„Über deinem sechzehnten Geburtstag“, meint er beinahe selbstverständlich. Woher weiß er das, verdammt nochmal? Ah, Mister Pix, durchfließt mich die Erkenntnis. Die waren wohl auch einkaufen. Naja – davon abgesehen – mein jämmerlicher Zustand spricht eigentlich für mich.
Die Köpfe der Jungs schnellen zu mir rüber. An ihren fassungslosen Blicken erkennt man mal wieder, wie absonderlich mein gesellschaftlicher Status gerade ist.
Ich sollte ein Selfie mit ihnen machen und es Grandma als Beweis vorlegen, um ihr Argument: „ Das ist doch alles halb so wild, ob du jetzt oder später deine Kräfte bekommst “ zu entkräften.
„Ich muss jetzt los“, schiebe ich als Ausrede vor und will Leine ziehen, da hält mich ihr Dad mit den Worten: „Du hast meine Frage nicht beantwortet“ zurück.
Ja, das war Absicht.
„Es ist nur zu meinem Besten“, rutscht es mir raus. Ich fass es nicht, jetzt kling ich schon wie Grandma .
„Der Ripper hat auch bereits junge Hexen ohne geweckte Kräfte angegriffen“, klärt mich Mister Lancester auf.
Erinnere mich daran, dass ich mit Grandma ein Hühnchen rupfe. Oder auch zwei. Sie sagte doch, so wär ich für den Mörder nicht interessant. Und ich hab mich schon in Sicherheit gewiegt – sogar Gedanken-Späßchen über meine vermeintliche Immunität gemacht. Mit stolz geschwellter Brust hab ich den Müll rausgebracht als es schon dunkel war, obwohl sie eine Ausgangssperre verhängt haben, sobald die Sonne untergegangen ist.
Und dann holt er sich auch Normalos.
„Komm doch mit deiner Familie zum Abendessen zu uns“, reißen mich Mister Lancesters Worte aus meinem unbehaglichen Grübeln. „Sagen wir heute Abend. Sechs Uhr. Das macht man doch so unter Nachbarn.“
Wieso klingt das irgendwie absolut nicht einladend?
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Ich bin so schnell nach Hause gelaufen, dass ich total abgehetzt das Verandafliegengitter aufschlage und erstmal wie ein asthmatisches Schweinchen keuchend nach Luft schnappe, bevor ich durch die Eingangstür trete und mitten in den fünf Uhr Tee meiner Tanten platze, die bei meinem Anblick mit dem klackernden Rühren ihrer Teelöffel innehalten.
„Er holt sich auch die Normalos“, werfe ich meiner Grandma vor.
„Wer?“, ruft Tante Liz aufgebracht und springt hoch, sodass ihr die Tasse vom Schoß kippt.
„Mister Pix?“, mutmaßt Tante Eve. „Ich sollte auch mal wieder einkaufen gehen. Da scheint ja richtig was los zu sein. Zumindest deutlich mehr als mit euch zwei alten Schachteln rumzuhängen.“
„Ich kann dir nicht folgen“, erklärt meine Grandma total ruhig, streift ihren Löffel gemächlich am Tassenrand ab und legt ihn auf ihrer Untertasse ab.
„Der Ripper – er holt sich auch die Hexen, deren Kräfte noch nicht geweckt wurden“, stelle ich klar.
„ Der Ripper “, ruft Tante Liz entsetzt. „Ist er hier? Hast du ihn gesehen?“ Sie steht kurz vorm Hyperventilieren, da wende ich ein: „Nein, er ist nicht hier. Grandma, wieso hast du mich angelogen? Du sagtest doch, du würdest meine Kräfte zu meinem Schutz nicht wecken. Jetzt erfahr ich, dass das gar nichts bringt.“
„Sags ihr“, verlangt Tante Eve von ihrer Mutter. „Sie kriegts sowieso raus.“
„Was soll sie mir sagen?“, fordere ich, doch keiner rückt mit der Sprache raus.
„Okay, dann will ich jetzt meine Kräfte. Auf der Stelle“, fordere ich, nachdem nach ein paar Sekunden immer noch keine Reaktion von ihnen kommt. Ich breite sogar die Hände zu beiden Seiten aus, als würd ich allzeit bereit sein, sie mit offenen Armen zu empfangen.
Da sie mich nur anstarren, als hätt ich sie nicht mehr alle, mache ich das, was jeder in dieser Situation gemacht hätte – ich lasse die Flossen wieder fallen, zicke was das Zeug hält und stampfe ein paar Mal auf den Boden.
„SEID IHR SCHWERHÖRIG?“, brülle ich, sodass Tante Liz sogar einen schrillen Schrei loslässt.
„Jetzt schon“, antwortet Tante Eve und pult in ihrem Ohr herum.
Und dann gibt mir meine Grandma mit den Worten: „Es ist nur zu deinem Besten“ den Rest.
Fuchsteufelswild raufe ich mir die Haare. „Okay, dann frage ich unsere neuen Nachbarn. Vielleicht holen die meine Kräfte, damit ich mich zumindest verteidigen kann, falls mich der Ripper holen kommt“, appelliere ich an sie.
„Kräfte können nur durch direkte Blutsverwandte geholt werden“, weist mich Grandma auf das Offensichtliche hin. Das wusste ich natürlich. Jeder weiß das.
Und genau darin liegt mein Problem.
„Ich entscheide allein, wann dies der Fall ist“, ergänzt sie. Meine Grandma hat diesen Die-Diskussion-ist-hiermit-beendet-Blick drauf, den ich nur allzu gut kenne. Naja, zumindest hat sie sich ihm schon lange nicht mehr bedient, da ich seit ein paar Jahren freiwillig ins Bett gehe und das Schlagzeug abgehakt habe, das sie mir bis heute verwehrt haben.
Aus Mangel an weiteren stichhaltigen Argumenten, die ich nicht schon bei unserer ersten Diskussion an meinem Geburtstag gebraucht habe, greife ich weiter in die Trickkiste kindlichen Verhaltens und versuche, die drei gegeneinander auszuspielen.
„Tante Eve“, fordere ich mit Unschuldsblick.
Sie hebt die Hände abweisend hoch. „Tut mir leid, Liebes. Ich hab Schiss vor deiner Grandma. Aber brauchst du Mitleid? Ich könnte mal schnell welches vortäuschen.“
Dass diese Strategie noch nie zuvor geklappt hat, wird mir gerade eben wieder bewusst, als Tante Liz sich hinter der Tür in Sicherheit bringt, um sich der Konfrontation mit mir zu entziehen.
So viel dazu.
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Unglaublich, dass weder meine Grandma noch eine meiner Tanten mit rüber zu unseren Nachbarn kommen wollte. So steh ich hier alleine vor dem Spukschloss, dessen Vorgarten so zugewachsen ist, dass ich immer noch damit beschäftigt bin, mir das Unkraut aus den Haaren zu ziehen, bevor ich mit dem Türhaken auf mich aufmerksam mache, während ich innerlich am Brodeln bin.
Wie können sie sich bis jetzt noch weigern, mir meine Kräfte zu geben? Ich hatte eindeutig die besseren Argumente.
Als wär das nicht schon demütigend genug, bin ich immer noch nicht wieder auf dem Dampfer. Ein leichter Schweißfilm überzieht meinen Körper, den nicht mal die kalte Dusche vertreiben konnte, die ich mir vorhin gegönnt habe. Doch ich hatte schon zugesagt zu kommen.
Naja, eigentlich hatte ich gar nichts erwidert, als mich Mister Lancester eingeladen hat und es wär doch echt unhöflich, wenn keiner von uns aufkreuzen würde. Ja – ich gebs zu – vielleicht bin ich auch neugierig auf die anderen Jungs. Das ist doch die Gelegenheit mal mit Elite-Hexern abzuhängen.
„ Oder dich bis auf die Knochen zu blamieren “, ergänzt die fiese Stimme in meinem Kopf.
Ein Gruselbutler mit Stiernacken, dem ich sofort den kleinen Geschenkkorb in die Hand drücke, nachdem er mir die Tür geöffnet hat, führt mich in einen Salon, in dem bereits die sechs Jungs, ihr Dad, eine ältere, blonde Frau – wohl ihre Mum – und vier weitere Butler warten.
„Willkommen. Wie war nochmal dein Name?“, empfängt mich die Frau, die ein schwarzes, bodenlanges Kleid trägt, irgendwie starke Ähnlichkeit mit Morticia aus der Addams Familie hat, und mir unentwegt die Hand tätschelt, bevor ich sie ihr aus der Flosse ziehe und ihr stattdessen den kleinen Geschenkkorb überreiche, den ich dem Butler wieder abnehme.
Dabei versuche ich, mir nicht vorzustellen, wie sie mit sechs Jungs gleichzeitig schwanger war. Das hat sicher Spuren der Verwüstung hinterlassen.
„Aimee“, erkläre ich und winke in die Runde der Jungs. Hm, hier haben sich also all die heißen Junggesellen verkrochen. Ich hab mich schon gefragt, wo die alle hin sind.
„Setz dich doch“, bietet Morticia an und ich nehme an der langen Tafel Platz.
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