„Unser Freund Miramon hat Geschmack," nickte der Erzbischof, „aber was ich Sie fragen wollte, ist keine Depesche von Vera-Cruz eingetroffen?"
„Von Vera-Cruz? nein, außer daß vor wenigen Tagen ein heftiger Norder dort geweht und einige unserer Schiffe gefährdet hat."
„Also vom „Kaiser" noch keine Nachricht?"
„Kein Wort; aber ich glaube, daß wir ihn jeden Tag erwarten dürfen."
Der Erzbischof neigte sein Haupt, bis sein Kinn die Brust berührte, und schritt dann zu der andern Seite des Saales hinüber, wo er Miramon selber mit General Marquez und einem der höheren Geistlichen im Gespräch bemerkte.
Marquez war einer der erbittertsten Gegner der Liberalen, aber weniger des Systems, als der gerade am Ruder befindlichen Personen. Selber nur aus einer unbemittelten und niedrigen Familie entsprossen, hatte er sich, mehr durch sein rücksichtsloses Vorgehen auf ein bestimmtes Ziel, als durch besondere Bildung oder andere Fähigkeiten, einen Namen in der mexikanischen Geschichte gemacht. Welche Mittel er dabei gebrauchte, um seinen Zweck zu erreichen, war ihm völlig gleich, und er begrüßte deshalb den Einmarsch der Franzosen, die ihm halfen, den Indianer Juarez aus dem Felde zu schlagen, mit derselben Freude und Bereitwilligkeit, wie er /13/ sich den Nordamerikanern oder irgend einem andern Volksstamme zur Unterdrückung des Landes würde angeboten haben, sobald er dadurch für sich selber etwas zu erreichen hoffte. Vaterland? den Begriff kannte er nicht, und in seiner eigenen Heimath war er der gefürchtetste der Bandenführer. Ja die Mexikaner hatten damals, als Forey 4gegen die Hauptstadt anrückte, und Marquez ihm mit seinen Schwärmen vorauseilen wollte - selber den französischen Befehlshaber gebeten, die Hauptstadt zuerst von Franzosen besetzen zu lassen. Es waren das allerdings nur Fremde, aber die Bewohner von Mexiko wollten sich doch lieber diesen, als ihrem eigenen Landsmann Marquez anvertrauen.
Uebrigens gehörte er, ebenso wie Miramon, der Partei der Geistlichkeit an, war aber trotzdem bis jetzt den Franzosen eine treue Stütze gewesen und hatte sich auch bei vielen Angriffen so tollkühn der Gefahr ausgesetzt, daß er für einen der tapfersten, wie auch begabtesten Generale galt, - so weit sich eben das Wort Begabung auf diese Kriege anwenden ließ. Sein großer Vorzug bestand darin, daß er eine außerordentliche Terrainkenntniß besaß und sie richtig anzuwenden wußte. Man wollte auch in Mexiko behaupten, daß er früher Arriero oder Maulthiertreiber gewesen sei, wodurch er dann allerdings jeden Paß und Weg, jeden Fluß und Ucbergang genau kennen mußte. In einem Lande wie Mexiko aber war Terrainkenntniß die wichtigste und nothwendigste Eigenschaft eines Führers, und wenn dieser dann noch außerdem Muth genug besaß, um unerschrocken voranzugehen, so konnte er seines Erfolges so ziemlich sicher sein.
Mehr und mehr füllten sich die Säle, und besonders trafen noch viele Herren der hohen Geistlichkeit ein, von denen Miramon keinen übersprungen hatte. Oberst Mendez, ein anderer sehr tapferer mexikanischer Officier, der sich aber weit weniger zur geistlichen Partei hielt als Miramon und Marquez, erschien ebenfalls, wenn auch etwas später als die Uebrigen, da er erst an diesem Tag von einer Recognoscirungstour aus dem Westen zurückgekehrt war.
Mendez trug aber eben so wenig wie Lopez den mexikanischen Typus, und aus den ersten Blick hätte ihn wohl /14/ Jeder für einen etwas sehr dunkelhäutigcn Franzosen, oder auch vielleicht für einen Deutschen gehalten. Mit einem ziemlich runden Gesicht, mit braunem, nicht schwarzem Haar und einem Knebel- und Schnurrbart, verrieth nur die dunklere Färbung seines Gesichts indianische Abkunft, und er hatte außerdem etwas entschieden Soldatisches in seinem ganzen Wesen. Er mochte übrigens, wie schon vorerwähnt, von der Priesterwirthschaft nicht viel wissen, und stand deshalb auch nur wenig in Miramon's Gunst, aber er war ein wackerer Haudegen und haßte die Liberalen aus vollem Herzen - was Wunder denn, daß er sich den Franzosen, die er bald als tapfere Soldaten kennen lernte, mit voller Seele in die Arme warf. Wie die meisten seiner Landsleute jubelte er den Fremden entgegen, weil diese ihnen halfen, Rache an ihren persönlichen Feinden zu nehmen, und dachte nicht an eine kommende Zeit und wie es werden sollte, wenn diese einmal den Lohn für ihre Dienste verlangten. - Außerdem war er auch nur Soldat - die Politik mochte die Regierung besorgen und verantworten, und so lange er nur den Feind vor sich Hertreiben konnte, lag ihm das Andere wenig genug am Herzen.
Miramon, der den Erzbischof auf das Ehrerbietigste begrüßt und einige Worte mit ihm gewechselt hatte, wurde jetzt durch seine Eigenschaft als Wirth in Anspruch genommen. Viele der älteren Herren besuchten diese Tertulias nur, um ihre Partie dabei zu machen, und betrachteten jeden Augenblick, der ihnen daran gekürzt wurde, als unwiederbringlich verloren. Es blieb deshalb Sache des Wirths, sie in dem Arrangement zu unterstützen.
Eine kleine Gruppe mexikanischer wie französischer Officiere war eben im Begriff gewesen, in eins der Vorzimmer zu treten, wo auf der Credenz spirituöse Getränke, wie Cognac und Xeres, als auch Wasser und Zucker zum allseitigen Gebrauche stand, als sie den Erzbischof auf sich zuschreiten sahen und ihre Stärkung noch verschieben mußten, denn Monseňor konnten sie doch nicht gut mit dazu einladen.
Der Erzbischof befand sich in diesem Augenblick in einer ganz eigenthümlichen und nicht gerade angenehmen Stellung /15/ in Mexiko, denn selbst aus dem bisher regierenden Regentschaftsrathe, den er mit Bazaine und Minister Salas bildete, war er gewissermaßen ausgestoßen worden - er wurde wenigstens nicht mehr zu den Berathungen gezogen, und in Folge einer Malice Bazaine's gegen ihn auch der Ehrenposten von seiner Thür entfernt. Freundlich gestimmt konnte er deshalb nicht gegen die jetzigen Verhältnisse sein, und war es auch wahrlich nicht, aber der Gesellschaft zeigte er trotzdem ein glattes Angesicht.
Mit seinem Blick überflog er die Gruppe, und wohl sah er da manche „Gutgesinnte" - d. h. der Kirche vollkommen Angehörige - aber doch noch sehr viele „Zweifelhafte", ja Manche sogar, die er zu seinen entschiedenen Gegnern zählen durfte. Doch was that das? Das Oberhaupt der Kirche war es gewohnt, schwierige und oft sogar gefährliche Curven zu wandeln, und als sein Blick Obrist Lopez unter den Uebrigen erkannte, wandte er sich mit der ihm eigenen Leutseligkeit an diesen.
„Nun, lieber Obrist - guten Abend, meine Herren - ich habe Sie ja noch gar nicht wiedergesehen, seit Sie von Ihrem letzten wilden Zug zurückgekehrt sind. - Wie geht es Ihnen?"
„Diesmal war ich nicht so weit, Monseňor," lächelte Lopez, indem er sich aber doch zur Begrüßung straff und soldatisch emporrichtete. „Seit wir das Raubgesindel hier aus der Nachbarschaft trieben, hatte ich schon wieder die Ehre, in einer Soirée des Herrn Ministers Salas mit Ihnen zusammen zu treffen."
„Ach ja - ach ja - in der That! war mir wirklich entfallen; aber Sie dürfen mir deshalb nicht zürnen, Herr Obrist. Wir leben in einer ernsten Zeit, und unsere Gedanken werden unwillkürlich und immer nur unserer augenblicklichen precären Lage zugelenkt."
Lopez war zerstreut, denn an der Schulter des vor ihm stehenden Geistlichen vorbei erblickte er eine nicht in den Salon gehörende Gestalt, die er selber aber nur zu gut kannte. Es war anscheinend ein ganz gewöhnlicher Mexikaner aus den unteren Ständen, der sogar seine Zarape nach der Landessitte /16/ so umgeschlagen trug, daß sie ihm den untern Theil des Gesichts verdeckte. In der Hand aber hielt er ein zusammengefaltetes Papier, und augenscheinlich suchte er irgend Jemand im Saal.
Wie kam der Bursche hier in diese Räume, wie durch die Dienerschaft, und was wollte er? - suchte er ihn?
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