Ron Müller
Vernarbt
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Inhaltsverzeichnis
Titel Ron Müller Vernarbt Dieses ebook wurde erstellt bei
Prolog Prolog Er schlug die Frau, die überall war - deren Teil ich war. Also schlug er auch mich. Und dabei wusste ich nicht einmal, was Schläge waren. Ich nahm nur die Angst auf. Sie drängte sich in ihr Blut und fraß sich durch die Nabelschnur zu mir. Es musste furchtbar sein da draußen. Ich wollte in ihrem Bauch bleiben, ihren Herzschlag direkt über mir. »Hast du wieder getrunken?«, fühlte ich sie mehr fragen, als ich sie hörte. Für die Hälfte einer Sekunde war es still. Er log. Das tat er immer, wenn er nicht sofort antwortete. Es fehlte nicht mehr viel, bis sie beschließen würde, ihn nicht wieder zu sehen. Zu spät für ihr eigenes Heil aber rechtzeitig, damit ich ihn nie zu Gesicht bekommen musste. Dieses gute Haar sollte ich an ihr lassen. Sämtliche ihrer Gedanken waren in meinem Kopf, nur, dass ich sie nicht verstand. Ich spürte aber jedes der Gefühle, das an den Gedanken haftete. Das reichte, ihr nah zu sein – der, die überall war. Immer wenn es einen ihrer kranken Momente gab, durchfuhr dieser sie, wie auch mich. Ich war ein Auslöser und gleichzeitig ein Grund, der sie durchhalten und alles ertragen ließ. Manchmal wachte ich auf und war inmitten der Einsamkeit, die diejenige begleitete, die um mich war. Ich konnte mich davon schließlich nicht lossagen und trug dieselben Empfindungen. Mir war, als hätte ich einen Teil der Schuld, weil ich alles mitbekam und nichts tat. Mein Glück war, dass all die Erinnerungen, die keine Erinnerungen, sondern nur geteilte Gemütszustände waren, irgendwann verloren gehen würden. Dann, wenn ich selbst sehen könnte. Es fehlten nur noch Wochen. Mein Unglück war, dass ich alles bereits aufgesogen hatte. Ich sollte vor allen anderen wissen, was Angst war, weil ich ihr begegnete, bevor ich sie ertragen konnte. Sie sorgte dafür, dass umso mehr Dinge später in meinem Leben wiederum in Angst enden würden. Doch wir konnten das nicht ändern - weder ich, noch die, auf deren Liebe ich hoffte. Sie lebte für mich , wird sie mir eines Tages sagen wollen – dann, wenn ich längst vergessen habe, dass ich genau das spürte, schon solange, wie ich in ihr war; solange, wie ich wusste, dass alles in ihrem Bauch nicht schwarz, sondern zinnoberrot war.
Teil I Teil I »Zinnoberrot«
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Teil II
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Teil III
Kapitel 36
Kapitel 37
Widmung
Leseprobe »Zwillingsparadoxon«
Impressum neobooks
Er schlug die Frau, die überall war - deren Teil ich war. Also schlug er auch mich. Und dabei wusste ich nicht einmal, was Schläge waren. Ich nahm nur die Angst auf. Sie drängte sich in ihr Blut und fraß sich durch die Nabelschnur zu mir. Es musste furchtbar sein da draußen.
Ich wollte in ihrem Bauch bleiben, ihren Herzschlag direkt über mir.
»Hast du wieder getrunken?«, fühlte ich sie mehr fragen, als ich sie hörte. Für die Hälfte einer Sekunde war es still.
Er log. Das tat er immer, wenn er nicht sofort antwortete. Es fehlte nicht mehr viel, bis sie beschließen würde, ihn nicht wieder zu sehen. Zu spät für ihr eigenes Heil aber rechtzeitig, damit ich ihn nie zu Gesicht bekommen musste. Dieses gute Haar sollte ich an ihr lassen.
Sämtliche ihrer Gedanken waren in meinem Kopf, nur, dass ich sie nicht verstand. Ich spürte aber jedes der Gefühle, das an den Gedanken haftete. Das reichte, ihr nah zu sein – der, die überall war.
Immer wenn es einen ihrer kranken Momente gab, durchfuhr dieser sie, wie auch mich. Ich war ein Auslöser und gleichzeitig ein Grund, der sie durchhalten und alles ertragen ließ.
Manchmal wachte ich auf und war inmitten der Einsamkeit, die diejenige begleitete, die um mich war. Ich konnte mich davon schließlich nicht lossagen und trug dieselben Empfindungen. Mir war, als hätte ich einen Teil der Schuld, weil ich alles mitbekam und nichts tat.
Mein Glück war, dass all die Erinnerungen, die keine Erinnerungen, sondern nur geteilte Gemütszustände waren, irgendwann verloren gehen würden. Dann, wenn ich selbst sehen könnte. Es fehlten nur noch Wochen.
Mein Unglück war, dass ich alles bereits aufgesogen hatte. Ich sollte vor allen anderen wissen, was Angst war, weil ich ihr begegnete, bevor ich sie ertragen konnte. Sie sorgte dafür, dass umso mehr Dinge später in meinem Leben wiederum in Angst enden würden. Doch wir konnten das nicht ändern - weder ich, noch die, auf deren Liebe ich hoffte.
Sie lebte für mich , wird sie mir eines Tages sagen wollen – dann, wenn ich längst vergessen habe, dass ich genau das spürte, schon solange, wie ich in ihr war; solange, wie ich wusste, dass alles in ihrem Bauch nicht schwarz, sondern zinnoberrot war.
»Zinnoberrot«
Als die Hebamme kam, war auch der Tod bei uns. Am liebsten hätte er mich gefressen, aber das warme Blut in mir ließ ihn mich nicht einmal berühren. Stattdessen warf er ein Auge auf meine Mutter. Etwas in ihr war gerissen, als sie mich gebar. Sie hätte nicht geschmeckt. Wir schmecken ihm alle nicht, wenn wir alt werden oder kraftlos sind. Aber meistens ist ihm der Geschmack egal, er nimmt die Menschen trotzdem mit, wenn ihm danach ist.
Am Tag meiner Geburt war ihm nicht danach.
Es gab wenig, dass mir von meinen ersten Monaten erzählt wurde. Eigentlich nur, dass ich ein Mädchen war, welches schnell lernte, wie wenig Sinn es hatte, lange zu schreien. Gewiss hätte ich mich anders entwickelt, wenn auf mein Brüllen immer jemand an mein Bett gekommen wäre, aber Mutter ging es nicht gut zu dieser Zeit. Man sagte mir später, sie sei oft nicht Herr ihrer Sinne gewesen und, dass sie der Jähzorn packte.
Ich war elf Jahre alt, als ich erstmals verstand, was die Leute damit meinten.
*
Es hatte sich die Nacht über eingeregnet. In der kleinen Stube bildete sich eine nasse Stelle an der Decke, welche sich ausbreitete, je länger es schüttete. An ihr löste sich der Putz. Man sah ihn nie herunter rieseln. Ich fand nur in regelmäßigen Abständen sandige Krümel auf dem Bett. Als die Stückchen größer wurden, verließ der stockende Geruch die Wohnung immer seltener. Damit gab es noch etwas, dass mich anekelte. Als ob der mit Efeu zugewucherte Giebel nicht schon reichte. Die Spinnen, die er beherbergte, ließen es mir kalt über den Rücken laufen. Sie krochen durch geöffnete Fenster in die Ecken der Räume, fraßen sich dort fett und warteten. Sobald ich eine in der kleinen Stube entdeckte, war an Schlaf nicht mehr zu denken. Was, wenn sie in der Nacht auf mich drauf oder mir in Nase kroch? Ich hatte gesehen, wie schnell sie laufen konnten. Nicht gerade die Weberknechte, aber die Kreuzspinnen und die kleinen Schwarzen.
Wenn ich - was selten genug vorkam - all meinen Mut zusammennahm, um eine von denen zu erschlagen, und sie unglücklicherweise nicht traf, dann krabbelte sie mit solcher Geschwindigkeit in die nächste Ritze, dass mir vor Schreck beinahe das Herz stehenblieb. Es setzte dann jegliche Vernunft aus. Ich musste schreiend aus dem Raum rennen, die Tür verrammeln und mit den Händen die Schultern und meine dünnen Arme abklopfen, um sie loszuwerden, falls sie doch auf mich gesprungen war. Die Stube betrat ich erst wieder, wenn die Spinne erschlagen und alles nach weiteren Tieren abgesucht war. Mutter tat mir selten diesen Gefallen, stattdessen wurde sie unwirsch und laut. »Mir hat früher auch keiner den Hintern gepudert«, fuhr sie mich bisweilen an, machte auf dem Absatz kehrt und gab mir zu verstehen, dass sie andere Sorgen hätte. Sie konnte sich nicht darum kümmern, wo ich schlief.
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