1 ...6 7 8 10 11 12 ...20 „Scipione Caffarelli-Borghese - 1612“ das war der Titel des Buches und so holte der alte Archivar seine randlose Gleit-sichtbrille aus dem Etui und begann zu lesen. Es waren nur wenigen Zeilen in Latein aber sie waren genug, dass der greise Archivar sich erst einmal setzen musste. Doch zuerst musste sich Paolo ganz sicher sein und öffneten einen weiteren namenlosen Band aus der gleichen Epoche.
Es war das unbekannte Rechnungsbuch in dem man Aufzeichnungen zu den Finanzen der Päpste und der vatikanischen Regierung fand. Es dauerte eine ganze Weile, bis Paolo den gesuchten Eintrag fand. Das schwere Buch ließ er auf den Eichentisch seines Büros sinken und dachte angestrengt nach. Es konnte eigentlich nur eine Frage der Zeit sein, bis gewisse Fakten um diesen Würfel durch forensische Untersuchungen ans Tageslicht kommen würden.
Als passionierter Schachspieler versuchte der alte Archivar alle Möglichkeiten im Geiste durchzuspielen, die sich aus seiner internen Recherche im Archiv ergeben hatten. Er konnte es drehen und wenden, wie er wollte, aber zum Schluss seiner Überlegungen gab es nur eine Konsequenz. Mit einem Ruck stand der alte Mann aus dem Sessel auf, zog sein Smartphone aus der Sutane und wählte eine gespeicherte Rufnummer die er sich noch nie getraut hatte persönlich anzurufen: „Ich muss dringend den Heiligen Vater persönlich sprechen“.
Carlon Mellon University / Pittsburg
5. Oktober 2015
Dr. Kasha Muratti hatte sich seit drei Tagen nicht mehr im Internet bewegt und wusste deshalb nicht das Geringste von dem neu entdeckten geheimnisvollen Goldwürfel.
Außerdem interessierte sie sich auch nicht besonders für Unterwasserarchäologie oder alte Maya-Kulturen. Heute war ihre Antrittsvorlesung als Gastprofessorin an der Carlon Mellon University von Pittsburgh und deshalb hatte sie fast nonstop an ihrem Einstieg ins amerikanische Universitätsleben gearbeitet, Filme zusammengeschnitten, Animationen erstellt und vertont und ihre unfertige Präsentation jeden Tag mehrmals vor einer Videokamera selbst aufgenommen und wieder und wieder abgespielt. Jetzt fühlte sie sich bestens vorbereitet und konnte es kaum erwarten vor die hungrige Studentenmeute zu treten. Kasha hatte die letzten vier Jahre am „Large Hadron Collider“ (LHC) in CERN in der Schweiz geforscht.
Dort war sie ein Teil der internationalen Forschungscrew geworden und genoss das Flair und die grandiose Natur in der Schweiz. Doch Ihre Rückkehr war kein Zufall; mit ihrem Wissen sollte sie einer Arbeitsgruppe im Robotic-Institute in Pittsburgh angehören, die sich ausschließlich mit der Erforschung von Nano-Partikeln befasste.
Kasha wusste genau, wie sie ihren Studenten den Einstieg in die Materie präsentieren musste. Rein optisch war die 30jährige Wissenschaftlerin schon extrem attraktiv - etwa doppelt so hübsch, wie ihr Name klang. Als Kind eines ukrainischen Schachspielers und ihrer italienischen Mutter, die in einem Zirkus die Lipizzanerpferde trainierte, hatte Kasha niemals so etwas wie eine Heimat gespürt oder vermisst und ihre Kindheit in dem Tollhaus eines durch die Länder reisenden Zirkus erschien ihr wie ein nie endender Traum vom Glück. Kaum 12 Jahre alt geworden, endete dieses Leben, denn ihre liebe Mutter wurde von einem ausschlagenden Pferd in der Manege mit einem Schlag an den Kopf getötet - und Kasha landete daraufhin umgehend bei ihrem Vater - in der Schweiz.
Was sie an spielerischer Leichtigkeit und kunstvollem Umgang mit dem eigenen Körper im Zirkus gelernt hatte, war plötzlich nicht mehr interessant, denn Kashas Vater lehrte sie die hohe Kunst des königlichen Spiels mit allen Tricks, die er in mehr als 30 Jahren Spielpraxis erlernt hatte und Kasha war eine überaus gelehrige und eifrige Schülerin.
Das jahrelange Schachspielen hatte sie geformt: Mit Geduld und analytischer Akribie hatte sich ihr Wissensdurst schon auf dem Gymnasium gezeigt, denn sie war einfach die beste Schülerin - und das, ohne groß zu Pauken oder stundenlang Vokabeln zu lernen. Ihr fast fotografisches Gedächtnis war durch das Schachspiel geschult und so konnte sie sich Stadtpläne, chemische Formeln und lange metaphysische Abhandlungen so einfach merken, wie andere Menschen Kochrezepte verinnerlichten.
Es dauerte nicht lange, bis Kasha bemerkte, dass die ausgedehnten Reisen ihres Vaters nicht ausschließlich mit Schachturnieren zu erklären waren, denn oftmals traf sich ihr Vater zu spontan wirkenden Treffen mit verschiedenen Männern, die sich recht konspirativ verhielten und da Kasha „Eins und Eins“ zusammenzählen konnte, konfrontierte sie ihren Vater eines Tages ohne Umschweife mit ihren Vermutungen.
Kashas Vater war zwar nicht unbedingt die Traumbesetzung eines fürsorglichen Erziehungsberechtigten, aber er war kein Lügner und schenkte seine Tochter reinen Wein ein: „Ich arbeite schon mein Leben lang für eine ausgeglichene Nachrichtenlage zwischen Ost und West - oder einfacher formuliert: Ja - ich arbeite für den CIA!“
Kasha hatte kein Problem mit diesem Geständnis. Im Gegenteil, denn sie schätzte ihren Vater als einen weisen Mann ein, der diesen gefährlichen Zusatzjob nicht aus Gründen der persönlichen Bereicherung ausübte, sondern für seine Überzeugung, dass sich ein solider Frieden nur dadurch gewährleisten ließ, wenn die Nachrichtendienste möglichst viele Informationen über die jeweilige Gegenseite hatten.
Kasha war noch keine achtzehn Jahre alt, als sie sich auch entschied etwas „für ihr Vaterland zu tun“ und so bat sie ihren Vater, dass er sie bei dieser Idee unterstützte. Von da an wurde Kasha immer wieder zu Schulungen und Seminaren eingeladen, die von der NSA und dem CIA abgehalten wurden und die vor allem darauf abzielten, hoch qualifizierte Studenten zu finden und auszubilden, welche an Universitäten, die nicht von den USA kontrolliert werden konnten, Ergebnisse „abschöpften“, die im Interesse der nationalen US-Sicherheit lagen - egal ob sie militärischer oder wirtschaftlicher Natur waren.
Auch wenn Kasha deshalb keine „richtige Full-Time-Spionin“ war, hatte sie von diesem Moment an eine „unsichtbare Unterstützung“ durch die Dienste und wurde trotzdem nur dann kontaktiert, wenn sie glaubte, etwas Wichtiges gefunden zu haben - ansonsten sollte sie sich voll auf ihr Studium konzentrieren und das Netzwerk der freien Wissenschaft möglichst unverdächtig infiltrieren.
Nach ihrem Studium der Quantenphysik und einer unrettbar kaputten Beziehung mit der größten Liebe ihres Lebens hatte Kasha es aufgeben sich mit ihrem eigenen Cinderella-Komplex zu beschäftigen und so galt ihr einziges Interesse von nun an der Grundlagenforschung an unbekannter Materie. Allerdings war sie alles andere, als ein Kind von Traurigkeit und wollte sich hin und wieder auch sexuell ausleben.
Dabei aber, war ihr der Status als Uni-Professorin mehr als einmal unpassend „in die Quere gekommen“ und sie musste sich eine neue Strategie für ihren regelmäßig aufkommenden „Heisshunger“ einfallen lassen. Deshalb besorgte sie sich ein paar billige Perücken und einige Kleidungsstücke, die man am einfachsten im Internet bei gewissen einschlägigen Sexshops einfach und anonym bestellen konnte. Dann fehlte nur noch ein zweites billiges Prepaid-Handy mit einer unbekannten Rufnummer und schon war ihre Ausrüstung für ihre Streifzüge durch die Campusbars der Nachbar-Unis perfekt, denn in ihrer eigenen Uni wollte Kasha auf keinen Fall auf Männerjagd gehen - das kam überhaupt nicht in Frage, denn der Sinn ihrer Missionen lag ja nicht darin, „den einmaligen Prinzen auf dem weissen Schimmel für den Rest des Lebens“ zu finden, sondern sich einen möglichst gut aussehenden, gut riechenden Sportler oder Ähnliches aufzureissen, der es ihr anständig und ausdauernd besorgte und den sie im Nachhinein auch problemlos wieder aus dem Rest ihres Lebens löschen konnte, ohne das nervige Drama, das mit einer „normalen Beziehung“ verbunden war.
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