Das Ganze war natürlich eine ziemlich gemeine Anspielung darauf, dass die kleine Referendarin tatsächlich nicht groß gewachsen war, oder genauer, dass ein bestimmtes weibliches Attribut bei ihr eben nicht besonders weit entwickelt war. Viele der Mädchen in meiner Klasse hatten trotz ihres geringeren Alters eine größere Oberweite als Sandra Eisenburg.
Ja – so ging es los!
Das nächste „besondere Vorkommnis“ gab es dann bei der Ankunft in der Jugendherberge in Verona. Ich stellte mich dem Herbergsvater als Klassenlehrer vor. Er begrüßte mich mit Handschlag und nannte seinen Namen. Dann stellte ich ihm meine Begleiterin vor, und leider merkte ich zu spät, dass er offenbar dachte, es sei meine Ehefrau. Erst als uns der Herbergsvater die Zimmer zuwies, stellte sich der Irrtum heraus.
„Sie beide“, sagte der joviale Mann, „sind in Zimmer 18 ...“
Sandra Eisenburg und ich sahen uns entgeistert an.
„Moment! Moment!“, rief ich hastig, und die Referendarin hob erschreckt ihre Arme und rief: „Aber das geht doch nicht ...!“
Es war ein folgenschwerer Irrtum. Selbstverständlich merkte der Mann an unserer Verwirrung rasch, dass hier eine falsche Information bei ihm angekommen war. Aber natürlich war dies für meine Schüler ein gefundenes Fressen. Es brach sofort Gejohle los, Kommentare wurden gegeben, gute Ratschläge erteilt.
„Aber das macht doch nichts – probieren Sie ̉s doch mal!“, wurde uns geraten, und „vielleicht gefällt es Ihnen – wir sagen auch nichts weiter!“, und ähnliches mehr.
Sandra Eisenburg wurde ein zweites Mal an diesem Tag rot, ich wurde blass, der Herbergsvater nervös. Er entschuldigte sich, biss sich auf die Lippen und meinte schließlich:
„Ja, das ist ärgerlich, sehr dumm! Das ist natürlich ein Missverständnis!“
Er sprach leise mit uns, und es stellte sich heraus, dass damit der ganze Belegungsplan für meine Klasse durcheinander geraten war. Auch hatte er für uns beide keine Einzelzimmer, sondern musste uns jedem ein Doppelzimmer geben. Aber das machte ja nichts, den Aufpreis bezahlte ich gern. Schwerwiegender war, dass auf diese Weise je zwei Mädchen und je zwei Jungen übrig blieben, die jetzt je in einem Vierbettzimmer unterzubringen waren.
Natürlich kamen auch jetzt wieder gute Ratschläge, besonders von meinen ungeratenen „Neuen“:
„Ach – geben Sie uns nur eines zusammen – wir passen schon auf uns auf ...!“
Oder: „Wir sollten doch den Zuschuss von der Schule sparsam verwenden, hier könnten wir damit anfangen!“
Jedenfalls war die Situation sehr, sehr dumm. Es gelang mir gerade noch, wenigsten die „Neuen“ nicht in den nur halb zu belegenden Vierbettzimmern unterzubringen, obwohl das, was ich im Nachhinein meine, fast besser gewesen wäre, denn da hätten möglicherweise die ganzen wilden Spiele, die sich in den folgenden Tagen ereigneten, und in die ich aufgrund meiner Unvorsichtigkeit hereingezogen wurde, nur innerhalb dieser vier stattgefunden, und vielleicht nicht den braven Rest meiner Truppe infiziert.
Also – noch ein Fehler!
Dann gab es zunächst einmal wieder eine Verschnaufpause. Alle hatten ihre Sachen unterzubringen, und wir sahen uns erst um halb sieben beim Abendessen wieder. Kalt – Brot, Wurst und Käse, dazu kalter Tee. Ich dachte mit Wehmut daran, dass ich mir jetzt zu Hause ein Steak in die Pfanne hauen würde, noch eine Flasche Wein dazu um den Abend vor dem Fernseher zu verbringen. Oder ich würde mich mal wieder bei Carmen melden ... das würde ihr Freude bereiten, und mir auch!
So saß ich nun inmitten meiner Horde; mein Blick fiel auf Sandra Eisenburg und ich dachte mir, dass sie zwar auch ein ganz nette Persönchen war, aber die Anwesenheit meiner Schüler machte es wohl unmöglich, mit ihr ein bisschen näher zusammenzukommen. Obwohl ich manchmal nicht übel Lust hatte, mir die süße Frau ein wenig genauer anzusehen...
Ich saß wohl gar zu versonnen da. Jedenfalls platzte mitten hinein in meine einschlägigen Überlegungen eine freche Bemerkung von Stefan, einem meiner Schüler, von dem ich doch angenommen hatte, er sei noch nicht von dem Virus der „Neuen“ infiziert:
„Jetzt tut Ihnen die Sache mit dem Doppelzimmer doch leid, oder?“
Wäre ich einigermaßen auf der Hut gewesen, hätte ich eine passende und unverfängliche Antwort geben können, aber tatsächlich war mir viel zu deutlich durch den Kopf gegangen, wie ich Sandra Eisenburg näher kommen könnte. Ich wurde ärgerlich, und zu allem Unglück stieg mir nun auch noch das Blut in den Kopf, und ich fühlte angesichts der schadenfrohen Blicke meiner Schüler, dass ich einen schweren Fehler begangen hatte. Ich riskierte einen unsicheren Blick zu der kleinen Referendarin, und ich war ungewiss, ob sie diesen Zwischenfall mitbekommen hatte. Im Augenblick deutete nichts darauf hin.
Mir wurde zunehmend bang bei der Vorstellung, eine Woche lang mit dieser Gruppe in einer Jugendherberge verbringen zu müssen. Es schien gerade so, als hätten sie sich abgesprochen, die Gelegenheit zu nutzen, alles, was frühere Klassen und Schüler in der Vergangenheit angestellt hatten, nun nachzuholen und dabei besonders die Komplikationen und Situationen, die sich aus dem Gegenüber von Mann und Frau ergeben, auszukosten.
Allmählich hatte ich mich wieder gefangen. Wider Erwarten verlief unser gemeinsames Abendessen ohne größere Probleme. Ich hatte es inzwischen aufgegeben, alles mitbekommen zu wollen, was da an den verschiedenen Tischen miteinander geflüstert wurde. Gerade aus diesem strategischen Grund saß Sandra Eisenburg nicht mit mir am Tisch, sondern an einem anderen. Sie würde ja auch einiges von den Tollheiten mitbekommen, die meine Klasse da ausheckte. Wir verabredeten uns nach dem Abendessen in dem Gemeinschaftsraum der Jugendherberge, um die noch ausstehenden Referate anzuhören.
Auch hier lief zu meiner Überraschung alles glimpflich, und ich schöpfte schon wieder Hoffnung, dass sich die ganze Klassenfahrt doch noch in geregelten Bahnen würde abspielen können.
Ich wurde bestärkt in dieser Ansicht, als wir nach den Referaten noch eine Weile zusammensaßen und den Plan des morgigen Tages besprachen. Selbst als ich gegen zweiundzwanzig Uhr – der Herbergsvater hatte schon ein paarmal seinen Kopf hereingesteckt, als wolle er fragen, ob alles wie vorgesehen laufe – das Zeichen zum Aufbruch gab, entstand kaum Murren, man verabschiedete sich allgemein, ich wünschte Sandra Eisenburg per Handschlag eine gute Nacht und ging noch einmal kurz nach unten, um mich bei dem Herbergsvater nach einigen Dingen zu erkundigen, die ich für die weitere Planung unserer Fahrt wissen musste.
Der freundliche Mann lud mich sogar zu einen Glas Wein ein, und als ich ihn wieder verließ, um mich endgültig zum Schlafen zu legen, war es bereits dreiundzwanzig Uhr.
Der Gang der Jugendherberge war schon fast ganz dunkel – es brannte nur eine sehr schwache Nachtbeleuchtung. Ich wusste, wo die Zimmer der Mädchen und die der Jungs lagen. Ich hörte zwar in allen Zimmern noch Stimmen, aber insgesamt war es relativ ruhig. Einmal war ich kurz in Versuchung, in eines der Mädchenzimmer hineinzusehen, ob auch alles in Ordnung war. Ich fürchtete allerdings, dass man mir dies sofort falsch auslegen würde – oder, genauer gesagt, viel zu richtig auslegen würde, denn die eine oder andere meiner Schülerinnen hätte ich schon ganz gern mal im Pyjama, im Nachthemd oder mit noch weniger gesehen, aber da war mir einfach das Risiko zu hoch. So beugte ich mich schließlich nur rasch zu einem der Schlüssellöcher der Mädchenzimmer herunter, aber es war alles dunkel und nichts zu erkennen. Bei den anderen beiden Zimmern war es auch so, und so ging ich zu meinem Zimmer, schloss auf, trat ein und suchte erst einmal nach dem Lichtschalter. Anders als bei den Zimmern für die Jugendlichen war es hier so, dass ich auch 22:30 Uhr noch Licht machen konnte, wie mir der Herbergsvater erklärt hatte.
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