Flüsternde Schatten
Abgründe
Melia Rosta
Impressum
Dieser Roman beruht auf wahren Begebenheiten. Die Namen aller realen Personen wurden aus persönlichkeitsrechtlichen Gründen geändert. Einige der handelnden Personen sind frei erfunden.
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die über die Grenzen des Urheberrechtsgesetzes hinausgeht, ist unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigung, Übersetzung, Mikroverfilmung sowie die Speicherung in elektronischen Systemen.
Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.deabrufbar
Bisher erschienen:
Flüsternde Schatten - Obsession
Jenseits allen Schweigens
Flüsternde Schatten – Abgründe
2. Auflage 2019
© publishing house - Schmidt GbR
Biergasse 4, 75365 Calw
info@publishinghouse-calw.de
Text: Melia Rosta
Lektorat: Astrid Ann Jabusch, Valeska Réon
Bildmaterial: Inka Kaiser
Covergestaltung: k-e-coverdesign@gmx.de
Zitat
Alles, was der Mensch in der Kindheit erfährt, erleidet, alle Schmerzen, aller Kummer und alle Entdeckungen bleiben ihm für immer erhalten.
Sie sind der Nährboden für die Phantasie, für Erinnerungen und menschliche Beziehungen, zur eigentlichen Wirklichkeit seines Lebens.
(Tschingis Aitmatow)
1. Kapitel
Oktober, 1979, Landgericht
Als Noel in Handschellen in den Gerichtssaal geführt wurde, war Aufruhr in seinen Augen. Noch hatte er mich nicht entdeckt, doch mir war bereits jetzt übel vor Angst. Wenn ich daran dachte, was er Laura angetan hatte, lief es mir eiskalt über den Rücken. Genau das hätte auch mir passieren können. Laura war es, die ihn angezeigt hatte. Mich hatte man nur als Zeugin geladen. Wenn ich Laura damals nicht von Noel erzählt hätte, wäre es niemals so weit gekommen. Es war alles meine Schuld.
Andererseits, wenn Laura nicht gewesen wäre, stünde ich vermutlich noch immer in seinem Bann und hätte mich nicht von ihm lösen können.
Aber hatte ich das wirklich? Und hatte ich nicht Noel alles zu einfach gemacht? Wären er und ich und auch Laura nicht ganz andere geworden, wenn ich mich gewehrt hätte? Ja, ich war schuld, ich hätte kämpfen müssen, lange bevor Laura zu uns stieß. Aber jetzt war es zu spät für Selbstvorwürfe. Zu viel war zerbrochen, was niemand mehr kitten konnte.
Der Richter schickte nach der Eröffnung der Sitzung alle Zeugen hinaus. Laura ging neben mir.
„Endlich bekommt das brutale Schwein seine Strafe!“, presste sie hasserfüllt hervor.
„Mir ist ganz schlecht“, sagte ich leise. „Wie lange wird er wohl sitzen? Was ist, wenn er in ein paar Jahren wieder rauskommt und sich an uns rächt?“
„Lebenslänglich müsste der bekommen!“, zeterte Laura.
„Mach dir keine Hoffnungen. Dafür hätte er schon einen Mord begehen müssen“, erwiderte ich mutlos.
Laura lachte auf. In ihrem Lachen war etwas eigenartig Fremdes. „Schon vergessen Nina? Er hat mich so brutal verprügelt, dass ich stundenlang ohnmächtig war. Mein Körper war über und über schwarz und blau geschlagen.“
„Ich habe das nicht vergessen, Laura.“
Noch immer sah ich vor mir die grauenhaften Fotos, die die Polizei von Laura gemacht hatte.
„Und dann der Schwachsinn mit seinen Marquis De Sade-Spielchen …! Dieses kranke Schwein!“ Laura sah mich an, als erwartete sie eine Bestätigung.
Doch ich schwieg beklommen. Sie war immer noch sehr schön. Neben ihr wirkte ich wie ein pummeliges Schulmädchen. Seit der vierten Klasse und noch danach, immerhin acht Jahre lang, waren wir unzertrennlich gewesen, richtige Freundinnen. Inzwischen hatten sich unsere Wege getrennt. Was wir mit Noel gemeinsam erlebt hatten, trennte uns tiefer, als uns die Schulzeit verband.
Ich ließ Laura bei den wie in einem Arztwartezimmer aufgereihten Stühlen zurück und ging auf dem Flur auf und ab. Was würden sie Noel fragen? Würde er die Wahrheit sagen? Am liebsten hätte ich an der Tür gelauscht, aber davor standen zwei Polizisten. Sie befürchteten, dass Noel flüchten könnte, dachte ich. Meine Hände wurden feucht.
„Nina!“ Ich drehte mich um.
„Was machst du denn hier, Marion?“, fragte ich erstaunt. Marion war auch eine Ex-Freundin von Noel.
„Da wunderst du dich? Ich bin als Entlastungszeugin geladen.“
„Nein, das kannst du doch nicht tun!“
„Oh doch, meine Liebe, einer muss ihm ja helfen. Sei bloß vorsichtig mit dem, was du nachher sagst. Noel wird nicht allzu lang sitzen müssen, und irgendwann ist er wieder frei und wird sich daran erinnern, was du heute sagst. Solltest du also heute lügen …“
„Die Wahrheit reicht vollkommen aus. Ich muss nichts dazu erfinden“, unterbrach ich sie.
„Du und Laura habt ihn doch erst zu dem gemacht, was er heute ist! Wegen euch steht er heute hier vor dem Richter!“
Marion hatte sich in Rage geredet und traf unbewusst in dieselbe Kerbe wie meine Selbstanklagen. Aber ganz so konnte ich es nicht hinnehmen.
„Natürlich, er ist ja völlig unschuldig! Bestimmt spricht man ihn frei“, konterte ich. „Hast du gesehen, wie Laura aussah, als Noel mit ihr fertig war? Und ehe ich es vergesse: In einem sentimentalen Moment hat mir unser toller Freund alles über dich und ihn erzählt und wie sehr er dich hasst für das, was du ihm angetan hast. Denk doch mal darüber nach, bevor du deinen Mund nachher im Verhandlungssaal zu voll nimmst.“
Marion wurde blass. Das hatte gesessen! Sie wollte offensichtlich noch etwas darauf erwidern, doch dann wurde ich schon in den Saal gerufen.
Ich nahm im Zeugenstand Platz und vermied es, Noel anzusehen. Nach der richterlichen Belehrung, dass ich die Wahrheit zu sagen habe, begann ich. Bereits nach wenigen Worten wurde ich sicherer und nahm die Menschen um mich herum nicht mehr wahr. Dann erzählte ich Noels und meine Geschichte …
2. Kapitel
Januar, 1978
An diesem Tag, als ich Noel kennenlernte, war ich mit Laura verabredet. Sie erschien zu früh, und ich kämpfte noch mit meinem Lockenstab, als sie atemlos die Treppe hoch gerannt kam.
„Noch nicht fertig? Mensch mach mal, ich hab Hunger! Franco will mich zur Pizza einladen. Hast du was zu trinken? Ich habe einen Mordsdurst.“
„Franco? Ich weiß nicht, was du an dem Typ findest, irgendwie ist der total merkwürdig. Schau in den Kühlschrank, da steht noch eine Flasche Orangensaft. Trink aber nicht alles weg, ich muss erst wieder einkaufen gehen.“
„Ich finde Franco süß. Und er ist auch sehr spendabel, wenn wir ausgehen.“ Laura riss den Kühlschrank auf. „Na, dein Kühlschrank braucht wirklich mal dringend ein Care-Paket! Bringt dir deine Mutter denn nicht mal was vorbei? Meine Mutter würde das tun.“
„Wie sieht denn das aus? Erst Hals über Kopf ausziehen und dann um Lebensmittel betteln, nee! Ein bisschen Stolz hab ich ja auch noch.“
***
Die kleine, möblierte 2-Zimmer-Wohnung mit Kochgelegenheit im Wohnzimmer und Gemeinschafts-Badezimmer und WC über den Flur war erst seit wenigen Monaten mein Zuhause. Ich war nach einem heftigen Streit von zu Hause ausgezogen. Die kleine Wohnung war bezahlbar, und das war momentan das Wichtigste. Ich genoss meine Unabhängigkeit, wenn auch das Geld sehr knapp war.
Mein ganzer Stolz war ein knallrotes 25er Mofa, mit dem ich zur Arbeit fuhr. Nach der Schule war ich einfach von Firma zu Firma gegangen und hatte nach Arbeit gefragt.
Читать дальше