Dessen Display war mit dem ersten Klingelton aufgeleuchtet, und letzterer wiederholte sich gerade noch einmal. Er nahm das Gerät spitz mit Daumen und Mittelfinger an den Seiten, um es nicht einzuölen, reichte es an Cathleen weiter und verließ dann direkt und höflich nach einem kurzen Kopfnicken den Raum. Solche Diskretion war selbstverständlich und gehörte zum Motto des Instituts.
´Rufnummer unbekannt´ war in der Anzeige zu lesen, aber sie ahnte bereits, wer sich am anderen Ende der Verbindung melden würde, denn es gab nicht allzu viele Menschen auf dieser Welt, die ihre Privatnummer kannten. Beim vierten Mehrklang nahm sie das Gespräch entgegen und meldete sich mit ihrem regulären Namen.
„LeMondes“, kam es sogleich zurück. Das war ihr direkter Vorgesetzter beim DGSE, dem französischen Geheimdienst. „Poire“ , fügte er ohne große Pause hinzu. Wenn sie allein war, und sprechen konnte, würde sie mit „Griotte“ antworten, was sie nach einem kurzen Blick zur wieder verschlossenen Tür, durch welche der Masseur entschwunden war, auch tat.
In einem Anflug unbegründeter Scham zog sie trotz ihres Alleinseins das Frottee-handtuch längs bis über die Brüste, während sie sich leicht aufrichtete und mit einem Ellenbogen auf der Liege abstützte. Es machte sie nicht eben weniger aufreizend.
„Ich bedaure, aber sie müssen ihre Sitzung bei Garance leider abbrechen!“, klang es aus dem Apparat, sobald sie sich versichert hatten, dass die Verschlüsselung ihre Kommunikation auf dem Transmissionsweg unabhörbar machte. LeMondes klang äußerst ernst.
Cathleen „Katie“ Conquête wirkte nicht erstaunt, dass ihr Arbeitgeber genau wusste, wo sie sich gerade aufhielt. Wie alle operativ eingesetzten Agenten und Agentinnen des Auslandsgeheimdienstes Frankreichs trug sie einen subkutanen Minisender, mit dessen Hilfe ihr genauer Aufenthaltsort jederzeit exakt bestimmbar war. Über das aktivierte Smartphone war er es für die Zentrale ohnehin.
„Sie rufen mich sicher nicht an, weil ihre Sekretärin sich wieder mal krankgemeldet hat“, gab sie, beinahe ein wenig zu dreist witzelnd, zurück.
„Sie erinnern sich sicherlich an die Explosion der VEGA-Trägerrakete vor knapp drei Wochen, kurz nach dem Start in Kourou, oder?“, blieb LeMondes bei der Sache.
„Natürlich. Obwohl ich da bereits in Afrika weilte, wegen der Ebola-Sache. Das Unglück war ja weltweit in den Medien. Die VEGA gilt als sehr zuverlässig und sollte ein I.X.V.(*2) ´raufbringen, wenn ich mich nicht irre. Es wurde einem Blitzeinschlag mit nachfolgendem Softwarefehler zugeschrieben. Der Dienst dort ist doch sicher sofort tätig geworden, oder?“, fasste sie die Situation gut gelaunt zusammen.
„Ist er. Und auch ein Expertenteam aus der Zentrale der Agence Spatiale Européenne war natürlich zeitnah nach dem Unglück vor Ort. Die Medien haben allerdings lediglich die offizielle Version verbreitet. Von wegen I.X.V. - in Wirklichkeit befand sich das neue Spectator -System im Gepäck der VEGA!“ LeMondes klang sehr besorgt und schien nicht in scherzhafter Stimmung zu sein.
„Sabotage?“, fragte Cathleen und wurde schlagartig ebenfalls ernster.
„Das wissen wir leider nicht mit Bestimmtheit. Die Trägerrakete des Spectator explodierte zwanzig Meilen über dem atlantischen Ozean!“, stellte er mit energischer Stimme fest. „Die Trümmer sind dann in großem Radius rund um 8.25 Nord und 50.00 West niedergegangen. Etwa 220 Seemeilen vor der Küste.“
Sie überlegte kurz: „Also knapp außerhalb unserer Außenwirtschaftszone.“
„Leider. Das Gebiet wird von deutscher und französischer Marine weiträumig abgesperrt, aber wir befürchten eine Kollision mit amerikanischen Interessen. Es sind wohl zwei US-U-Boote in der Gegend. Einzelne Trümmer hat man inzwischen geborgen und nach Kourou geschafft. Aber noch nichts wirklich Wichtiges.“
„Und was ist dort meine Aufgabe?“
„Recherchieren, beobachten, handeln!“, brachte es LeMondes auf den Punkt.
„Was darf ich speziell darunter verstehen?“
„Die Belgier schicken jemanden, wie Brüssel uns mitteilte. Die Italiener als Haupt-finanzier der VEGA sowie die Engländer sind bereits von Anfang an vor Ort. Da sollten wir besser aufgestellt sein als nur durch ein paar Bürokraten, oder?“
„Die Engländer ?“, hakte sie ein. „Aber die sind doch gar nicht beteiligt, weder an der VEGA noch an Spectator, wenn mich mein Wissen darüber nicht im Stich lässt.“
„Das stimmt nicht ganz. Es gibt da deren finanzielle Beteiligung an der letzten Trägerstufe um drei Ecken herum, durch ein privates Konsortium. Es sind also durchaus auch deren wirtschaftliche Interessen im Spiel. Wir nehmen aber eher an, dass die viel mehr für ihre amerikanischen Busenfreunde Augen und Ohren offen halten sollen.“
„Aus welchem Grund?“
„Die Amis haben Ende Oktober ebenfalls zwei Raumfahrzeuge verloren, das wissen sie doch! Erst die Cygnus bei ihrem Start zur ISS, dann die VSS Enterprise während eines Testfluges über der Mojave-Wüste.“(*3)
Cathleen nickte kurz vor sich hin, obwohl LeMondes es nicht sehen könnte. „Hatte es seinerzeit mitbekommen. Den Russen hingegen gelang es, ihre eigene Mission zeitgleich unbeschadet herauf bekommen. Glauben Sie, es gibt da eine Verbindung? Ich meine, haben wir es mit so etwas wie einem kalten Krieg zu tun – mit dem Ziel einer russischen Vorherrschaft bei Raumflügen? Gezielte Sabotage?“
„Soweit würde ich im Moment noch nicht gehen. Vergessen Sie nicht, dass die Russen im Mai erst ebenfalls einen Zwischenfall zu verzeichnen hatten“ (*4) , entkräftete LeMondes sogleich den aufkommenden Verdacht.
„Und zumindest offiziell war sowohl bei den US-Stellen als auch den Russen von Unfällen die Rede. Aber es ist schon ziemlich besorgniserregend. Das sind schon ziemlich viele Unfälle in so kurzer Zeit!“
„Und bei alledem schicken die Amerikaner keine eigenen Leute, sondern verlassen sich auf ihre Vasallen? Ich meine, auch wenn diesmal wir Europäer betroffen sind, stellt Langley(*5) doch bestimmt dieselben Überlegungen an wie wir“, meinte sie skeptisch.
„Ich möchte wetten, dass die CIA inzwischen selbst auch mit von der Partie ist. Nur sagen sie uns das natürlich nicht. Wie auch immer: Sie jedenfalls werden die Verbindungsagentin des DGSE dort sein und eng mit den anderen zusammen-arbeiten. Und tätig werden, wenn und wie auch immer es sein muss, im Interesse unserer Nation, versteht sich.“
„ Bon . Klingt alles recht kompliziert“, meinte sie, und Le Mondes entgegnete schnell, kaum dass sie ausgesprochen hatte: „Wann war es das bei uns jemals nicht?“.
Cathleen versuchte es direkt noch einmal, ihren angenehmen Urlaub nicht unterbrechen zu müssen. Sie hatte eigentlich andere Pläne. „Aber wieso ich? Weltraumfahrt ist ja nun nicht gerade mein Spezialgebiet“, moserte sie daher.
Sie gehörte beim DGSE jener Abteilung an, die sich mit Wirtschaftsspionage und Terrorismus beschäftigte. Natürlich bestand immer die Möglichkeit, dass die Angelegenheit irgendwas damit zu tun hatte, aber es schien ihr gerade nicht so.
„Unter anderem, weil ein paar alte Freunde auch ihre Hand mit im Spiel haben.“
„Alte Freunde ?“, fragte sie, skeptisch und misstrauisch zugleich. So wie ihr Chef das sagte und sie es wiederholte, handelte es sich eher um das genaue Gegenteil.
„Sie erinnern sich doch bestimmt noch an ihren ersten Auftrag für unsere Abteilung, diese etwas diffizile Operation gegen die DEMTAG Anfang des Jahres, oder?“
Wie könnte sie nicht! Schlagartig dachte sie an jene etwa neun Monate zurückliegende gefährliche Wirtschaftsspionage-Affäre - und mit hüpfendem Herzen an ihren Geliebten „Gunny“ , Günter Freysing, den sie bei genau jenem Auftrag in der Türkei kennengelernt hatte. Seither waren beide das, was man landläufig ein „Fernbeziehungspaar“ nannte. Trotz ihres anderen Freundes hier in Paris. Ihre Dienststelle duldete das, zum einen, weil sie es sowieso nicht wirklich verhindern konnte, ohne eine ihrer besten Nachwuchs-Agentinnen zu vergällen, zum anderen, weil Beziehungen der Geheimdienste auf operativer Ebene manchmal viele Dinge vereinfachen, die auf bürokratischer Ebene als unmöglich erscheinen.
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