„Oho. Womit verdiene ich diese Ehre? Du kennst mich doch gar nicht genug, um zu wissen, ob ich eine besondere Frau bin oder nicht.“
„Mireille, willst du mich wirklich beleidigen? Oder willst du dich unterschätzen? Wenn ich sagen würde, dass du eine sehr schöne Frau bist, würde mein Vater mir antworten, sind nicht alle Frauen für irgendjemanden schön? Wenn ich sagen würde, du bist hübsch, würden die Gedichte meiner Kultur entgegnen, dass die Frau allein schon von ihrer Natur hübsch ist. Du bist wie eine Blume, du bist echt etwas Beson…“
Sofort ging Ayossi dazwischen.
„Lass es gut sein. Siehst du, großer Bruder? Deswegen habe ich dir nicht gesagt, dass sie eine sehr schöne Frau ist. Ihr afrikanischen Männer zielt sowieso schon auf alle, die sich bewegen, wie Freischärler. Wenn die Frau dann so wunderschön ist wie Mireille, dann verliert ihr die Orientierung. Ich hätte dich niemals hierher kommen lassen dürfen. Ich erwarte von dir, dass du dich benimmst. Sie ist meine Chefin. Aber ich frage mich echt, warum die Männer so eine Frau frei herumlaufen lassen. Wäre ich ein Mann, wenn nicht Mireille, dann keine!“
„Das war Egoismus, Schwester. Du hättest mir trotzdem sagen müssen, dass sie mehr als eine besondere Frau ist. Ich wäre nie zu ihr gekommen. Ich hätte dich nicht so blamiert. Ich mag das nicht. Es tut mir leid, Mireille. Ich muss gehen“, sagte Johnny plötzlich. Er stand auf und ging in den Garten. Durch das Fenster konnte man ihn sehen, wie er hin und her lief.
Seine Reaktion erstaunte auch Ayossi. Mireille war total verunsichert und schaute verblüfft zu Ayossi, als wolle sie fragen, was sie falsch gemacht habe. Ayossi ahnte aber schnell, was ihr Bruder da spielte. Man sagt in Afrika, dass die Europäer sehr leicht zu verwirren sind. Sie zweifeln schnell an sich und werden unsicher. In der Unsicherheit steckt die Angst. Dadurch ist der Mensch leicht manipulierbar. Das war sicher Johnnys Absicht.
„Was ist los, Ayossi? Warum ist er raus? Haben wir etwas falsch gemacht?“
„Ich weiß es selbst nicht. Ich auf jeden Fall nicht. Vielleicht hast du ihn komisch angeschaut? Vielleicht fand er, dass du nicht nett warst, obwohl er dir nur ein Kompliment machen wollte. Weißt du, du bist immer so hart Männern gegenüber. Vielleicht hast du ihm das gezeigt? Er ist ein lieber Kerl. Er tut mir leid. Ich habe ihm schon gesagt, dass er nicht immer so offen sein darf, wenn er in Europa ist. Die Franzosen spielen ungern und zeigen selten ihre wahren Gefühle, so wie die Afrikaner. Wir sagen in Afrika, dass der Franzose mit dir lacht und hinter dir deinen Sarg vorbereitet. Aber er weiß nicht, dass das alles nicht unbedingt stimmt. Er ist noch nicht lange in Frankreich, verstehst du. Ausgerechnet bei dir, der liebevollen Chefin, erfährt er, wovor ich ihn gewarnt habe.“
Man sah Mireille an, dass es ihr sehr leidtat, und dass sie wirklich ein schlechtes Gewissen hatte.
„Aber Ayossi, du kennst mich doch. Ich habe keine Probleme mit Afrikanern. Meine beste Freundin kennst du doch.“
„Nein, Mireille, niemand hat gemeint, dass es etwas damit zu tun hat, dass er Afrikaner ist. Ich habe auch nicht gesagt, dass du etwas gemacht hast. Vielleicht hat er das Gefühl gehabt, dass du glaubst, dass seine Meinung über dich nicht ernstgemeint war. Er hat gesagt, dass du etwas Besonderes bist, und wie war noch deine Reaktion? Hast du dich bedankt? Das war ein Kompliment, Mireille, und bei Komplimenten sagt man Danke.“
„Ayossi, ich wollte doch nicht eingebildet wirken. Und du weißt, so direkt sind unsere Männer in Frankreich nicht. Außerdem ist dein Bruder ein sehr schöner Mann. Das hat mich einfach verunsichert, und ich wusste nicht sofort, wie ich reagieren soll. Dazu ist er der erste afrikanische Mann, der mir ein Kompliment macht. In meinem weißen Kopf dreht sich sofort alles auf Vorsicht, Gefahr, Angst und so. Anstatt dass ich normal reagiere, fange ich an mir Fragen zu stellen. Ich frage mich auch, wie es in Afrika ist, wenn ein Mann ein Kompliment macht. Ja, zu viel Kopf, ich weiß. Verstehst du, ich wollte gerade so reagieren, dass er nicht verletzt ist. Es ist nicht immer einfach, wenn man sich mit jemandem aus einer anderen Kultur unterhält. Man achtet mehr auf das, was man sagt. Wäre er ein Franzose gewesen, hätte ich nur Danke gesagt. Vielleicht ist bei einem Afrikaner aber Danke falsch? Verstehst du, Ayossi? Alles das läuft in Sekundenschnelle im Kopf ab. Wir Europäer halt. Sehr kopflastig. Was soll ich nun tun? Zu ihm gehen? Mich entschuldigen?“
„Ach, trinke deinen Kaffee. Der wir sich wieder beruhigen.“
„Ok, ich gehe wieder hoch in mein Zimmer. Sag ihm aber, dass es mir leidtut, wenn er sich von mir missverstanden gefühlt hat.“
Mireille ging wieder nach oben. Von ihrem Schlafzimmer aus konnte sie Johnny noch besser sehen und betrachten. Auf einmal interessierte sie dieser Mann, der es gewagt hatte, sie eine besondere Frau zu nennen, ohne sie überhaupt zu kennen. Wer war dieser Schönling, fragte sie sich und beobachtete ihn die ganze Zeit. Ayossi kam hinaus zu Johnny, sie wechselten ein paar Worte und verabschiedeten sich.
Mireille war kurz auf die Toilette gegangen und als sie wieder ans Fenster kam, war Johnny schon beim Gehen. Sie konnte ihn gerade noch ins Haus gehen sehen. Sie rannte fast zur Küche, doch vor der Küchentür stoppte sie und ging wieder zurück in ihr Zimmer.
„Was soll’s“, sagte sie sich, legte sich ins Bett, nahm ein Buch und machte es sich bequem. Trotzdem dachte sie weiter an die Szene und dabei selbstverständlich an diesen gutaussehenden Mann. Nicht unbedingt super hübsch. Aber er hatte eine verdammt männliche, freundliche und fröhliche Ausstrahlung.
Ayossi war sehr zufrieden. Der Plan war aufgegangen, und Johnny hatte seine Rolle sehr gut gespielt. Mireille war nun in Bringschuld und ganz sicher würde sie sich ständig Gedanken darüber machen und besonders aufmerksam darauf achten, wann Johnny da war, dachte sie und räumte weiter in der Küche auf.
Nach einer halben Stunde kam Mireille wieder herunter und lachte Ayossi an.
„Ayossi, ist er weg?“
„He, Mireille, hast du dich verliebt?“, fragte Ayossi, wissend, was so eine Frage bewirken konnte.
„Hey, du übertreibst. Ich habe nur so gefragt. Ich verliebe mich nicht so einfach, und vielleicht bin ich gar nicht sein Geschmack“, antwortete Mireille.
„Na, dann ist ja alles gut, und wir reden nicht mehr über ihn“, sagte Ayossi.
„Ich mag einfach nicht, dass dein Bruder glaubt, ich würde ihn verachten oder so, verstehst du, Ayossi?“
„Nein, wenn es nur darum geht, mach dir keine Sorgen. Mein Bruder wird keine Zeit und Energie darauf verwenden, um darüber nachzudenken, ob eine Frau ihn verachtet oder nicht. Ich will nicht angeben, aber er hat so viel Erfolg bei Frauen, dass er manchmal arrogant wird. Vielleicht ist es sogar ganz gut, dass du ihn in seine Schranken verwiesen hast“, argumentierte Ayossi.
„Nein, da bin ich nicht einverstanden mit dem, was du sagst. Ich habe ihn nicht irgendwohin verwiesen“, verteidigte sich Mireille, „und das werde ich ihm das nächste Mal auch klar sagen. Ich will nicht, dass so ein Eindruck von mir entsteht.“
Ayossi lächelte, und das irritierte Mireille.
„Warum lächelst du denn so? Findest du meine Absicht blöd? Schwach? Oder nicht selbstbewusst genug?“, fragte Mireille.
Ayossi wusste genau, was sie tat und sie wusste genau, dass Mireille gerne Herausforderungen anging. Also tat sie so, als glaube sie, dass Mireille sich nicht trauen würde, um sie noch mehr herauszufordern.
„Das ist deine Entscheidung, Mireille, wenn du dich trauen kannst, ihm das afrikanisch zu sagen. Vergiss nicht, er ist ein Afrikaner“, antwortete Ayossi geschickt.
„Wie soll man denn mit Afrikanern in so einem Fall umgehen?“, fragte Mireille.
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