Eigentlich brauchte sie nur einen richtigen Mann, sagte sie sich immer. Das Thema war auch eine große Diskussion mit ihrer Mutter, die im Gegensatz zu ihr seit über 50 Jahren mit dem gleichen Mann verheiratet war.
„Mi, immer noch allein?“, fragte ihre Mutter meist, wenn sie sich trafen.
„Mama, ich will nicht darüber reden“, versuchte sie sich zu verteidigen.
„Ach, ich habe dir schon immer gesagt, Frauen wie du werden es später bedauern. Du bist hübsch, du bist erfolgreich, aber einen Mann kannst du nicht halten.“
„Mama, es sind die Männer, die mich nicht halten können. Nach einigen Monaten gehen sie immer, nachdem sie erfolglos versucht haben mich zu verändern.“
„Ja, meine Tochter. Du bist zu hart, zu männlich, genau, wie dein Vater, aber wir sind seit 50 Jahren zusammen.“
„Aber bist du glücklich, Mama? Ich sehe bei euch, dass alles eine Gewohnheit geworden ist. Ich sehe oft, wie ihr euch langweilt.“
„Meine Tochter, irgendwann im Leben muss man eine Entscheidung treffen. Man kann nicht immer alles haben, was man will. Sonst wärst du nie geboren worden. Du bist schon fast 40 und hast immer noch kein Kind. Das ist nicht normal. Jeder Mensch, wenn er nicht krank oder behindert ist, sollte der Welt ein Kind geben, ein Leben geben. Alles andere ist Egoismus und schlecht. Nur Menschen, die nichts Göttliches in sich haben, das heißt Menschen, die das Böse in sich tragen, geben der Natur nicht das zurück, was sie bekommen haben, nämlich das Leben.“
„Ich sehe das fast genauso wie du, Mama, aber wenn ich keinen Mann finde? Was soll ich tun? Ich brauche halt einen Mann und kein schwaches Zeug, das nach zwei Minuten fertig ist und mich dann auch noch fragt, ob es toll für mich war! Sie können mich so unsanft und männlich nennen, wie sie wollen. Es wäre ihre Rolle gewesen, durch ihre starke Männlichkeit meine Weiblichkeit hervorzulocken. Aber wo finden starke Frauen starke Männer? Mama, ich kann nicht so leben, wie du mit Papa lebst. Ich vermute, dass du nie sexuell befriedigt warst. Sag mir nicht, doch. Du bist zu untergeben, als dass ein Mann sich bemühen würde dich zu verwöhnen. Ich will aber einen Mann, der mich verwöhnen kann. Der ein Gentleman ist, und der kein Problem damit hat, dass ich die Chefin einer renommierten Zahnarztpraxis bin. Ich warte auf den richtigen Mann, der einfach ein Mann ist, und der mich auch in die Schranken verweisen kann, ohne Angst zu haben, dass ich ihn deswegen verlasse. Ich warte auf diesen Mann, der mir nein sagen kann, der mir mit männlicher, selbstbewusster Stimme Kontra gibt und mir sagt, dass ich jetzt sofort aufhören muss. Einen Mann, der im Bett ein Mann ist. Ohne das geht es bei mir nicht. Wo finde ich so einen, Mama?“
„Da kannst du lange drauf warten, meine Tochter. Ich gebe dir in vielen Punkten Recht. Aber was soll man tun? Am Ende nimmt man doch das, was vor den Füssen liegt, aus Angst allein zu sein. Ich bewundere dich manchmal, aber zu rigide solltest du nicht sein. Die Zeit läuft davon. Du bist fast 40, mein Baby.“
„Mama, ich bin erst 38“, entgegnete sie dann stets.
Ja, solche Diskussionen war sie gewöhnt. Anders als die meisten Menschen glaubten, hatte sie seit Studienzeiten ein Kind gewollt. Damals hatte sie einen Freund gehabt, der einzige mit dem sie je wirklich glücklich gewesen war. Sie waren bis zum Ende ihres Studiums zusammen, und es war ihre einzige langjährige Beziehung. Aber er war verheiratet und zwanzig Jahre älter als sie gewesen. Dennoch hatten sie sich sehr geliebt und ein Kind gewollt. Es hatte leider nicht geklappt und irgendwann war die Beziehung einfach fertig gewesen. Von heute auf Morgen hatte er sie nicht mehr sehen wollen. Bis heute war es so geblieben. Er hatte sich nach der Trennung nie mehr gemeldet, ihr keine Vorwürfe gemacht. Diese Situation hatte Mireille jahrelang beschäftigt, sie hatte sogar eine Therapie machen müssen, um es hinter sich zu lassen.
Nach ihm kamen auch ein paar nette, kleinere Beziehungen und jedes Mal versuchte sie schwanger zu werden, aber es klappte nie. Da es auf die sanfte Weise nicht funktionierte, ließ sie sich gründlich untersuchen. Sie durchlief ein umfangreiches Diagnostik-Programm: Bluttests und weitergehende körperliche Untersuchungen, etwa mit Ultraschall oder einer Bauchspiegelung, um den Ursachen ihres unerfüllten Kinderwunsches auf die Spur zu kommen. Nach einem Labortest wurde festgestellt, dass ihr Hormonhaushalt nicht in Ordnung war. Die Ergebnisse erlaubten auch Rückschlüsse darauf, wo die Ursache der Störung lag. Es gab Funktionsstörungen der Schilddrüse, die hormonbedingte Probleme auslösten. Trotzt intensiven Hormonbehandlungen hatte sie es dennoch nicht geschafft schwanger zu sein. Und nun hatte sie seit 3 Jahren auch gar keinen Mann mehr gefunden, mit dem sie Lust gehabt hätte, es noch einmal zu probieren. Der Kinderwunsch war aber immer noch sehr präsent und machte sie manchmal tagelang traurig und depressiv.
Sie versuchte, trotzdem ein glückliches Leben zu führen, hatte nicht viele, aber zwei sehr gute Freundinnen und einen guten Freund. Sie unternahm viel. Ihre eine beste Freundin war eine Frau aus dem Senegal, eine schwarze Frau, die mit ihr studiert hatte. Nach dem Studium hatte Amina einen Job in Lille gefunden, ca. 200 km entfernt von Paris. Sie trafen sich dennoch fast alle 6 Wochen, entweder in Paris oder in Lille oder an einem Urlaubsort.
Als ihre letzte Beziehung auseinandergegangen war, war es zu einem Gespräch mit Amina über ein Hausmädchen gekommen. Mireille hatte damals gejammert, dass das Haus, das sie von ihrer Oma geerbt hatte, wild aussehen würde. Sie dächte daran, das Haus zu vermieten und sich eine kleine Wohnung zu suchen, aber sie würde sich so wohl dort fühlen, in diesem schicken Pariser Viertel, dem 7. Arrondissement.
Amina hatte ihr vorgeschlagen, ein Hausmädchen zu engagieren, das auch dort wohnen könnte und sich um alles kümmern würde. So hätte sie nicht nur ein sauberes Haus, sondern auch ständig jemanden um sich.
Mit der Zeit hatte ihr die Idee immer besser gefallen und als Amina ihr sagte, sie kenne eine nette Kamerunerin, 27 Jahre alt, die den Job gerne machen würde, war ihre Entscheidung getroffen.
„Sie ist aber ohne Papiere“, erwähnte Amina.
„Das ist kein Problem. Das ist in Frankreich so üblich. Sie muss mir nur irgendwelche gefälschten Papiere zeigen, damit ich mich schützen kann, falls… du verstehst. Von mir aus kann sie sofort anfangen“, freute sich Mireille.
Nach nur 5 Tagen war Ayossi in Paris bei Mireille.
Die 27-jährige Ayossi war noch gar nicht so lange in Frankreich. Sie war gleich nach ihrer Hochzeit in Douala mit einem Tourismusvisum nach Frankreich eingereist und nun seit 5 Monaten illegal dort. Sie hatte in Kamerun Volkswirtschaft studiert, aber keine Arbeit gefunden und hoffte, nun in Frankreich ihr Glück zu finden, um später dann ihren Mann nachzuholen.
Das Zusammenleben der beiden Frauen war sehr erfolgreich, sie kamen sehr gut miteinander aus, verstanden sich prima und bald waren sie wie große und kleine Schwester. Sie erzählten sich fast alles, verbrachten viel Zeit zusammen, kochten gemeinsam, und das Haus war immer top sauber.
Ayossi vergaß aber nie, warum sie in Frankreich war und was sie zu tun hatte. Geduldig sparte sie ihr Geld und lebte sehr sparsam. Sie unternahm nichts, was sie dazu bringen könnte Geld auszugeben. Mit dem bisschen Ersparten kümmerte sie sich um ihre Mutter, ihre Geschwister und ihren Mann in Kamerun. Oft sprachen Mireille und sie darüber.
„Ayossi, jedes Monatsende gehst du immer Geld in die Heimat schicken, aber du verdient doch gar nicht so viel?“
„Ach, Mireille, es gehört dazu. Es geht nicht darum, erst viel zu verdienen, bevor man seiner Familie hilft. Wir haben keine Sozialhilfe, wie bei euch hier in Frankreich. Wenn wir uns nicht so unterstützen, dann geht vieles gar nicht.“
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