Kaum hatten sie es ausgesprochen, entfernten sie sich von der einen auf die andere Sekunde. Dieses Mal ließ Tjalf die Augen geschlossen. Er wollte nicht riskieren, dass es ihm so schlecht erging, wie nach der letzten Landung. Es dauerte gefühlt nicht so lange, wie bei der vorherigen Reise und sie landeten, wie sie immer landeten. Dieses Mal war der Boden aber keine Erde oder Wasser, nein, es handelte sich um Steine, die einen Weg markierten.
„Ah!“, rief Tjalf, denn er hatte sich sein Knie gestoßen.
Kauko ging schnell hinüber zu ihm, denn er war weiter weg vom Venator, da er sich abgerollt hatte. Der Matkus verfügte halt über die entsprechende Erfahrung. So gesehen war es erst Tjalfs dritte Reise und er war ein Anfänger und nicht mal ein Matkus.
„Was ist los?“ wollte Kauko wissen und sah zum Knie.
„Ich habe mich beim Aufprall am Knie gestoßen“, antwortete Tjalf.
Es blutete leicht. Ob es schlimmer um den Venator stand, konnte der Matkus nicht einschätzen, denn er war kein Arzt. Was er konnte, zeigte er nun. Eigentlich dachte er, er könnte sich weiterhin bedeckt halten. Er hielt seine Hände auf das Bein. Tjalf wurde warm und er konnte wahrnehmen, wie eine leuchtete Magie auf das Knie überging und die Wunder verheilte. Sie Schmerzen verflogen binnen Sekunden.
„Wow“, freute Tjalf sich, „das war super. Bist du auch ein Zauberer?“
„Gewissermaßen ja“, antwortete Kauko etwas rätselhaft.
Tjalf wunderte sich zwar ein wenig, aber er hielt sich zurück, denn er war bestrebt, seine Mission zu erfüllen, um zu seinem Ziel zu gelangen. Daher stand er einfach auf und stellte sich hin, als wolle er sagen, dass es nun endlich losgehen konnte.
„Bist du bereit?“ fragte Kauko.
„Ja“, antwortete Tjalf.
„Dann gehe die Straße weiter“, erklärte der Matkus, „dort wirst du dich dann auf dem Marktplatz einfinden und schnell herausfinden, wo der Hexer sich befindet.“
„Und dann muss ich verhindern, dass er sich befreien kann?“ fragte Tjalf nochmals nach.
„Ja“, antwortete Kauko.
„Ich frage nur, da ich Hanna aufhalten muss“, konkretisierte er seine Frage.
„Im Prinzip schon“, teilte der Matkus mit, „ich weiß nicht, was alles geschehen könnte.“
„Okay, ich dachte nur, du hättest noch einen Hinweis“, erklärte Tjalf.
„Viel Erfolg“, wünschte Kauko dem Venator, „ich hole dich später wieder ab an dieser Stelle.“
„Okay“, bestätigte Tjalf und drehte sich um.
Er schritt voran und folgte dem Straßenverlauf. Er trug noch immer die alte Kleidung, die er schon bei den Holsten anhatte. Dadurch fiel er hier nicht so sehr auf, da er nicht mehr der Sauberste war. Es dauerte nicht lange, ehe er auf Menschen traf, die zwar guckten, aber nichts weiter machten, außer an ihm vorbeizugehen oder ihrer Beschäftigung nachzugehen.
„Frische Würste!“ rief ein dicker Mann und hielt eine seiner angepriesenen Würste in seiner Hand, „na junger Mann, wollen Sie eine Wurst? Heute im Sonderangebot!“
„Nein, Danke“, sagte Tjalf, denn er hatte gelernt, Fremden gegenüber freundlich zu sein.
Der Venator wollte um jeden Preis unauffällig bleiben, daher blieb er höflich. Was er nicht wusste, war der Umstand, dass es solche Benimmregeln bei dem einfachen Volk nicht in diesem Ausmaß vorhanden war. Nur höfische Menschen kannten das. Daher das Wort „höflich“.
„Hältst dich wohl für watt besseres, hä?“ fragte der Fleischer und hielt die Wurst drohend in die Luft.
Erst jetzt erkannte Tjalf, dass er durch seine Höflichkeit aufgefallen war, denn die Menschen im Mittelalter waren nicht nur körperlich dreckig, sie benahmen sich auch noch wie Tiere. Kein Wunder, denn die Pest hatte sich ja nicht ohne Grund so ausbreiten können.
„Nee, alder“, entgegnete Tjalf intuitiv dem Fleischer.
„Dann is ja good“, sprach dieser und beruhigte sich offensichtlich wieder.
Tjalf wandte sich von ihm ab und konzentrierte sich auf das Auffinden des Hexers Malit. Um ihn herum stank es fürchterlich. Was ein typischer Markt im Mittelalter war, würde in der heutigen Zeit vom Ordnungsamt geschlossen werden. Es käme ein Ordnungshüter und der würde es großräumig absperren lassen. Der Seuchenschutz würde Proben nehmen und es untersuchen. Alle müssten zwangsweise geimpft und mit Antibiotika vollgestopft werden.
Diese kurze Gedankenepisode hielt ihn nicht davon ab, weiterzusuchen. Und es konnte nicht verhindern, dass dieser beißende Gestank in seine Nase kroch und ihn laufend quälte. Doch plötzlich roch er Feuer, Das musste die Verbrennung sein!
„Hey, Junge“, rief plötzlich eine Stimme hinter ihm und er bekam Gänsehaut, denn er konnte sie identifizieren.
Tjalf traute sich kaum, den Kopf zu drehen und sich seine Vermutung bestätigen zu lassen. Ihm fiel immer wieder ein, dass der Matkus darauf hinwies, am Besten auf niemandem zu treffen, um nicht eine weitere Abänderung, außer der gewünschten, anzustoßen.
„Ja?“ fragte Tjalf.
„Suchst du Jemanden?“ fragte Bartholomäus, der genauso aussah wie eh und je, aber doch ein ganz anderer war, denn er kannte Tjalf noch nicht.
„Wieso fragen Sie?“ wollte Tjalf wissen, um von der Frage seines Gegenübers abzulenken.
„Ich habe dich beobachtet, Kleiner“, antwortete Bartholomäus, „und du scheinst etwas zu suchen. Soll ich helfen?“
„Nein, nicht nötig“, winkte Tjalf ab.
„Falls doch, ich stehe hier und beobachte dich“, verdeutlichte Bartholomäus, „denn du bist nicht von hier, das erkenne ich auf hundert Metern.“
Der Inquisitor meinte damit, dass Tjalf aus einer anderen Stadt oder einem fremden Dorf stammen könnte oder gar aus Sachsen, denn er konnte von der Zeitreise natürlich nichts wissen. Tjalf aber war sich unsicher, denn Bartholomäus hatte schon damalig mit den Venatoren zu tun gehabt und wusste so manches. Ob er Tjalf verdächtigte, war unklar für den jungen Venator.
„Danke“, sagte er und ging hinüber zum Scheiterhaufen, der gerade entzündet wurde.
Er konnte daneben einen Mann sehen, der bei genauer Betrachtung Malit war. Tjalf erkannte ihn, da er aussah wie damals in der Ruine. Der Hexer war gefesselt. Daneben befand sich Bartholomäus, der wohl darüber wachte, dass der Hexer nicht fliehen konnte. Erstaunlicherweise wehrte er sich nicht. Tjalf konnte sich denken, dass dies im Zusammenhang mit der Gewissheit des Hexers stehen müsste. Malit wusste, dass er befreit werden würde. In diesem Moment fiel Tjalf ein, dass sich Hanna hier irgendwo aufhalten musste und er suchte sie in der Menge, die sich bildete.
Hexenverbrennungen schienen ein Publikumsmagnet zu sein, dachte sich der Venator, denn der Platz füllte sich mit jeder Minute mehr. Und mit den Menschen kamen neben der Marktgerüche auch noch Schweißgerüche dazu. Tjalf fand es widerlich und war froh, wenn der Auftrag vorüber war.
Auf einmal sah er Hanna. Sie sah aus wie die, die er kannte, nur irgendwie lebendiger und vor allem fröhlicher. Schnell näherte er sich dem kleinen Mädchen. Sie beobachtete den Hexer. Ohne darüber nachzudenken, was er ihr sagen sollte, tippte er ihr auf die Schulter. Sie drehte sich um.
„Ja?“ fragte sie und schaute ihn an, als würde sie nicht wissen, wer er war.
Es war ein befremdliches Gefühl für Tjalf. Er hätte ihr am liebsten verraten, weshalb er hier war und sie retten wollen, aber die Auswirkungen seines Handelns wären unvorstellbar und daher ein großes Risiko.
„Deine Eltern suchen dich“, improvisierte Tjalf, denn er wusste, dass dies womöglich das einzige sein würde, was half, um sie von der Befreiung abzuhalten.
„Aber, ich… kann nicht“, sagte sie.
Tjalf erinnerte sich, dass Hanna erzählt hatte, dass Malit sie schon vor der Verbrennung getötet hatte und sie daher zu diesem Zeitpunkt bereits ein Geist war und unter seinem Bann stand.
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