Das schockiert mich.
Seit wann bin ich so oberflächlich? So gleichgültig? Wann bin ich so geworden? Wann habe ich mich verändert?
Auf einmal scheint Leben in ihn zu fahren, er rafft sich auf und beugt sich übers Klobecken, bevor er sich in einem Schwall in selbiges übergibt.
Ich weiche einen Schritt zurück. Mir ist nicht klar, ob es des Geruchs oder der Erkenntnis wegen ist, dass ich gerade seine Privatsphäre verletze.
Als er mich bemerkt, sagt er in völlig gleich bleibendem Ton, ohne auch nur eine einzige Silbe zu betonen: „Mir ist bloß schlecht. Hab wohl zu viel getrunken…“
Das ist alles.
Kein Geständnis. Kein weiterer Kommentar. Keine Erklärung für seinen Zusammenbruch.
Unschlüssig warte ich noch eine Weile, bis er von selbst rauskommt.
„Geht’s wieder?“, frage ich.
„ Ja. Komm gleich. Nur noch etwas frisch machen“, nuschelt er mir zu.
„Geh schon mal vor zu den anderen, nicht dass die sich noch Gedanken machen…“
„Geht klar.“, sage ich, schiebe meine Fäuste in die Hosentaschen und versuche, total cool zu wirken, während ich zurück an unseren Tisch schlendere, so, als wäre nichts gewesen.
Und dann weiß ich, was es ist, was mich so beunruhigt. Nicht, dass er sich heimlich an diesen Ort zurückgezogen hatte, um zu heulen. Nein, diese eigenartige Kälte in seiner Stimme und diese unheimliche Leere in seinen Augen. Das war es, was mir richtig Angst machte.
Zu diesem Zeitpunkt war mir noch nicht klar, dass er Hilfe gebraucht hätte. Von einem Freund. Vielleicht sogar meine.
Ich habe ihn später nie wieder so gesehen und mir schön geredet, was ich an diesem Abend in unserem Klub zu sehen bekam, war wirklich nur dem vielen Alkohol geschuldet.
Jeder hatte schließlich mal ein Tief.
Andererseits kann ich mich der Tatsache nicht verschließen, dass er in letzter Zeit ziemlich viel an Gewicht verloren hat und immer irgendwie zu blass ist. Im Gegensatz dazu ist er jedoch stets aufgekratzt oder wie aufgezogen.
Manchmal, wenn er sich unbeobachtet wähnt, ist es, als komme einen kleinen Moment sein wahres Ich zum Vorschein. Dann scheint er der Welt unendlich fern, entrückt, in sich selbst gefangen. Sein Lachen aufgesetzt.
Ich habe dabei oft das Gefühl, er hat keinen Spaß mehr daran, mit uns Musik zu machen.
Demgegenüber sind wir alle irgendwann mal müde, erschöpft, ausgebrannt, was ja kein Wunder ist bei dem Stress.
Auch aus diesem Grund gehe ich dem nicht weiter nach.
Wir machen weiter wie bisher.
Unser Leben kann nicht besser sein.
Wir werden umschwärmt: Unsere Downloads und CD-Verkäufe laufen prächtig.
Radio- und Fernsehstationen wollen uns interviewen, die Hochglanzmagazine verlangen Homestories von uns über die verrückten Sachen, die wir angeblich so machen.
Die Mädels liegen uns zu Füßen.
Wir verdienen viel Geld, fliegen um die Welt, geben Konzerte.
Und immer wieder Alkohol, Drogen, Partys.
Ich wache wieder erst weit nach Mittag auf, mit einem Kater.
Einem Mörderischen.
Ich sehe die leeren Flaschen auf dem Boden liegen, neben meinen Sachen, die ich achtlos auf den Boden verstreut habe.
Es riecht nach Zigarettenqualm.
Da hat wohl die letzte Party bei mir stattgefunden.
Ich höre, wie der Motor des Aufzuges anspringt. Ein leises Surren, ein Ruckeln und der Lift setzt sich in Bewegung.
Ich blicke auf die Anzeige. Erster Stock, zweiter…
Spätestens jetzt wird mir klar - er wird direkt an meinem Loft halten.
Ich erwarte niemanden.
Wahrscheinlich ist es einer der Jungs, der etwas vergessen hat.
Als sich die Tür des Lifts öffnet, steht da meine Mutter.
Ihr Blick verrät, was sie gerade denkt. Sie ist entsetzt.
„Gott, Junge, wie sieht es denn hier aus? Dein Vater kommt gleich nach. Er muss nur noch den Wagen parken.“
Und mit einem weiteren Blick auf das Chaos sagt sie: „Ich glaube nicht, dass das mit dem Aufräumen in der kurzen Zeit zu schaffen ist.“
Sofort stürzt sie los ins Bad und sucht nach einem Lappen und Putzmittel.
Blass kommt sie jedoch im nächsten Moment wieder raus.
„Was hast du denn?“ frage ich sie.
Sie zeigt nur ins Badezimmer.
Also gehe ich nachgucken.
Ich bin auf alles gefasst. Das Schlimmste.
Aber mir fällt nichts Ungewöhnliches auf.
Wie auch?
Mein Blick fällt auf die Fliesenabsätze, dort einige verräterische Spuren.
Reste weißen Pulvers. Reste der Lines.
„Junge, du nimmst doch dieses Zeug nicht etwa?“
Ich schüttele den Kopf und fühle mich schlecht, der Lüge wegen.
Mein innerer Schweinehund jedoch mildert bereits dieses Gefühl ab. Eigentlich habe ich gar nicht gelogen, ich habe ihr ja nicht mal geantwortet.
Ich stelle mich vor den Kleiderschrank und ziehe eine Jeans und ein weißes Hemd heraus, und während ich mich schnell anziehe, komme ich ihr mit dem Vorschlag: „Lass uns ihm entgegen gehen und irgendwo einen Kaffee trinken und etwas essen.“
Sie scheint erleichtert. „Das wird wirklich das Beste sein, John.
Junge, ich möchte nicht, dass dich dein Vater so sieht. Du weißt, er ist nicht sonderlich davon begeistert, was du machst und dass du mit diesen Jungs zusammen bist. Er hätte dich lieber als Arzt oder Anwalt gesehen…“
Während sie dies sagt, stehe ich vorm Waschbecken und mache mich schnell etwas frisch. So gut das eben in der Kürze der Zeit geht.
Das Haargel lasse ich heute lieber weg.
Dann nehme ich sie bei der Schulter und dränge sie in den Fahrstuhl.
Gerade noch rechtzeitig.
Denn als wir im untersten Geschoss ankommen, steht mein Vater schon an der Fahrstuhltür.
„Vater.“, ist das einzige, was ich sage.
Er mustert mich und schenkt mir einen abschätzenden Blick.
Er muss gar nichts sagen, ich weiß ohnehin, was er von mir denkt.
Wir gehen schweigend nebeneinander her. Wie Fremde.
Dabei sind wir eine Familie.
Beim Essen entartet die Unterhaltung regelmäßig und mündet im Streit.
So wie heute auch.
Ich frage mich, warum sie überhaupt gekommen sind.
Als es mir reicht, stehe ich wortlos auf und gehe.
Ohne mich noch einmal umzudrehen, verlasse ich das Cafe.
Wieso ich mich gerade jetzt daran erinnere, kann ich nicht sagen.
Keiner von uns hatte ein eigenes Auto, und wenn wir Lust hatten, einfach mal durch die Gegend zu cruisen, lieh ich mir heimlich einen der Wagen meines Vaters aus. Natürlich war auch schon damals immer Alkohol im Spiel. Er half einfach dabei, Hemmungen und Ängste abzubauen, machte locker.
Jedenfalls waren wie an diesem Abend alle berauscht, ob vom Erfolg, vom Alkohol oder den Drogen kann ich nicht sagen. Vielleicht wollten wir ja auch nur den Mädchen gefallen.
Ich war zu schnell unterwegs, und so kamen wir in einer Kurve von der Straße ab. Es war nicht weiter schlimm, wäre da nicht die Straßenlaterne gewesen, an der das Auto schließlich erst zum Stehen kam.
Das Auto war hinüber, aber zum Glück hatten wir, außer dem Schrecken, nichts abbekommen.
Eigentlich hatte ich gehofft, im Gesicht meines Vaters Erschrecken über den Unfall zu sehen, und Freude darüber, dass es mir gut ging, aber er drehte sich nur wortlos um und ließ mich stehen, während mir meine Mutter erleichtert und schluchzend in die Arme fiel.
Bereits am folgenden Tag stand ein neuer Wagen vor der Tür. Das neueste Modell seiner Art.
Es war das Mindeste, was ich tun konnte, um mich bei ihm zu entschuldigen.
Ich kann mich noch gut an seinen Blick erinnern; da war so viel Ablehnung darin. Ich habe sofort seinen Vorwurf darin gesehen. Ich weiß, dass mein Vater nie damit klarkam, dass ich mit dem, was ich machte, mehr Geld als rechtschaffene Leute verdiente. Eine Schande.
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