Gerade als Bruggers Blick sich ein wenig an ihrem Allerwertesten festgesaugt hatte, erreichten sie einen Terminal. Er blickte auf und erkannte, dass sie ihn mit den Augen gerade tadelte. So hatte es unterbewusst also doch noch funktioniert mit dem „Unbeliebtmachen“. Juhu! Sie bat ihn, an dem Terminal, der fast wie eine Wahlkabine mit Sichtschutzwänden verbaut war, Name, Vorname und Passwort einzugeben.
Brugger trat an die Tastatur und schon sauste sein Finger zielsicher auf das B. Mit zittrigen Händen fand er die Rücktaste und löschte es wieder. Für die Sichtschutzwände war er nun sehr dankbar. Langsam tippte er nun „Magnussen“, „Thorwald“ und „Novalik“ ein und dann auf „Bestätigen“. An der Stahltür neben ihm leuchtete nun eine grüne Lampe auf, und das Schloss wurde deutlich hörbar geöffnet.
Er folgte Solange in den Tresorraum mit den Schließfächern. Sein Fach war eines in der untersten Reihe, sehr groß, musste immerhin auch zehn Liter fassen. Solange ging leicht in die Hocke, um den Schlüssel der Bank einzuführen und wartete dann darauf, dass er das zweite Schloss öffnete.
Bruggers Finger waren nun fast noch zittriger als an der Tastatur vorhin, aber er schaffte es gerade so. Das Fach schwang auf, und er sah einen dunkelgrauen Behälter, der auf kleinen Schienen saß. Dies war also noch nicht das große Geheimnis, sondern ein Bestandteil des Schließfachs.
„Machen Sie nur eine Entnahme oder auch eine Befüllung?“, fragte Solange. Brugger war so in Gedanken, dass er sie zwar reden hörte, aber keine Ahnung hatte, was sie gerade von ihm wollte. „Falls Sie etwas Zeit benötigen, zeige ich Ihnen einen kleinen Raum, in dem Ihnen Büromaterial und sogar ein Internetzugang zur Verfügung stehen.“
Brugger kapierte nun und deutete ihr mit den Händen fuchtelnd an, dass er nur transferieren würde. Es ging jetzt gar nicht darum, den Heiseren weiter zu spielen. Er hatte einfach nur einen so dicken Kloß im Hals, dass er gar nichts mehr sagen konnte.
„Ich erinnere Sie daran, dass wir in diesem Raum Kameras an den Wänden haben.“ Dabei zeigte sie in die oberen vier Winkel des Raumes, in denen die Überwachungskameras montiert waren. „Falls Sie möchten, können Sie den Container in den Nebenraum dort hinter der schwarzen Tür nehmen. Dort sind keine Kameras installiert.“
Sie zeigte auf die Tür, und Brugger war schockiert, wie unaufmerksam er vor lauter Aufregung war. Die Tür war nicht gerade klein und farblich deutlich von den silbernen Schließfächern abgesetzt, aber wahrgenommen hatte er sie bisher nicht.
Solange leierte routiniert die weiteren Informationen herunter. Brugger bekam noch so einigermaßen mit, dass sie ihn nun allein lassen würde, dass er sie mit der Gegensprechanlage rufen könnte, dass in beiden Räumen rote Notfallknöpfe installiert waren, falls Unerwartetes geschehen sollte und dass er am Ende den Container zurück ins Fach schieben und abschließen sollte. Der Gegenschlüssel der Bank sei dafür nicht notwendig.
„Bis gleich, Herr Professor! Falls ich in fünfzehn Minuten nichts von Ihnen höre, muss ich Sie gemäß der Sicherheitsbestimmungen unserer Bank auf dem Intercom rufen. Wenn Sie nicht antworten, dann müssen wir den Raum von außen öffnen. Ansonsten kann bis dahin niemand durch diese Tür kommen.“
Sie nickte ihm kurz zu, nahm den Schlüssel der Bank mit und ließ ihn alleine zurück.
Als erstes stützte Brugger sich schwer atmend auf dem Tisch in der Mitte des Raumes ab. Er hatte die letzten Minuten vor Spannung wohl die Luft angehalten, so ausgepumpt war er. Aber er wollte nun auch nicht länger als unbedingt nötig in dieser Bank verweilen, also packte er den Container am Griff und zog ihn heraus. Eine Art Doppelschiene sorgte dafür, dass das Behältnis komplett herausgezogen werden konnte, bis man es an zwei seitlich angebrachten Klappgriffen bequem aus der Führung heben konnte.
Schwer war der Container schon mal nicht, das freute ihn. Er trug den Container zur schwarzen Tür, die er mit dem Hinterteil bequem aufdrücken konnte und stellte den Kasten im Nebenraum auf einen Tisch. Danach holte er seinen Koffer und stellte ihn neben den Container.
Brugger war leicht schwindlig und er bemerkte, dass er wieder hyperventilierte. Dafür hatte er nun wirklich keine Zeit, aber zum Glück hatte er noch die Plastiktüte von der Raststätte in einer Tasche seiner Hose verstaut. Ein paarmal tief in die Tüte geatmet und es ging wieder. Er würde in Zukunft darauf achten, immer eine Tüte dabei zu haben, wenn er wieder illegale Unternehmungen vorhatte.
Brugger öffnete den Container an zwei Schnapp-Verschlüssen und zuckte zusammen, denn es zischte, als er den Deckel anhob. Er merkte nun, dass der Behälter leicht gekühlt war und dass die Kühle wohl eher aus dem Inneren kommen musste. Er beugte sich über den Behälter und blickte hinein.
Da lag obenauf ein Stofffetzen, irgendetwas aus Leinen. Er nahm ihn heraus und erblickte dann eine flächendeckende Schaumstoffauflage mit fünf Aussparungen; vier großen und einer kleinen in der Mitte. In den großen befanden sich vier matt-graue Ringe von circa zehn Zentimetern Durchmesser, in der kleinen ein rechteckiges Teil, das wie ein Akku für eine Kamera aussah oder wie ein „Mini-Neuro“. Brugger vermutete zweites wäre wahrscheinlicher.
Er hob die komplette Schaumstoffauflage heraus und als er sie auf den Tisch neben seinen Koffer legte, konnte er schon das grüne Leuchten aus der Box sehen. Er lugte über den Rand und sah ein rundes Behältnis, das scheinbar weder einen Verschluss noch eine andersartige Zugangsmöglichkeit zu dem eigenartigen Inhalt aufwies.
Auch dieser Behälter lag in einer Schaumstoffauflage, die wohl den Boden des Containers bedeckte. Brugger hob nun auch diese Auflage heraus und legte sie vorsichtig auf den Tisch. Die Flüssigkeit, die wohl offensichtlich reines Cyto-X darstellen sollte, waberte in dem Behälter neon-gift-grün vor sich hin.
Brugger hielt die Hand dicht darüber. Entweder strahlte diese Flüssigkeit die Kälte aus oder die dünne Schicht, die sie umgab, denn mehr war dieser Behälter nicht; eine dünne, membran-artige Schicht um das Cyto-X herum. Brugger schätzte, dass das ungefähr drei Liter sein mussten, oder sogar mehr.
Wie das funktionierte oder wie man an das Cyto-X gelangen sollte, für solche Fragen war jetzt keine Zeit. Das neunmalkluge Neuro würde das sicher verraten, wenn Erik es befragte. Brugger hob zunächst die Auflage mit dem Behälter in den Koffer, danach obendrauf die Auflage mit den Ringen und deckte es dann mit dem Leinenfetzen ab, ebenso wie es zuvor im Bankcontainer angeordnet war. Allein von der Farbe des Cyto-X konnte einem schon übel werden.
Würde man nach der Blutwäsche zu einem grünen Männchen mutieren?
Brugger klappte den Koffer zu und ließ die Schlösser einrasten. Die Kühle, die das Cyto-X abstrahlte war mit einem Schlag ebenso verschwunden, wie das grüne Leuchten. Zurück blieb ein leicht panischer Professor, der kurz vor der Rente stand, in einem kleinen stickigen Kämmerchen im Keller einer Bank.
Brugger fummelte den Kragen seines Hemdes etwas auf. Er musste hier schnell raus, bevor er sich übergeben musste. Unter Klaustrophobie litt er eigentlich nicht, aber aus irgendeinem Grund bewegten sich hier unten die Wände auf ihn zu und raubten ihm den Atem.
Er wollte gerade den Deckel wieder auf den Behälter drücken, als er merkte, dass es zu spät war. Er blickte links und rechts nach einem Mülleimer, nach irgendetwas, in das er sich hinein übergeben konnte, aber offensichtlich stand dafür in diesem Moment nur ein Behältnis zur Verfügung.
Glücklicherweise hatte er aufgrund seiner Nervosität heute nicht viel zu sich genommen, aber das machte die Aktion nicht weniger peinlich. Noch mehr auffallen, als er das schon getan hatte mit seinem Hustenanfall in der Halle, wollte er nun wirklich nicht, also verschloss er den Container und legte damit den Mantel des Schweigens über sein Malheur.
Читать дальше