Wolf Stein - Der Praktikant
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Wolf Stein
Der Praktikant
Erzählung
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Inhaltsverzeichnis
Titel Wolf Stein Der Praktikant Erzählung Dieses ebook wurde erstellt bei
Die Ankunft
In Amt und Würden
Auf Tour mit Klaus
Der Dieb
Die Hunde von Zhirow
Die Vogelstimmenwanderung
Bienenstich
Je oller, je doller
Die Zaster Bank
Auf der Jagd
Alles hat ein Ende
Impressum neobooks
Die Ankunft
Hans drehte sich zu mir.
»Als nächsten schlachten wir Seehofer.«
Verdutzt sah ich ihn an.
»Morgen geht es dem alten Rammler an die Gurgel. Dann kommt er in den Ofen.«
»Du gibst deinen Kaninchen Politikernamen?«
»Nur denen, die wir einen Kopf kürzer machen.«
Es war Anfang April und ungewöhnlich warm. Bereits der März hatte sich als sehr sonniger Monat präsentiert. Die Knospen der majestätischen Rotbuchen begannen früher zu sprießen als in anderen Jahren. Die Natur erblühte mit voller Wucht. Ich wollte mir von Hans nur eines seiner Fahrräder ausleihen und die neue Gegend erkunden. Doch der musste mir gleich sein ganzes Grundstück zeigen. Und nun stand er mit geschwollener Brust vor seiner Kaninchenzucht.
»Letzte Woche war Putin an der Reihe. Den hat der alte Hermann bekommen.«
Hans schmunzelte.
»Der hat sich dann erst mal bei mir beschwert, warum ich ihm ausgerechnet Putin bringe. Mensch Hans, hat er gesagt, Putin schmeckt bestimmt nicht, der ist doch ein zäher Hund.«
Putin - zäher Hund - das gefiel mir.
»Und was ist mit Merkel?« fragte ich grinsend.
»Ach, der haben wir schon vor Jahren das Fell über die Ohren gezogen. Konnte ja keiner ahnen, dass die als Ossi mal so hoch aufsteigt. Hätten wir gewusst, dass Merkel mal Bundeskanzlerin wird, hätten wir sie noch behalten. Aber geschmeckt hat Angie, das muss man ihr lassen.«
Einen köstlichen Humor besaßen sie offensichtlich, die Einwohner von Zhirow. Das beruhigte mich, denn mit ihnen sollte ich die nächsten drei Monate verbringen.
»Wir hatten mal einen mit extrem großen Löffeln, den nannten wir Genscher, und einen richtig fetten Sack, das war Kohl. Ich frage mich heute noch, wie der so dick werden konnte. Der hat bis zum Schluss nicht verraten, wer ihm heimlich das ganze Futter zugesteckt hat. Kaninchenehrenwort, verstehste? Der Kleine dahinten mit den Schlitzaugen hat auch schon seinen Namen weg …«
»… lass mich raten, der heißt bestimmt Rösler.«
»Genau! Ich sehe, du kennst dich aus. Wenn du mich fragst, ist der kleine Phillip ein von den Chinesen eingesetzter Geheimagent, der die deutsche Wirtschaft ausspionieren soll. Kleiner Scherz am Rande. Der helle da, das ist übrigens Brüderle, weil es der Bruder von Seehofer ist. Brüderle ist auch bald dran. Die alte Schnapsdrossel schenken wir meiner Schwester. Aber zuerst wird Seehofer das Zeitliche segnen. Zuerst die CSU und dann die FDP.«
Während wir über die Reihenfolge ihres Ablebens philosophierten, blickten uns die zum Tode verurteilten Politikerkaninchen unbeeindruckt an und mümmelten frisches Gras. Ich mochte Hans auf Anhieb - ein freundlicher Mann mit rauen Händen und halblangen blonden Haaren. Er war 55 Jahre alt und beim Nationalparkamt Seelitz als leitender Ranger angestellt. Der Schutz der hiesigen Umwelt, besonders der der uralten naturbelassenen Buchenwälder sowie der Seen- und Moorlandschaften im Herzen des Nationalparks fielen in seinen Zuständigkeitsbereich. Darauf war Hans stolz. Das konnte er auch sein. Von solch einem schönen und ehrenwerten Arbeitsplatz können die meisten nur träumen.
Dies tat auch ich, Jan Becker. Jan Becker aus Burgstadt. Nach etlichen Jahren als Redakteur beim Radio hatte ich die Schnauze voll. Nun war ich 33 und wollte meinem Leben endlich eine sinnvolle Wendung geben. Um genau zu sein: Ich wollte Parkwächter werden! Ich wollte wie Hans den ganzen Tag im Grünen verbringen und im Einklang mit der Natur meinen Alltag verleben. Wer zu lange beim Radio arbeitet, wird, wenn er es nicht schon von Anfang an ist, früher oder später irre. Das wollte ich mir ersparen. Radio Burgstadt war ein privater Radiosender mit einer durchaus respektablen Hörerreichweite. Knapp hunderttausend Stammhörer hatten ihre Empfangsgeräte dauerhaft auf unsere Frequenz justiert. Als Redakteur wurde ich gut bezahlt. Doch Geld ist nicht alles im Leben. Die Dinge liefen lange nicht mehr so wie zu Beginn. Auch privat lag einiges im Argen. Radio Burgstadt war nicht mehr Radio Burgstadt, wie ich es kannte. Es ging nur noch ums Verkaufen. Musik und Inhalt spielten kaum noch eine Rolle. Die Hörer wurden für blöd verkauft. Die Leidenschaft für meine Arbeit hatte mich verlassen. Meine Freundin, die ebenfalls bei Radio Burgstadt arbeitete, hatte einzig und allein ihre Karriere im Sinn und ließ sich mehr und mehr auf die dunkle Seite der Macht ziehen. Für meinen Geschmack nahmen sich einige Kollegen selbst viel zu ernst und wähnten sich als Mittelpunkt des Universums. Aber wir machten nur Radio. Sollte es Radio Burgstadt von heute auf morgen nicht mehr geben, wen würde es jucken? Die Welt würde sich genau so weiter drehen wie bisher. Ich hatte genug von alldem. Also kündigte ich meinen Job und meine Beziehung und bewarb mich kurzerhand im Nationalpark Seelitz um eine Praktikantenstelle, deren Ausschreibung ich zufällig im Internet entdeckt hatte.
Nationalparks interessierten mich seit meiner Jugend. Bevor ich mit 21 als Volontär bei Radio Burgstadt anheuerte, hatte mich mein Drang nach grenzenloser Freiheit bereits ins ferne Australien gezogen. Mehrere Monate tingelte ich durch das Land der Kängurus und Koalas. Wie viele meiner Altersgenossen reiste ich nur mit dem Rucksack auf dem Rücken. Das war ein Erlebnis! Auf einem Rastplatz in der Nähe von Alice Springs traf ich damals auf einen Australier namens Tony. Als er mir ein Bier anbot, konnte ich noch nicht ahnen, welch grandioses Abenteuer er mir bescheren würde. Wir verbrachten einige Tage zusammen und freundeten uns schnell an. Tony war ein absoluter Känguruexperte. Lag irgendwo eine Kängurukunkel im Sand, kniete sich Tony davor nieder, nahm sie zwischen Daumen und Zeigefinger, hielt die kleine Kugel gegen die Sonne, roch einmal daran, zerrieb das Ganze in der Hand, kostete ein Stück, spuckte es wieder aus und schon wusste er genau, welche Känguruart den Köttel wann dort abgelegt hatte. Ganz nebenher listete er im gleichen Zug die ausgeschiedenen Inhaltsstoffe auf. Einfach so. Dank dieser herausragenden Fähigkeiten leitete Tony als verantwortlicher Biologe und Ranger ein Projekt zur Wiederansiedelung einer vom Aussterben bedrohten Spezies im Grampians National Park in Victoria. Es handelte sich um sogenannte Brush-Tailed Rock-Wallabies, also um Bürstenschwanz Felsenkängurus. Diese Art war ungefähr zehn Jahre zuvor als in der Wildnis ausgestorben deklariert worden. Einige Monate, bevor ich Tony traf, hatte man als Krönung eines langwierigen Auswilderungsprozesses mehrere männliche und weibliche Zootiere wieder in den australischen Busch entlassen. Dank Tony durfte ich Teil des Einsatzteams werden und ein paar Wochen als Freiwilliger unbezahlt an dem Projekt mitarbeiten. Etwas Besseres hätte mir nicht widerfahren können. Ich konnte mein Glück kaum fassen. Die Wallabys wurden in einem kleinen Canyon ausgesetzt durch den ein nahezu ausgetrockneter Fluss seinen Weg geschnitten hatte und weiterhin schnitt. In den hohen Felswänden gab es genügend Höhlen und Spalten, in denen sich die Tiere verstecken konnten. Regelmäßig marschierten wir zu zweit in das für Besucher gesperrte Gebiet. Wir kontrollierten die an den Futterstellen installierten automatischen Kameras und die umliegenden Fuchsfallen, die zum Schutz der Tiere vor dem nicht gern gesehenen und vom Menschen eingeschleppten Invasor schützen sollten.
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