Michel war da und fing sie auf. Er hob sie auf seine Arme und setzte sie auf die Couch auf Deck. Sie kam nach zwei Minuten wieder zu sich und weinte hemmungslos an seiner Schulter. Cora versuchte Marie zu trösten.
Katja stand auf und nahm die roten Rosen, die man für sie bestellt hatte. Sie setzte sich wieder an den Rand und ließ langsam Rose für Rose über Bord gleiten.
„Was soll ich nur ohne dich tun?“, flüsterte sie leise vor sich hin. „Mein Leben ist zu Ende. Ich werde nie wieder glücklich sein. Ich war mit dir auf der Überholspur und nun wurdest du so ungerecht aus dem Leben gerissen. Warum tust du mir das an? Wie soll ich alleine klarkommen? Ich liebe dich so sehr. Gerne würde ich dir jetzt folgen, aber ich weiß ja, du wartest auf mich. Ich will bald wieder bei dir sein, mein Geliebter. Das Leben ist ohne dich nichts mehr wert. Ich weiß nicht, was ich tun soll … ich habe so eine Angst allein.“
Cora half ihr auf. Sie hatte entsetzt und traurig die Worte gehört. Wie konnte sie ihrer Freundin helfen? Sie befürchtete, dass Katja sich von diesem Schicksalsschlag nicht wieder erholen würde.
Alle ließen die restlichen Blumen auf der Wasseroberfläche schwimmen. Die Strömung trieb sie aufs Meer hinaus. Es war, als würden mit den Blumen die geliebten Menschen in die Welt hinausschwimmen.
Katja schaute ihnen hinter einem Tränenschleier sehnsüchtig nach. Dann sank sie kraftlos in Michels Arme. Joshua holte den Anker ein und die Jacht wendete. Sie erreichten den Hafen von Toulon, Marie bedankte sich bei Joshua und dem Bestatter für die bewegenden Worte. Michel und Cora hatten Katja zum Auto geführt. Michel setzte sich wieder hinter das Steuer und als Marie eingestiegen war, fuhren sie heim in die Villa. Dort legte sich Katja ins Bett. Sie war am Ende ihrer Kräfte.
So bemerkte sie auch nicht, dass am anderen Morgen der Anwalt sich verabschiedete, um in Deutschland alle weiteren Angelegenheiten zum Abschluss zu bringen.
Er sagte zu Cora: „Lasst sie schlafen. Es war eine schwere Zeit und ich glaube nicht, dass die nächsten Tage und Wochen besser werden. Ich nehme mir ein Taxi. Wenn ich alles erledigt habe, melde ich mich bei euch. Wir sehen uns dann Ende der Woche. Ich fahre zuerst zu Bea und Hannes.“
„Bestell ihnen liebe Grüße. Wir kommen mit Katja, ich hoffe, sie schafft das.“
Alle umarmten sich. Es war gut, dass der Anwalt ihnen beigestanden hatte. Sie wären sonst überfordert gewesen. Auch Michel hatte einen klaren Kopf behalten, aber über die rechtlichen Belange wusste er ja nichts. Wenn wie hier eine ganze Familie ausgelöscht wurde, war viel zu bedenken. Sie hatten, so dachte Michel, alles ganz gut in den Griff bekommen.
Auch Katja würde sich eines Tages wieder erholen, auch wenn es niemals mehr so sein würde wie früher.
In den nächsten Tagen stand Katja morgens tapfer auf und aß ein wenig. Dann setzte sie sich auf die Terrasse. Wie würde es weitergehen?
In diesem Augenblick wanderten ihre Gedanken zurück in die Zeit, als sie nach der Abreise aus Deutschland in Südfrankreich angekommen waren. Das halbe Jahr lief wie ein Film vor ihr ab. Die glückliche Zeit mit Daniel war ihr genauso vor Augen wie das Ende der Geschichte um Eva.
„Nichts und niemand bringt uns jemals auseinander“, hatte Daniel gesagt, nachdem sie aus Paris zurückgekehrt waren. Katja hatte ein zweites Mal JA gesagt. Danach hatte Daniel seine Frau im Arm gehalten und geküsst.
Katja flüsterte glücklich in sein Ohr: „Liebe meines Lebens. So wird es immer bleiben.“
Sie hatten noch zwei Wochen bei Karim gewohnt, dann waren Katjas neue Papiere fertig und sie packten gemeinsam ihre wenigen Dinge zusammen, die ihr nach dem Feuer geblieben waren. Einmal waren sie gemeinsam zu ihrem Haus gefahren, aber Katja war über den trostlosen Anblick so erschüttert, dass sie nicht einmal aus dem Auto steigen konnte. Tränen der Trauer und der schmerzvollen Erinnerung liefen über ihre Wangen. Daniel war nur kurz um die schwarzen Reste, die einmal ein Haus gewesen waren, herumgegangen. Alles war zerstört.
Karim hatte versprochen, sich um alle Angelegenheiten zu kümmern, die den Abriss und den Verkauf des Grundstücks betrafen.
Maurizios Eltern waren gekommen, hatten ihn einäschern lassen und die Urne mit nach Italien genommen, um sie in ihrer Nähe beizusetzen. So war er doch noch heimgekehrt, aber diese Heimkehr hatte er immer anders geplant.
Katja wollte gerne mit seinen Eltern telefonieren und alles erklären, aber auch nach Wochen hatte sie nicht die Kraft dazu gefunden. Teresa und Enrico taten ihr sehr leid. Sie mussten von der Polizei erfahren, was passiert war.
Maurizio hatte ihr Schreckliches angetan, aber zu sterben hatte er nicht verdient. Katja hatte viel mit ihren Freunden darüber geredet. Sie hatte sich die Schuld gegeben, aber Bea hatte Katja davon überzeugen können, dass alle Schuld bei Maurizio und dessen Problemen zu suchen war.
Daniel hielt Katja fest und brachte sie nach Südfrankreich, in ihre neue Heimat. Dort war ihre Familie. Sie wohnten bei Marie, die Katja liebevoll umarmt hatte.
„Katja, hier lieben dich alle, du musst keine Angst haben, dass dir jemand weh tut. Bleibt bei mir, solange ihr wollt. Ich habe genug Platz. Und wenn ich euch auf den Wecker gehe, dann suchen wir euch ein schönes Haus in der Nähe.“
Auch Thea und Richard waren gekommen, um ihre alte und neue Schwiegertochter in die Arme zu schließen. Katja weinte noch sehr viel, aber als es Herbst wurde, wischte sie die letzten Tränen fort.
Zu Daniel sagte sie: „Jetzt ist alles gut. Ich will nicht mehr weinen, nur noch vor Glück. Bitte geh nie wieder weg oder lass mich alleine. Ab jetzt machen wir alles zusammen. Ich will auch bei dir arbeiten. Überlege dir, welche Aufgaben ich erledigen kann.“
„Schatz, du musst doch nicht arbeiten.“
Katja lächelte.
„Ich weiß, aber du kennst mich doch. Herumsitzen ist nicht meine Art, und zum Unterrichten reicht mein Französisch nicht aus. Außerdem sind wir dann noch viel mehr zusammen.“
Daniel küsste sie und nickte. Er würde ihr eine Beschäftigung im Weinhandel geben, denn sie hatte sich auf dem Weingut sehr gut angestellt. Sie könnte am Empfang arbeiten oder im Verkauf.
Er sagte: „Aber zuerst machst du einen Sprachkurs. Denn ich hoffe, wir bleiben hier.“
„Ja, wir blieben hier. Ich habe zwar noch Cora und Bea in Deutschland, aber sonst habe ich alles verloren. Meine Freunde können mich jederzeit besuchen kommen.“
Der Abschied von Karim, Bea und Hannes war tränenreich gewesen, mit Cora und Michel hatte sie telefoniert. Karim musste sich noch um seinen Job kümmern, seine Wohnung verkaufen, dann würde er nachkommen und bei Daniel arbeiten.
Marie, Thea und Richard waren darüber sehr froh, denn nun war die Familie wieder zusammen. Cora und Michel hatten ihren Besuch für Weihnachten angekündigt.
An einem Donnerstagabend im November fuhr ein Auto in die Einfahrt. Katja hatte aus dem Fenster geschaut. Sie waren gerade beim Abendessen.
„Karim!“, rief Katja begeistert und eilte hinaus.
Daniel und Marie folgten ihr und alle umarmten den Freund voller Begeisterung. Karim berichtete, dass nun alles erledigt war in Deutschland und er gekommen war, um hier bei ihnen zu bleiben.
Katja sagte: „So ist es gut. Nun sind wir wieder beisammen. Meine Familie.“
Karim küsste sie auf die Stirn.
„Ich habe euch ganz schön vermisst, aber Bea und Hannes waren immer für mich da. Ich soll euch ganz lieb grüßen.“
Daniel strahlte nur, er war froh, seinen besten Freund nun wieder bei sich zu haben. Er hatte schon alle Papiere fertiggemacht, damit Karim in der Firma die Transportaufgaben übernehmen konnte. Sie würden gemeinsam durchstarten und Marie konnte sich nun endlich in den wohlverdienten Ruhestand begeben.
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