»Carajo, Schurke, ich schieße dich nieder wie einen Hund. Läßt sich der Kerl mit vier meiner besten
Leute von zwei herzugelaufenen Schuften niederschlagen und gefangennehmen, wie ein Knabe, der kein
Mark in den Knochen hat und noch niemals aus der Schürze der Mutter gekommen ist!«
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» Thunder-storm, Capitano, weißt du, wer die Beiden waren, dieser Eine, den sie Charley nannten, und
der Andere, der sich in den ersten Stunden Sam Hawerfield nennen ließ? Wenn sie jetzt hereinträten, nur
diese zwei, mit den Büchsen in der Hand und das Messer locker im Gürtel, so würde es wohl manchen
geben, der nicht wüßte, ob er sich wehren oder sich lieber ergeben solle. Es war Old Shatterhand und der
kleine Sans-ear«
Der Anführer fuhr empor.
»Lügner! Du willst bloß eure Feigheit beschönigen!«
»Capitano, stich mich nieder! Du weißt, daß ich nicht mit der Wimper zucke!«
»So sprichst du wirklich die Wahrheit?«
»Ja.«
»Wenn das ist, per todos los santos, so müssen die Beiden sterben, und der Yankee mit dem Nigger auch,
denn diese beiden Jäger werden nicht ruhen, bis sie uns entdeckt und vernichtet haben.«
»Sie werden uns nichts tun, denn sie berieten sich, sofort nach Santa Fé zu gehen.«
»Schweig! Du bist tausendmal dümmer als sie, und doch würdest du ihnen nicht sagen, wohin du wirklich
gehest. Ich kenne die Art und Weise dieser nördlichen Waldläufer sehr genau. Wenn sie unsere Spuren
suchen wollen, so werden sie dieselben finden, selbst wenn wir durch die Luft fahren könnten; ja, wir
sind nicht sicher, daß bereits einer von ihnen hier in den Büschen steckt und alles hört, was wir
sprechen.«
Bei diesen Worten war es mir nicht ganz gleichgültig zu Mute, aber der Sprecher fuhr fort:
»Ja, ich kenne ihre Weise sehr genau, denn ich war ein ganzes Jahr mit dem berühmten Florimont
zusammen, den sie nur Track-Smeller Fährten-Riecher nannten, während er As-ko-Iah Bärenherz bei den
Indianos hieß; bei ihm habe ich alle ihre Schliche und Eigentümlichkeiten kennen gelernt. Ich sage euch,
diese Leute werden nicht nach Santa Fé gehen und auch ihren Lagerplatz heut nicht verlassen. Sie wissen,
daß sie auch morgen noch eure Spuren finden, und daß ihre Pferde vor allen Dingen ausruhen müssen.
Dann werden sie morgen mit gestärkten Gliedern und scharfem Geiste hinter euch her sein, und wenn wir
sie auch sicher erlegen, werden sie doch über die Hälfte von uns niederstrecken. Ich habe erzählen hören,
daß dieser Old Shatterhand ein Gewehr hat, mit dem er eine ganze Woche lang schießen kann, ohne daß
er es zu laden braucht; der Teufel hat es ihm gemacht, und er hat ihm dafür seine Seele verschrieben.
Daher müssen wir sie noch heut abend überfallen, wenn sie schlafen, denn da haben sie, weil sie nur vier
Personen sind, höchstens einen Mann als Wache aufgestellt. Kennst du den Ort genau?«
»Ja,« antwortete Williams.
»So macht euch bereit. Punkt Mitternacht müssen wir dort sein, aber ohne Pferde. Wir schleichen uns an
und fallen über sie her, so daß sie an eine Gegenwehr gar nicht denken können.«
Der gute Capitano kannte uns doch nicht so genau, wie er dachte; er hätte sonst noch ganz andere
Maßregeln ergriffen. Man begegnet in der Prairie ganz so, wie in den Ortschaften der zivilisierten Länder,
jener Übertreibungssucht, welche ›aus einer Mücke einen Elefanten macht‹, wie man zu sagen pflegt.
Wenn sich der Jäger ein- oder zweimal wacker gegen seine Feinde hält und nebenbei es versteht, seinen
Scharfsinn zur Geltung zu bringen, so wird es von Lager zu Lager erzählt; überall kommt etwas dazu, und
zuletzt ist er ein Held im Superlativ, dessen Name beinahe dieselbe Wirkung hat wie seine Waffen. Jetzt
hatte ich sogar vom Teufel ein Gewehr erhalten, mit welchem ich eine ganze Woche lang zu schießen
vermochte, und dieses Wunderwerk war zu reduzieren auf meinen Henrystutzen, mit welchem ich
allerdings fünfundzwanzig Schüsse abgeben konnte.
»Wo ist Patrik mit den Andern?« fragte nun der Anführer.
»Nach dem Head-Pik, um seinen Vater zu erwarten, wie er dir ja gemeldet hat. Bei dieser Gelegenheit
wird er sich an die drei Kaufleute machen, welche sehr gute Waffen und auch ein hübsches Stück Geld
bei sich führen. Vielleicht ist er bereits mit ihnen fertig, denn er wollte keine Zeit mit ihnen verlieren.«
»So wird er mir die Beute schicken?«
»Mit zwei Männern; den dritten nimmt er mit.«
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»Die besten Gewehre werden wir von den beiden Jägern bekommen. Man erzählte mir, daß Sans-ear eine
Büchse habe, mit welcher man auf zwölfhundert Schritte weit schießen kann.«
In diesem Augenblick ertönte von weitem das Gebell eines Prairiehundes. Dies war jedenfalls ein sehr
schlecht gewähltes Zeichen, da es unmöglich hier solche Tiere geben konnte.
»Antonio kommt mit den Pfählen, die er für den Estaccado holen soll,« meinte der Capitano. »Er soll sie
nicht draußen abladen, sondern hereinkommen. Seit die Jäger in unserer Nähe sind, müssen wir doppelt
vorsichtig sein.«
Diese Worte überzeugten mich vollends, daß ich es mit einer wohlorganisierten Schar Pfahlmänner zu tun
hatte, und die unter den Häuten verborgenen Gegenstände bestanden sicherlich nur aus
zusammengetragenem Raub, der den früheren Besitzern das Leben gekostet hatte.
Jetzt öffnete sich grad mir gegenüber die Buschwand. Dieselbe bestand an dieser Stelle nur aus
herabhängenden Schlingpflanzen, die leicht emporgehoben oder zur Seite geschoben werden konnten,
und es ritten drei Reiter in den Kreis, deren Pferde eine ziemliche Anzahl von Stangen nach sich zogen,
welche mittels Riemen zu beiden Seiten der Sättel befestigt waren und ganz in derselben Weise
nachgeschleppt wurden, wie die indianischen Reiter ihre Zeltstangen transportieren.
Die Ankunft dieser Männer nahm die Aufmerksamkeit der Versammlung so in Anspruch, daß ich mich
am besten unbemerkt zurückziehen konnte; doch tat ich dies nicht, ohne ein Zeichen meiner Anwesenheit
mitzunehmen. Der Anführer hatte nämlich seinen Gürtel mit dem Messer und zwei messingbeschlagenen
Doppelpistolen ab- und hinter sich gelegt, so daß ich die eine der Pistolen mit dem ausgestreckten Arm
erreichen konnte. Ich zog sie an mich und kroch nun langsam zurück, indem ich Zoll für Zoll jede Spur
meiner Anwesenheit mit größter Sorgfalt verwischte. Dies tat ich auch draußen vor der Buschwand, und
dann schnellte ich mich über den Lichtungsring wieder hinüber und in die Sträucher hinein. Hier bewegte
ich mich, rückwärts kriechend, um meine Fährte wieder zu zerstören, auf den Fingern und Zehenspitzen
weiter, bis ich die gehörige Entfernung erreichte, welche mir erlaubte, nun in aufrechter Stellung
fortzuschreiten und zu meinem Pferde zurückzukehren. Ich band es los, setzte mich auf und schlug einen
so bedeutenden Umweg ein, daß ich sicher sein konnte, die Stakemen würden meine Anwesenheit nicht
entdecken.
Als ich bei den Gefährten anlangte, begann die Dämmerung hereinzubrechen, und ich sah es ihren
Mienen an, daß sie besorgt um mich gewesen waren und meine Rückkehr mit Ungeduld erwartet hatten.
»Da sein Massa Charley!« rief Bob in einem Tone, aus dem ich einen nicht geringen Grad von Zuneigung
zu mir entnehmen konnte. »Oh, Angst haben Bob, und Angst haben alle wir um Massa Charley!«
Die Andern waren weniger sanguinisch; sie ließen mich absteigen und bei ihnen Platz nehmen, ehe Sam
seine Erkundigung begann:
»Nun?«
»Die Kaufleute sind ausgelöscht!«
»Dachte es! Diese Voyageurs, die doch nur Stakemen sind, haben ihren Kurs verändert und werden des
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