Erhard Scherner - Konstantin Mugele erzählt

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Fortuna sei langweilig, sagt Mugele manchmal. Da irrt er. Es war doch ein grüner rotschnabliger Papagei, der ihm das Leben gerettet hat. Und dem Sohn. Überhaupt: In diesem geliebten, verruchten Jahrhundert braucht man Glück.
Doch was Mugele sich nicht gewünscht hat, war eingetroffen. Zustände ähnlich der Jugendzeit kehrten zurück. Unbarmherzig. Da war ihm nichts vorzumachen. Von wegen: «Die Welt zu ihrem Glicke, dreht sie sich nicht zerricke» – ein Sprüchlein für Kinder.
Ja erkläre mal einem zugereisten Steuerbeamten aus Köln, was 1947 im Prenzlauer Berg ein «Schulhelfer» war. Der ist ein freundlicher Mann, rheinisch-beschwingt, rettet Mugele mit «Referendar» in die mögliche Spalte. Aber mit Solidarität gegenüber einem «Sozialistischen Bruderland», sei´s als Verlagsredakteur, auch ausgeborgt beim Rundfunk, weiß er nichts anzufangen. «Entwicklungshilfe für China» kommt dem Beamten nicht in den Sinn. «Was soll sich dort entwickelt haben?! Weiß man doch.»
Mugele, nun missioniere nicht. Mag immer googeln, wen Neugier plagt. Wahrheit stehe für sich.

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Erhard Scherner

Konstantin Mugele erzählt

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Inhaltsverzeichnis Titel Erhard Scherner Konstantin Mugele erzählt Dieses - фото 1

Inhaltsverzeichnis

Titel Erhard Scherner Konstantin Mugele erzählt Dieses eBook wurde erstellt bei

Im Scheunenviertel. Ein Fisch wird verhandelt

Die Juden-Zigarre

Hier ist alles still

Ohne Kompass

Billa

Der Krieg gegen die Vögel

Der chinesische Papagei

1.

2.

3.

4.

Wenn die Naturschützer ein Fest machen

Der gemischte Chor

Mein liebstes Stück Garten

Lampionblumen

Rasterfahndung

Die Machete

Impressum

Im Scheunenviertel. Ein Fisch wird verhandelt

Heute bin ich mit der Frage erwacht: Konstantin, wo kommst du her? - Manchmal träume ich nur Haare. Haare. Es gab eine Zeit, da war das kein Traum.

Was macht der gedrungene Mann, der mir den Rücken kehrt, nachts in der Küche? Reglos verharrt er ein paar Sekunden, vornübergebeugt. Ich habe ihn so sitzen sehn, in Herbst- oder Winternacht, nie sommers. Ich weiß auch, Vater wird sich noch mal hinlegen. Wenn er dann aufsteht, hat Mutter die Haare schon zusammengekehrt, aber richtig los werden wir sie nie. Sie spazieren durch Küche und Stube, unten, oben, überall. Die Schwester sammelt sie vom Kleid, der Bruder steckt sie in den Mund.

Vater ist Kürschner. Laden und Schaufenster besitzt er nicht, er setzt auch keine Annoncen in die Zeitung. Unter dem mächtigen Schild

RICHARD SPRUNG

SEIFEN - GROSSHANDEL

neben der Einfahrt zu Hof, Hinterhof und Hinterhinterhof hängt kein Schildchen

Kürschner Otto Mugele

Repariere Ihren Pelz!

Nähe Ihr Fell!

Erster Hof, rechter

Seitenflügel, 3. Stock

oder sowas. Aber eine Kürschner-Nähmaschine hat er, Erbstück vom Großvater. Urgroßvater hat nicht gewusst, was ein Kürschner ist, jedenfalls nicht genau, aber seit Großvater wissen es die Mugeles, und ich glaube, Vater will nicht, dass ich es genau weiß.

Die Nähmaschine hat ihren Sommerschlaf gehalten. Nun hat Vater fürs Fest und gegen den Frost Felle zu feuchten und auf zernarbte weiche Bretter zu zwecken, Felle mit durchgewetzten Rändern, Kanin, Kanin oder Katze, was weiß ich, Hamsterfellchen, mal rotbrauner Fuchs. Selten verirrt sich ein hohes Tier, Nerz oder Hermelin, in die Lothringer 17. Unser Haus liegt am Rande des ausgepowerten, verhurten, verwohnten, verwanzten Scheunenviertels. Und rot soll es auch sein. Aber das stimmt nicht - die Häuser sind gelb oder orangefarben, auch grau, der Putz blättert ab.

Kürschner ist ein schöner Beruf. Zum Besten, womit ein Kürschner umgeht, gehören die Tieraugen. Sie sind aus Glas, unter dem Fell mit Draht verbunden, aber später sieht man das nicht. Wenn man still und lange in sie hineinschaut, kann man merken, ob sie beutegierig oder traurig blicken.

Vater pustet auf die Haare der zwei zueinander gelegten Fellstücke, ehe er ins Pedal tritt. Zwischen zwei runden Metallscheiben zuckt die Nadel. Immer nachts. Schwarze Arbeit braucht Dunkelheit. Soll ich ihn an meinen Weihnachtswunsch erinnern? Ich weiß schon, vor dem Fest wird er keine freie Minute haben, mir aus Fellresten einen richtigen Teufelsschwanz zu nähen, auch nicht Heiligabend, da muss selbst der räudigste Pelz noch auf einen Kragen.

Mutter setzt Kaffeewasser auf, es gibt Kathreiner-Kaffee. Aus der Pfundtüte, von der uns ein Herr mit silbergrauem Schopf zulächelt, zählt sie die Löffel gerösteter und aufs feinste gemahlener Gerste in die Kanne. Das macht sie sehr gut. Aber sie zählt auch die Presskohlen für den Ofen aus - bei dieser Zählerei wird die Stube nicht warm. Zum Glück hat Vater in der MORGENPOST von einer guten Methode gelesen, wie man Kohlen strecken kann: Man weicht Zeitungen in einem Zuber ein - vorgesorgt hat, wer eine Zeitung hält. Die aufgeweichten Artikel rollt man zu kohlkopfgroßen Kugeln, dabei presst man das Wasser so gut man kann heraus und lässt sie ein paar Wochen trocknen. Es ist Papas Sommerarbeit, die papiernen Reden, Flutkatastrophen, Einbrüche und Rätsel, aber auch Bruno H. Bürgels Sonntagsbetrachtung des Sternenzelts in das Schaff zu tunken und rundzumachen.

Aber Artikel über Afghanistan schneidet sich Vater aus. Auch die hundert todsicheren Tipps WIE WERDE ICH MILLIONÄR? - eine ganze Zeitungsseite - bleiben vor Wasserbad und Verarbeitung bewahrt. Ich kann sie fast singen. Drehe jeden Pfennig hundert mal um, ehe du ihn ausgibst! ist einer davon. Ein anderer Tip lautet: In der Öffentlichkeit zeige dich stets in der Nähe von Besser- oder Höhergestellten! Das eine fällt leicht, das andere ist schwer zu machen, da es bei uns im Seitenflügel keine Höher- und keine Bessergestellten gibt. Vielleicht muss ich Familie Merz, eine Treppe unter uns, insofern sind sie tieferge-stellt, einmal ausnehmen. Sie haben keine Kinder - Kinder kosten viel Geld! - aber sie besitzen ein Radio, groß wie eine Eierkiste. Es steht auf Merzens Vertiko. Sonntags melden wir uns zur Märchenstunde am Nachmittag, Schwester Annemie und ich kommen in Potschen und bringen zwei Ritschen mit, das ist Schlesisch, und setzen uns dicht vor den Lautsprecher. Erst hatte ich die Hoffnung, der Gestiefelte Kater und der Müllersbursche, so klein sie auch sein mögen, träten einmal aus dem Kasten heraus; doch sie sind nur zu hören, aber ganz deutlich. Wir zeigen uns jeden Sonntag bei Familie Merz. Sobald die Großmutter und die Sieben Geißlein aus dem Bauche des Wolfs geschnitten sind, greifen wir unsere Fußbänke und bedanken uns schön. Dann wecken wir Mama und Papa, leider auch Bruder Hansi, und erzählen unser Erlebnis. Wir schwärmen von Zwerg Nase, manchmal von Jorinde und Joringel, immer aber von Merzens Radio. Wir Mugeles müssen auch eins haben, wenigstens ein kleines, kann doch sein, dass sie nicht nur am Sonntag Märchen erzählen. Vater stimmt uns zu - er braucht für Weltnachrichten sogar ein großes. Er spart und spart und wir alle sparen. Das Pfennigumdrehen gelingt uns, mal abgesehen vom Kauf der Morgenpost. »Mit den Kugeln kommt das Geld wieder rein«, tröstet Vater, »die bringen Hitze«. Aber in Wirklichkeit freut er sich über knackigen Frost. Da wird er, wenn er sich rasiert hat und gefrühstückt, seine Schuhe blank reiben und losziehen, bei den Kürschnermeistern nach Arbeit vorzusprechen. Wenn Berlin bibbert, hat Vater eine Chance.

*

Die Kochmaschine in der Küche hat mehrere Feuerstellen. Wird der große Wasserkessel aufgesetzt, nimmt Mutter mit dem Feuerhaken alle Ringe heraus. Wenn es schnell gehen muss, brennen wir Gas. Im Korridor steckt Mutter einen Groschen in den Automaten, zündet in der Küche die Flamme, in raschem Takt ist nebenan das Knacken zu hören - die Suppe wird warm. Der Topf gehört Frau Doktor Behm aus dem Vorderhaus. Die Behms haben ihn Mama anvertraut, ebenso die Schlüssel, mit denen sie von unserm Seitenflügel durch eine Doppeltür direkt in die Küche der Behms gelangt. Sie sind sehr zufrieden mit ihr. Vormittags, wenn Doktor Behm aufs Gericht geht, darf Mutter die Zimmer sauber machen zweimal die Woche, und ins Bad darf sie auch. Dort sind Kacheln rundum. Das Beste ist eine riesengroße eingelassene Wanne, in der gewiss alle Mugeles zugleich Platz hätten, und wir sind fünf. Manchmal darf Mama auch beim Kochen helfen. Einmal im Monat besorgt Mama Behms große Wäsche. Im Keller, in einer undurchsichtigen Dampfwolke, regiert sie allein, zwei Tage lang. Mittags kommt sie mit weichen zerwaschenen Händen aus der Tiefe und reibt Kartoffeln. Mit Zucker bestreute Kartoffelpuffer sind, glaube ich, die beste Speise, die es gibt. Mama hat dann großen Durst, und wir alle trinken einen ganzen Topf Malzkaffee leer, ehe sie wieder im Nebel der Waschküche verschwindet.

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