Kann ich gut verstehen.
Es gibt ein paar Hexenhochburgen hier in Großbritannien, wo es niemanden groß in Verwunderung versetzt, wenn mal ein Briefkasten vorbeifliegt oder die Rasenmäher unbemannt ihre Arbeit verrichten.
Nur äußerst selten verlaufen sich Normalos in die Abgeschiedenheit dieses magischen Ortes. Meist sind es Rucksacktouris, die aber – nachdem man sie eingefangen hat – einen Spezial-Vergessenscocktail eingeflößt kriegen, um dann wieder in nichtmagische Bereiche ausgesetzt zu werden. Es ist aber auf jeden Fall immer ein Highlight mitanzusehen, wie sie die Beine in die Hand nehmen und brüllend durch die Straßen jagen.
Das dämliche Grinsen vergeht mir beim nächsten Gedanken gewaltig: Was, wenn sie den Hexen-Ripper nicht bald finden? Muss ich dann rüber zu den Normalos ziehen? Erschreckenderweise macht mir der Gedanke von hier fortzugehen neuerdings Angst, obwohl das mein Plan ist, seitdem ich nicht mehr aufs Töpfchen gehe. Naja, zumindest hab ich es schon ewig vor, mit achtzehn von hier rauszukommen.
Mein Kopfkino wirft sich in dem Moment an. Ich sehe einen riesigen, roten Stiefel, der mich vor die Stadtgrenze befördert.
Schnell verdränge ich die Gedanken wieder und krame in unserer Werkzeugkiste nach dem Hammer. Die losen Dachschindeln wollte ich eigentlich mit meinen Superkräften festnageln, aber so wies aussieht, werd ich wohl noch länger ein kaputter Reifen bleiben.
Ich stoße ein verbittertes „ Es ist nur zu deinem Besten “ aus. Da war er wieder, dieser verdammte Satz.
Eigentlich könnte ich magische Hilfe bei der Reparatur brauchen, aber Grandma ist zu alt – der Zauber würde sie zu sehr anstrengen – und meine Tanten sind beide nicht so gut im Hexen. Dafür kennen sie sich mit Kräutern aus.
Naja, mehr oder weniger.
Tante Liz hat außerdem Höhenangst und Tante Eve wartet nach eigenen Aussagen darauf, dass ich einen Kerl heimbringe, der das übernehmen kann.
Was soll ich sagen – ich mach den Scheiß jetzt selbst.
Bedauerlicherweise steht meine Hexentaufe im direkten Zusammenhang mit meinen Chancen am Heiratsmarkt, die seit gestern gegen Null gegangen sind.
Das mit dem Hexen-Heiratsmarkt ist übrigens kein Scherz, den gibt’s wirklich. Tante Eve hat mir davon erzählt (es besteht aber auch die Möglichkeit, dass sie mich verarschen wollte – damit muss man bei ihr jederzeit rechnen). Oder es gibt tatsächlich etwas Flohmarkt-Ähnliches, wo man eine Bude mieten kann, damit die weiblichen Hexen im heiratsfähigen Alter mittels mittelalterlichen Marktschreiern angepriesen werden können.
Ich hör schon Tante Eve, wie sie mich auf einer runden Käseplatte der Menge präsentiert, während sie – mich im Kreis drehend – schmettert: „ Treten Sie näher. Staunen Sie.Ich will ja nicht angeben, aber sie schwimmt schon ohne Schwimmflügel und sie ist wach – mehr möchte ich zu ihrem derzeitigen Zustand nicht sagen. Übrigens ist alles, was Sie hier sehen, vom Rückgaberecht ausgeschlossen.“
„ Sie ist kaputt“, beanstandet ein süßer Interessent in meiner Phantasie die „Ware“ .
„ Aber sie hat doch irgendwie das gewisse Nichts“, handelt mich meine Tante runter.
„ Naja, auch andere Mütter haben schöne Töchter … oder sehen gar selbst ganz gut aus“, macht er sie augenzwinkernd an.
„ Tja, das ist jetzt blöd – du bist zu alt für mich. Zurück zu ihr. Es war nur zu ihrem Besten, aber mit ein bisschen Phantasie, Glitzer und einer Rohrzange schält sie dir Smarties, wenn es dich nach Schokolade gelüstet. Und wenn du gleich zugreifst, bekommst du dieses Schnibbelwerkzeug, das du bestimmt nie im Leben brauchen wirst, gratis dazu. “
Jetzt mal im Ernst. Mit Jungs und mir ist das so eine Sache. Eigentlich bin ich – und das ist mein voller Ernst – nicht so der optische Bringer.
Oder mit den Worten meiner Tante Eve ausgedrückt, als sie mal versucht hat, meine abstehenden Ohren mit einem Zauber zu korrigieren: „ Wer das nicht aushält, hat dich gestylt auch nicht verdient “. Danach hat sie mir seufzend auf die Schulter geklopft.
Was immer das auch bedeuten mag.
Ihre Aktion war – wie man sich schon denken kann – nicht gerade von Erfolg gekrönt. Naja, zumindest kuckt jetzt keiner mehr auf die Zahnlücke zwischen meinen Hasen-Schneidezähnen, seitdem ich die Monobraue habe. Aber seitdem fällt es gar nicht mehr so auf, dass meine Augen einen Tick zu weit voneinander entfernt stehen.
Und selbst wenn ich Verehrer gehabt hätte, irgendwie sind die Kleinstadt-Jungs, mit denen man schon nackt im See gebadet hat, als man sechs war, nicht sehr reizvoll. Ich hab da irgendwie eine gedankliche Barriere. Die Erkenntnis, dass es einen gravierenderen Unterschied zwischen Mädchen und Jungs gibt als blaue und rosa Söckchen kann einen echt runterziehen. Zumindest solange man Jungs noch doof findet. Aus dem Alter bin ich mittlerweile auch raus.
„ Es ist nur zu deinem Besten “, murmle ich durch zusammengebissene Zähne, während ich beherzt die Leiter hochsteige.
Ein Grinsen macht sich bei meinem nächsten Gedanken breit. Die ängstliche Tante Liz würde ausrasten, wenn sie mich hier oben sehen könnte und nicht gerade ihr Mittagsschläfchen halten würde. Ich kann sie förmlich hören wie sie ausrastet: „ Ich bin sowieso schon mit den Nerven am Ende, da brauchst du nicht auch noch einen auf King Kong machen. “
Ihre Schwester würde sie anschnauzen: „ Würd sie jetzt noch wie Naomi Watts aussehen, bräuchten wir mehr als Bananen, um die Verehrer wieder von unserem Dach runterzulocken “. Tante Eve ist, zusammen mit meiner Grandma, ausgeflogen – also jetzt nicht mit Besen.
Schade eigentlich. Egal, sie sind am Kräutermarkt, um ihre Ausbeute der heurigen, recht bescheidenen Ernte unseres Kräutergartens zu verkaufen.
Ich bin ganz froh darüber, dass sie nicht da sind. Immerhin steckt mir unser gestriger Zoff noch in den Knochen. Naja, ich wollte nicht kampflos hinnehmen, dass sie mir meine Kräfte vorenthalten.
Auf die Frage hin, wann sie denn meine Kräfte wecken würden, meinte meine Grandma nur: „ Wenn die Gefahr gebannt ist. “ Toll. Das kann ja noch ewig dauern.
Alles endete damit, dass ich mich schmollend in mein Zimmer verzogen habe, nachdem ich meinen Ärger an der unschuldigen Zimmertür ausgelassen habe, die seither nur noch am seidenen Faden einer Türangel hängt. Tante Eves‘ Kommentar: „ Hey, noch ein Punkt auf deiner Reparaturliste “, hätte sie ruhig steckenlassen können.
Seitdem gehen wir uns aus dem Weg.
Ich seufze und steige immer höher hinauf, bis ich auf der ersten Zwischenetage angelangt bin und das letzte Stück über das Vordach raufklettere.
Ich liebe unser Haus. Es ist total runtergekommen, aber genauso wie man sich ein echtes Hexenhaus vorstellt. Das volle Programm: Mit Efeu verwachsen und kleinem Türmchen, in dem ich mein Zimmer habe. Ja okay, die Bezeichnung „ Zimmer “ ist vielleicht etwas übertrieben. Es ist eher eine Rumpelkammer von der Größe eines Mäuselochs, aber der Ausblick ist grandios. Manche zahlen für so etwas.
Hier oben hat der letzte Sturm echt einiges angerichtet. Es regnet auch schon rein. Obwohl ich das melodiöse Spiel von Regentropfen, die auf unterschiedlich gefüllte Eimer treffen, mag, steh ich dann doch nicht so drauf, bei jedem Gewitter in der Wohnung mit Gummistiefeln rumzulaufen.
Ich hab ein Fenster offengelassen, aus dem Radio-Musik strömt. Da geht die Arbeit doch gleich viel leichter von der Hand.
Ich liebe diesen Song „ All About That Bass “ von Meghan Trainor. Der Moderator des lokalen Radiosenders wohl nicht so. Immerhin kündigt er das Lied als „ den Sommerhit, bei dem ich jedes Mal versucht bin, alles hinzuschmeißen oder mich mit dem Mikrokabel zu strangulieren, wenn ich ihn nochmal hören muss “ an.
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