich des Verdachts auf Verrat schuldig machte. Sie war kein dummes Mädchen, das man nach Belieben um den Finger wickeln konnte. Sie war Magus Secundus Minor Lucretia L’Incarto.
Langsam stand sie auf und faltete ihre Hände ineinander.
„Es tut mir leid, Stowokor. Aber als Kommandantin dieser Expedition muss ich darauf bestehen, dass du dich einer Befragung durch die Magier unterziehst.“
Aus Stowokors Gesicht wich jede Farbe. Lucretia war klar, warum.
„Du willst mich einer magischen Befragung unterziehen?“, flüsterte er. Lucretia entging nicht, dass seine Hände zu zittern begonnen hatten.
„Ja.“ Natürlich wusste Stowokor, dass es nicht irgendeine, sondern eine peinliche Befragung war und dass die Tatsache, dass diese mittels Magie durchgeführt werden sollte, selbige noch qualvoller ausfallen ließ. Dieses grauenvolle Wissen stand nun im Raum und schnitt sich, einer kalten Klinge gleich, zwischen sie und den Mann, der ihr zum treuen Begleiter und Freund geworden war.
Stowokors bebende Hand glitt zu seinem Mund. Seine Schultern sackten nach unten. Jetzt wirkte er wie ein Kind, nicht wie der fähigste Informationsmagier, der sich innerhalb dieser Flotte befand. Wäre er doch nur unfähig! Dann hätte man den nächstbesten Informationsmagier darauf ansetzen können, seine Antworten auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu überprüfen. Mehr wäre nicht nötig. Aber da keiner der Spezialisten auf diesem Gebiet Stowokor das Wasser reichen konnte, blieb nur noch die peinliche Befragung.
„Du willst das wirklich tun, nicht?“, murmelte er mit gebrochener Stimme. Fast hätte er sie damit zum Umdenken bewegt. Fast.
„Ich muss.“ Sie verschränkte die Arme hinter dem Rücken. Vielleicht, um sich selbst davor zu bewahren, ihn zu umarmen und damit Gefahr zu laufen, ihre Standhaftigkeit einzubüßen. „Ich werde Ahrsa Kasai informieren und ihn um die zu einem Verhör befähigten Zauberkundigen bitten.“
Stowokor atmete tief durch. Dann stemmte er sich schwerfällig hoch, warf ihr einen letzten Blick zu und verließ wortlos die Kajüte.
Als die Tür zugefallen war, ließ Lucretia sich auf ihren Hocker sinken, nahm ein Stück Pergament und verdrängte jeden Gedanken an den Moravi, sein Lächeln, seine Umarmungen, seine Küsse … eben alles, womit er ihre Welt ein wenig heller gemacht hatte.
Sie tunkte ihre Feder in das Tintenfass und setzte sie auf ein Stück Pergament:
Was soll das? Was wollt Ihr von mir?
Wumm machte es und Chara schreckte von ihren Aufzeichnungen hoch.
„Was ist?“, rief sie durch die Tür, die unter dem heftigen Schlag von Noks Faust erzitterte.
„Ben Yussef!“, donnerte der Dad Siki Na.
„Kann reinkommen!“ Chara beugte sich wieder über ihr kleines schwarzes Buch und schrieb den begonnenen Satz zu Ende.
Als sie erneut aufsah, war die Tür hinter Kerrim bereits geschlossen.
„Er möchte jetżet sprechen mit dir.“ Kerrim schob den Riegel vor und zog irgendein rundes Ding aus den Falten seines Gewandes. Es handelte sich dabei um eine Art Holzgestell und eine Kugel aus geschliffenem Kristall.
„Wer?“, fragte sie mit einem mulmigen Gefühl im Bauch.
„Al’Jebal.“
„Der Namai?“
„Kħennst du sonst noch jemanden, der ħaißet Al’Jebal?“ Er setzte sich auf den Boden, überkreuzte die Beine und stellte den Gegenstand vor sich ab. Die Kugel hatte einen Durchmesser von etwa einer Handbreit und lag nun auf dem einfachen dreieckigen Holzgestell, wo sie fast wie eine Einladung zum Anfassen wirkte.
„Kħomm schon, Chara!“
Sie fühlte sich ungelenk, als sie sich vom Bett erhob.
„Und jetzt?“, fragte sie und blickte unschlüssig auf ihn hinab. „Was genau soll ich tun?“
„Setże dich mir gegenüber.“
Chara warf einen prüfenden Blick zur Tür und glitt dann auf den Boden.
„Und weiter?“
„Du musst berühren die Kħugel mit dainen Fingern.“
Sie ergab sich ihrem Schicksal und tat, wie ihr geheißen. Innerlich versuchte sie, sich mit dem Gedanken anzufreunden, gleich Al’Jebals Stimme zu hören. Magie hatte schon etwas Befremdliches. Ein Kontakt mit Tamang vom weiten Ozean aus? Das konnte einem durchaus Respekt einflößen.
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