„Keine Angst“, antwortete Kuntz beiläufig.
„Ha…, ich hätte nur Angst, wenn in der Besenkammer ein alter Tennisspieler lauert.“
Mit einem schlichten Lächeln quittierte Kuntz Sarahs Bemerkung.
„Na wenigstens hast du deinen Humor nicht verloren.“
Die Gänge zwischen den Türen wurden immer länger und immer eintöniger. Ein wenig Beklemmung machte sich bei Sarah breit. Sie näherten sich einer Fahrstuhltür. Während sie geduldig auf den Fahrstuhl warteten rutschte Frank ein leises „also doch“ heraus.
Kuntz konnte mit der Bemerkung nichts anfangen.
„Also doch?“
„Es gibt es also doch, das Pentagon .“
„Na klar gibt es das Pentagon .“
„Hier.“
„Hier?“
„Man munkelte, dass es hier im Haus noch ein paar Etagen nach unten geht. Eine Art unterirdischer Bunker, für den Fall der Fälle. Naja…, und wie das so ist hier in Berlin. Alles bekommt einen Namen, man nennt es das Pentagon .“
„ Pentagon ?“
„Genauso.“
„Da soll mir mal noch einer sagen, dass unsere Polizei keinen Intellekt hat.“
Die sich öffnende Fahrstuhltür lenkte Kuntz davon ab, weiter über das Gesagte nachzudenken. Ab hier ging es nur noch zu dritt weiter. Der Sicherheitsbeamte blieb zurück. Die leuchtende Anzeige über der Tür bestätigte Sarah darin, dass es sich hier mit allem anderen, aber nicht im entferntesten mit der Größe des Pentagon vergleichen ließ. Keine zwei Etagen ging es runter. Wieder so ein endloser Flur. Keine Fenster, keine Stühle, Nichts. Kuntz öffnete eine Tür zu einem kleinen Raum, der auf einer Seite zur Hälfte verglast war. Ähnlich so, wie sie es aus den Verhörraumen kannte. Bloß das es hier zusätzlich noch eine Glastür in eben dieser Wand gab. Hinter den Scheiben schien es dunkel zu sein.
„So. Ihr seid die ersten und vielleicht letzten Außenstehenden, die das so zu Gesicht bekommen.“
Ohne seinen Blick von der dunklen Scheibe zu nehmen, betätigte Kuntz einen Schalter, der den Raum dahinter nach und nach in hellem flackerndem Neonlicht erstrahlen ließ.
Sprachlos starrten Frank und Sarah durch die Scheibe. Dem Leuchten in ihren Augen und den offenen Mund entnahm Bernhard die Wirkung, die dieser Anblick bei den beiden verursachte.
„Das ist euer Fund. Das sind die Kunstgegenstände, die jahrzehntelang in Glostelitz eingemauert waren.“
Sorgsam aufgetischt, aneinandergereiht, offenbar stundenlang poliert und aufgemotzt standen die Sachen im ganzen Raum verteilt. Hier und da ließen die unterschiedlichsten Utensilien auf eine bereits in Angriff genommene Restaurierung schließen. Für einen Augenblick herrschte bei den Dreien absolute Ruhe. Das lauteste im Raum war das Surren der Neonlampen. Sarah und Frank waren fasziniert von dem Anblick. Keine Spur mehr von den über die Jahre in alten Stofffetzen und vergammelten alten Holzkisten gelagerten Sachen.
Während Sarah schon die Türklinke in der Hand hielt drehte sie sich zu Kuntz.
„Darf ich?“, fragte sie in leisem Flüsterton.
Mit einem kurzen Nicken bewahrte Kuntz die andächtige Ruhe. Vorsichtig, gefolgt von Frank und dem Polizeidirektor, betrat Sarah den Raum. Behutsam berührte sie den Kerzenständer, den Frank damals als erstes aus einer der Kisten rausgewühlt hatte. Es waren drei der gleichen Art. Sie sahen heute und hier ganz anders aus. Der mattglänzende Bronzeton wirkte sauberer, ordentlicher, fast wie neu.
Das einzige, was sie unterschied, waren die kunstvollen Verzierungen und vor allem ein mitten im Davidstern angebrachtes, kaum zu erkennendes Zeichen. Vielleicht ein hebräischer Buchstabe oder eine Ziffer. War Sarah damals gar nicht aufgefallen. Auch die tellergroße Platte am unteren Ende hatte ähnliche Verzierungen, die vielleicht in der jüdischen Kultur irgendeine Bedeutung darstellten.
„Kandelaber“, kommentierte Kuntz Sarahs aufmerksame Begutachtung.
„Ich dachte, Kandelaber sind Straßenlaternen?“
„Dachte ich auch. Die Kunstfritzen haben mich aber eines Besseren belehrt.“
„Das alles war da drin?“
Frank war sichtlich überrascht von der Masse an Gegenständen. Sarah, die jedes Stück mit einer vorsichtigen Berührung begutachtete wandte sich an Kuntz.
„Warum steht das hier und ist nicht in irgendeinem Museum? Die müssen dir doch die Bude eingerannt sein?“
„Tja Sarah, dazu kommen wir gleich.“
„Was ist das wert?“
Nachdenklich, als müsse er nach einer Antwort suchen, schüttelte Bernhard den Kopf.
„Du hattest damals nicht ganz Unrecht. So wie es hier steht, ohne Bezug auf jegliche individuelle Interessen…, ich glaube so um die fünf bis sechs Millionen.“
Sprachlos, den Mund vor Erstaunen geöffnet, starrten die Beiden Kuntz an.
„Ja, ja, ihr habt richtig gehört. Das ist schon ein mächtiges Ding. Und du hast noch mal Recht. Sie sind uns die Bude eingerannt. Es gab Augenblicke, da war ich mir nicht mal mehr sicher, ob ich Museumsverwalter oder Polizeidirektor bin.“
„Wenn die das in Glostelitz erfahren, flippen die aus.“
Kuntz unterbrach Sarah mit einem kurzen: „Erfahren sie ja nicht. Jedenfalls nicht von euch.“
„Aber…, warte…, du hast gesagt, wir sind vielleicht die letzten Außenstehenden, die das sehen? Und was meinst du mit ideellen Interessen?“
„Kommt. Lasst uns nach nebenan gehen.“
Ohne ein weiteres Wort zu verlieren verließ Kuntz die Räumlichkeiten. Immer noch überwältigt von dem Anblick folgten Sarah und Frank dem Direktor den Flur entlang in einen Art Konferenzraum. Die drei nahmen Platz. Vor ihnen lagen verschiedene Akten, Dossiers wie es schien. Ein Haufen Papierkram jedenfalls.
„Nehmt Platz.“
Während sich Kuntz die Brille auf die Hälfte der Nase schob, wühlte er in einer der Akten. Mit skeptischem Blick zog er behutsam ein Schreiben hervor. Das Papier unterschied sich von der Qualität der anderen erheblich. Edles Büttenpapier, fein marmoriert mit einem, trotz der Schrift, gut zu erkennenden Wasserzeichen. Anscheinend irgendein Wappen. Die Zeilen schienen per Hand geschrieben. Auf alle Fälle sah das Schreiben vornehm aus, fast wie ein königliches Papier, in Wichtigkeit wohl kaum zu überbieten.
„Es wurden Ansprüche gestellt. Besitzansprüche.“
Während Kuntz, fast schon ein wenig hoffnungslos zu Gehör brachte, was ihm seit Tagen auf der Seele brannte, verteilte er Kopien von dem Schreiben. So konzentriert Frank das Schreiben las, so oberflächlich überflog Sarah es. Ab und an blickte sie zu Kuntz. Eigentlich erwartete sie von ihm, etwas ganz Anderes zu hören, als dass irgendwer jetzt Ansprüche stellt. Sie rutschte nervös auf ihrem Stuhl hin und her.
„ Banque pour l’art - schon mal was von gehört?“, fragte Kuntz in den Raum hinein ohne seinen Blick von dem Schreiben zu nehmen. Jetzt schaute auch Sarah kurzeitig konzentrierter auf das Schreiben.
„Bank für Kunst?“
„Eine Schweizer Bank. Sitz in Bern, gegründet irgendwann mal in Lausanne.“
Während Sarah das Schreiben durchblätterte, blickte sie ab und an erwartungsvoll zu Kuntz. Der ließ sich aber nicht beirren.
„Also. Ich versuche es mal kurzzufassen. Diese Banque pour l’art vertritt die Ansprüche einer sogenannten Ruben Compagnie . Sie sind der Meinung, nachweisen zu können, dass die gefundenen Kunstgegenstände Teil eines größeren Privatvermögens sind und damit ihnen gehören.“
„Der Bank?“
„Nein. Dieser Compagnie. Die Bank verwaltet deren Vermögen und vertritt mit einer Armada von Anwälten, selbstredend mit Vollmacht, die Ansprüche von denen. Die haben natürlich ein Interesse daran, den Rest auch noch unter ihre Fittiche zu bekommen. Verständlich.“
Frank schien irritiert. „Eine Bank die nur Kunstgegenstände verwaltet?“
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