Ns Hölderlin-Aufsatz kann auch als ein direkter Vorläufer von Ns Darstellungen der Figuren Schopenhauer und Richard Wagner in seinen letzten beiden „Unzeitgemäßen Betrachtungen“ gelten, wo er ebenfalls seine höchsteigenen Ideale in andere Existenzen übertrug, d.h. projizierte ! - Janz fügte an sein Urteil über Ns Hölderlin-Aufsatz noch eines über N selber an - selbstverständlich ein hochachtungsvolles : „Wie sehr spricht N hier schon von sich selbst, wenn er von seinem Dichter spricht! J1.79
So, wie jedes Mal, wenn N für etwas begeistert war! - Er sprach ja nur von sich selber und schilderte alles stark selbstmittelpunktlich von seinem eignen Empfinden in die Höhe getrieben und mit irgendetwas Unverfänglichem maskiert ! - Seinen Hölderlin-Aufsatz schrieb N, was selten so genau festzustellen ist, am 19. Oktober 1861, einige Wochen nach der Nürnberg-Reise, zu einer Zeit, in der er intensiv mit dem neu entdeckten Emerson innerlich vollauf beschäftigt war, d.h. schon sehr unter dem Eindruck von dessen N süchtig machenden Selbstherrlichkeiten. Janz behandelte den „Aufsatz-Fall“ auf befremdliche Weise anachronistisch vor Ns Bekenntnis zu seinem „Herrscheramt“, was zwar auch an einem Oktobertag - allerdings bereits drei Jahre vorher ! - geschehen war, als „es“ zwischen den oberen Umfassungsmauern des Schönbergturmes mit dem alleinigen Hauptdarsteller N über die Bühne ging und also dessen längst schon „herrscheramtlich“ eingestellte Wesens- und Gefühlsgrundlage bei dem Hölderlinaufsatz eine grundlegende Rolle in der Verteilung der Wertschätzungen zu spielen hatte. Darum geht es aber bei diesem umfangreichen Einschub nicht : Es geht vielmehr um die Reaktion des Lehrers auf dieses deutlich gemachte, so sehr persönlich offene Bekenntnis Ns zu Hölderlin, seinem damaligen „Lieblingsdichter“, der in jener Zeit offiziell wenig angesehen war: Denn das Urteil des Lehrers wirkte auf N frustrierend wie ein Keulenschlag. Es lautete mit Kommentar dazu in den Worten von Paul Janz:
Unter diesen Aufsatz schrieb ihm der korrigierende Lehrer ….. »Ich möchte dem Verfasser doch den freundlichen Rat erteilen, sich an einen gesünderen, klareren, deutscheren Dichter zu halten«“. Im Übrigen gab er ihm freilich die Zensur II bis IIa. Das genügte N, um nie mehr etwas von dem, was ihn wirklich bewegte, seinen Lehrern zu zeigen und von ihnen den Abstand zu nehmen, den er empfand.“ J1.80
Wenn dem so war, wie Paul Janz es beurteilte, wie viel weniger konnte es da unter den Lehrern einen geben, mit dem N über seinen Gefallen und sein Entzücken an den oft dem Größenwahn naheliegenden Sprüchen Emersons hätte sprechen können? - Verbunden obendrein mit der Notwendigkeit diesen dann auch über seine geheimsten Gefühle, Absenzen, „herrscheramtlichen“ Glücksmomente und die ihn immer wieder mal heimsuchenden „Erlebnisse des Allzusammenklangs “ ins Vertrauen zu ziehen?
So blieb N für die Auseinandersetzung seiner glaubensbereiten Begeisterung für Emerson nur dieser selbst - gewissermaßen als gottgleich „letzte Instanz“! - für das und zu dem , was jener N an Lebensgeheimnissen offenbarte und woran N - als neuestes Schul- oder sogar „ Lebensgesetz “! - weil es so ungeheuer vorteilhaft für ihn ausgefallen war ! - nur allzu gerne blind, fest und vor allem unerschütterlich glauben und darauf auch vertrauen wollte, so, wie seine Mutter es mit ihrem Gott und dem ihres Vaters und ihres Mannes - und damals jedenfalls offiziell alle Welt! - für richtig hielt!
In Ns Umfeld fehlte jemand, der ihm im Umgang mit Emerson als neutrale Instanz, als weiser, verständnisvoller Ratgeber und Vermittler zwischen so extremen Positionen hätte behilflich sein und ihm „reinen Wein“ hätte einschenken können! So allein gelassen und vor allem auf sich selbst bezogen, wie er ohnehin war, musste sich der eher leidenschaftliche N, der von sich aus gar nicht zu Distanz und Umsicht geschaffen war, hilflos in Emersons Wahrheiten verbeißen, verheddern und verrennen, zumal er gerne sein intuitives Dafürhalten für richtiger hielt als die überlegenswerten Aussagen auch anderer namhafter Autoren! - Dass es für N in dieser Situation keine korrigierende Stimme gab, führte ihn bei seiner schwer zu bremsenden Neigung oder Begabung oder auch ausgemachten Schwäche in eine sich damit schützen wollende ziemlich weit ausufernde Besserwisserei. In seiner vereinsamten Situation blieb N nur, Emerson fest, wachsam, eifersüchtig und missgünstig einzuschließen in seinem Herzen: Nie über ihn zu reden. Nie ihn zerreden und keinen Zweifel an ihm in sich aufkommen lassen! - Weil in solchem Fall sein „Halt-an-nicht-mehr-als-nur-an-sich-selbst“ zusammengebrochen wäre! Der einzige, der in diesen Bereich einen kleinen, schlitzbreit winzigen Einblick gewährt bekam, war der gleichaltrige, etwas später erst mit N enger verbundene Pfortaer adlige, erzkonservative Kamerad Baron Carl von Gersdorff. Von diesem mehr nachdem er spürbar in Ns Lebenskreis getreten war.
In Emersons „Essays“ behandelt das erste Kapitel unter dem Titel „Geschichte“ vieles, was N ein gutes halbes Jahr später wortgetreu in seine Aufsätze über „Fatum und Gesichte“ und „Willensfreiheit und Fatum“ übernehmen sollte. Das erste Kapitel der N wohl spätestens ab Anfang 1862 in deutscher Sprache verfügbaren „Führung des Lebens“ ist sogar mit dem Wort „Fatum“ überschrieben und wurde von N - mit noch weiteren Emerson-Inhalten! - ebenfalls ausgiebig - sowohl wörtlich als auch als Anregung für eigene Gedankenkombinationen! - verwendet .
Ns viele Einzelheiten sehr ausführlich behandelnder Biograph Paul Janz hatte - an Äußerlichkeiten des Biographischen klebend? - merkwürdigerweise zu Emerson so gut wie nichts zu berichten. Das erscheint insofern verständlich, als einerseits die in vollem Umfang erkannte Existenz Emersons für das „Ansehen“ Ns äußerst gefährliche Konsequenzen nach sich ziehen muss und andererseits von N her diese so verborgen gehandhabt wurde, dass erst die unabhängig von N einem zur Kenntnis gekommene detaillierte Kenntnis der beiden speziellen Emerson-Schriften ein distanzierendes Verhältnis zu N erzwingen, denn sie versetzen in die Lage, mit weit geöffneten auf die wahren Inhalte, Voraussetzungen, Bedingungen und Beeinflussungen für und von Ns „Philosophie“ und Leben zu blicken. Dadurch wird zerplatzt zwangsläufig der Traum vom ungeheuersten Denker-Heroen des Neunzehnten Jahrhunderts wie eine Seifenblase, - ohne für irgendwelche Anbetungsgelüste etwas übrig zu lassen. Janz hielt stattdessen für die Zeit von Ns Emerson-Infektion lieber eine sehr schemenhafte „Bedeutung“ der Ermanerich-Sage für außerordentlich wichtig, was aber für N nur eine kurze Episode geblieben war und im Vergleich zu Emersons Dauer-Wirkung so gut wie keinerlei Folgen heraufbeschwor.
Um nun auf den Kern zu kommen: Es drängt sich längst schon die Frage auf, was N denn bei Emerson so Eindrucksvolles gelesen hat - oder gelesen haben könnte! - was so umwerfend war und so überwältigende Spuren davon in Ns ganzes Leben und Schaffen grub? Glücklicherweise gibt es zur Dokumentation dessen eindeutig von Ns Hand stammende „Quellen“ und das ist: 1.) das, was er selbst in seinen Emerson-Exemplaren ange strichen beziehungsweise unter strichen hat und 2.) das, was er an Textstellen vor allem aus Emersons „Essays“ in eins seiner vielen Notizbücher übertragen hat, - sowie 3.) das, was er in seine Emerson - Exemplare hineinschrieb und 4.) das, was er an diesen Texten - in welcher Form auch immer - kommentiert und verändert hat. Außerdem spielt die Kenntnis von dem, was N an Emerson nicht schätzte - nämlich die in wesentlich nüchterner Wortwahl verfassten späteren Werke insgesamt! - bei der Beurteilung dessen, wo für N die Schwerpunkte seiner Hochschätzung Emersons gelegen haben , eine nicht unwesentliche Rolle; - vor allem bei der Eingrenzung von dem, was für N an Emerson von wirklich tragender, beispielloser und unverzichtbarer „Gültigkeit“ war!
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