„Ach Mireille, lass es einfach so. Du kannst es nicht verstehen, und du kannst es einfach generell nicht. Afrikanische Männer sind halt anders.“
„Was meinst du mit anders?“
„Anders. Männlich halt“, antworte Ayossi knapp.
„Aha. Und du meinst, mit starken Männern, mit Männern, die männlich sind, kann ich nicht. Bin ich zu schwach.“
„Nein, nicht schwach, aber vielleicht zu unsicher, zu ängstlich. Ich weiß nicht, ob du mit einem Mann umgehen kannst, der dich einfach als Frau sieht. Der nicht sieht, was du bist, wieviel du verdienst, sondern nur, wie schön du als Frau bist und er als Mann. Das ist das Problem. Ein Mann, der dich als Frau respektiert und nicht dafür, was du geworden bist. Du könntest irritiert sein und es als respektlos empfinden, wenn er ignoriert, dass du Ärztin bist, ein Haus hast, ein Cabrio besitzt. Kannst du dich bei einem Mann behaupten, dem nur wichtig ist, wer du bist und nicht was du bist? Sag es mir, kannst du das?“, fragte Ayossi.
„Du meinst, dass ich zu emanzipiert bin, um einen echten Mann an meiner Seite zu haben?“
„He, Mireille, wir sind noch nicht so weit“, lachte Ayossi und fuhr fort, „siehst du, du bist schon in meinen Bruder verliebt. Siehst du, wie du schon sprichst? Ein starker Mann an deiner Seite. Ja, ja, mal sehen.“
„So habe ich es nicht gemeint. Wir reden hier einfach allgemein. Es bezieht sich nicht speziell auf deinen Bruder. Du hast so getan, als ob emanzipierte Frauen nicht fähig sind, Männlichkeit zu ertragen.“
„Emanzipiert bedeutet nicht stark, Mireille. Ich bin nicht emanzipiert, aber ich bin eine sehr starke und selbstbewusste Frau. Du kennst mich doch, Mireille. Glaubst du, dass ich mich einem Mann unterordnen würde? Dass ein Mann über mich bestimmen könnte, wie er will? Dass ich nur in der Küche bleibe und warte, dass er abends nach Hause kommt und dann ziehe ich ihm die Schuhe aus?“
„Bestimmt nicht, Ayossi. Nein, nein, du bestimmt nicht.“
„Siehst du, Mireille. Es geht nicht um Emanzipation. Dieses von Männern definierte Wort ist nicht das richtige für mich. Alles was mich von meiner Weiblichkeit und der Ehre eine Frau zu sein entfernt, tut mir nicht gut. Ich bin in der Lage, mit Männern Kompromisse zu finden. Bei ihnen meine Wünsche durchzusetzen, aber auch ihre Wünsche zu verstehen und viele davon zu erfüllen. Ich muss nicht immer in Kampfposition und auf die Barrikaden gehen, wenn ich einen Mann sehe. Ich bin sehr gerne eine Frau, weiblich und liebe es, wenn ich dafür auch bewundert werde. Ich habe kein Problem damit, dass der Mann einen Penis hat und ich eine Vagina. Ich habe kein Problem damit, dass er in mich reingeht und nicht ich in ihn. Das fühlt sich doch toll an“, sagte Ayossi.
„Ich bin ziemlich begeistert von deinen Ausführungen. Ehrlich gesagt, ich habe die Sache noch nie aus diesem Blickwinkel gesehen. Aber nichtsdestotrotz bin ich sehr wohl in der Lage, Männer, die Männer sind, etwas zu fragen und Unstimmigkeiten auszuräumen. Ob du willst oder nicht, werde ich ihn wieder darauf ansprechen und die Sache klarstellen.“
Als Ayossi lachte und die Küche verließ, war Mireille nicht klar, dass sie gerade manipuliert worden und in der Falle gelandet war.
Ayossi war sehr zufrieden damit, wie das Ganze gelaufen war und als Frau wusste sie auch, dass Johnny nun die Aufmerksamkeit von Mireille auf sich gezogen hatte. Sie konnte ahnen, was nun in Mireille ablief, und sie war sich sicher, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis es kam, wie es kommen sollte.
Tatsächlich beschäftige Mireille diese Begegnung noch Tage danach sehr. Sie hatte die Szene zig Male immer wieder Revue passieren lassen. Sie sah immer noch diese Überraschung im Gesicht des fremden Mannes, als sie die Küche betreten hatte. Sie sah immer noch diesen Blick, der sie sofort entkleidet hatte. Es war ein klarer, selbstbewusster Blick voller Lust gewesen. Ein Blick, der sagte, ich werde dich haben. Ja, das waren Sekundensituationen, in denen eine Frau spürte, dass etwas in ihr gelandet war, Sekundenmomente, in denen sie wusste, sie würde nicht nein sagen können, wenn er sie küssen wollte.
Sie ertappte sich mehrmals dabei, wie sie schon alles fantasierte, was sie mit ihm, bzw. was er mit ihr machen würde. Ihre Fantasien gaben ihr ein schönes Gefühl, aber sie schämte sich auch dafür, wie sanft doch eine angeblich so harte Frau sein konnte. Sie hätte das nie gedacht, dass ihr so etwas passieren würde. In ihrem bisherigen Sex- und Liebesleben hatte sie immer den Eindruck gehabt, sie entscheide. Aber nun musste sie zugeben, dass er entschied. Er hatte über sie entschieden. Er hatte ihre Hormone in lustvolle Kampfposition erregt, und nun, eine Woche nach dem ersten Treffen mit diesem Mann, war sie sich hundertprozentig sicher, dass sie nicht nein sagen würde, wenn dieser Mann sie wollte. Ja, sie wollte ihn auch. Auf einmal schämte sie sich nicht mehr für ihre Fantasien. Die Tür war offen und ihre Vorstellungen, was sie beide machen würden, erhöhten die Lust auf diesen Mann immer mehr. Sexuelle Träumereien, die sie seit Ewigkeiten nicht mehr und überhaupt noch niemals in dieser Intensität gehabt hatte, beflügelten ihren Kopf und machten sie seit Tagen so fröhlich, so glücklich.
Sie entschied sich, wieder Sport zu machen, sich eine neue Frisur zu gönnen. Sie ging zur Kosmetikerin, kaufte sich neue Kleidung, was von Ayossi nicht unbemerkt blieb, aber ihr Sorgen machte. Was, wenn ein anderer Mann der Grund wäre? Der Plan mit Johnny fiele dann ins Wasser, dachte sie. Sie entschied, ein bisschen mehr herauszufinden.
An diesem Tag, wie schon in den letzten drei Tagen, war Mireille viel früher von der Arbeit da.
„Hey, Mireille, was ist los? Seit einer Woche bist du in so einer Stimmung. Neue Frisur, neues Outfit, Sport, wenig essen. Bist du verliebt? Steckt ein Mann dahinter?“
Mireille war sehr überrascht. Sie hatte diese Frage nicht erwartet. Sie hatte sich einfach keine Gedanken darüber gemacht, wie sie auf andere Menschen wirken würde. Deswegen fand sie so schnell nicht die passende Antwort.
„Aha! Es gibt doch einen Mann? Gib es zu! Es ist doch ein Mann! Wann hast du ihn kennengelernt?“
„Ayossi, wie kommst du darauf, dass ich einen Mann kennengelernt habe?“
„Das sehe ich doch. Ich bin auch eine Frau. Auf einmal passt du so auf deine Figur auf. Bei uns Frauen hat das immer mit einem Mann zu tun. Sag mal, wie sieht er aus?“
Mireille war anzusehen, dass sie überrumpelt war, aber sie entschied sich, in die Offensive zu gehen.
„Vielleicht hast du Recht, aber ich werde dir kein Wort dazu sagen. Ich werde dich so neugierig machen, bis du aufhörst hier zu arbeiten“, sagte sie lächelnd.
„Oh, in diesem Fall könnte es sehr lange dauern. Ich bin dann gespannt, ob du auch so lange warten kannst, bis er dich hier besucht. Ich werde immer noch hier arbeiten“, witzelte Ayossi.
„Na, dann warten wir ab“, sagte Mireille.
„Ach, Mireille, mach es doch nicht so spannend. Ist er blond?“
„Ich mag keine blonden Männer.“
„Ist er groß?“
„Vielleicht ja.“
„Sieht er sportlich aus? Wenn ich jetzt sehe, wie du Sport treibst gehe ich davon aus, oder?“
„Vielleicht ja.“
„Ist er auch Arzt wie du?“
„Ich mag Männer im gleichen Berufsfeld gar nicht. Sollen wir jeden Tag nur über Krankheiten reden?“, antwortete Mireille.
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