Meine Chance kommt, als ich bei einem Seitenblick auf das Klemmbrett eines der Forscher eine Liste mit Telefonnummern entdecke. In einem unbedachten Moment identifiziere ich die von Orange-17. Perfekt! Ich verschicke eine SMS: »Zusatzaufgabe: Sie treffen Blau-8, den Sie sehr attraktiv finden, und fragen ihn, ob er nach der Untersuchung noch Zeit hat, um mit Ihnen etwas trinken zu gehen.«
Natürlich hat sie meinen Trick durchschaut. Der Korridor ist hier verengt, aber sie fragt mich trotzdem, obwohl sie sich sehr zurückhalten muss, um nicht in lautes Lachen auszubrechen. Der Stau, der sich zu beiden Seiten von uns bildet, ist uns egal. Ich nehme ihr freundliches Angebot gerne an: Klar habe ich anschließend Zeit, um mit ihr bei einem Caipirinha über Korridore zu reden oder worüber auch immer sie sich gerne mit mir unterhalten möchte.
Die Armbinden dürfen wir behalten, und wir legen sie nicht wie alle anderen ab, sondern tragen sie noch im Restaurant und weiter bis tief in die Nacht. Blau-8 und Orange-17. Korridore sind was Tolles!
28.9.12
Ich betrete den Korridor, oder nein, meine Therapeutin hat gesagt, ich soll mich nicht immer gleich identifizieren und schön auf die Trennung zwischen ihm und mir achten, also: Er betritt den Korridor, er, die Lichtgestalt, mein Seelenzwilling, dem die Herzen der Menschen zufliegen, der ihnen Hoffnung macht und unter uns allen Zuversicht verbreitet. Er ist jetzt auf dem Weg auf die Bühne, ich spüre es, ich sehe es förmlich, als sei ich bei ihm, als sei ich er, als blickte ich aus seinen Augen, und tatsächlich sind wir im Grunde eins.
Er spürt es auch, das weiß ich genau, er spürt es, aber er weiß es nicht. Er spürt die Sehnsucht und ahnt, dass ich ihm ganz nah bin, dass er mir näher und näher kommt, wenn er in wenigen Augenblicken hinaustritt vor sein Publikum, vor die Fernsehkameras.
Sein Blick wird lächelnd über seine Zuschauer und Fans gleiten – auch über mich, die ich ganz vorne stehe. Irgendwann, eines Tages, wird er mich wiedererkennen, wird es ihm einen Stich ins Herz tun, und er wird sich erinnern, dass ich immer da war, immer, bei jedem seiner Auftritte, aus der ersten Reihe zu ihm aufschaute, und er wird wissen, dass wir zusammengehören, dass wir Seelengefährten sind seit Anbeginn der Zeit, uns hier endlich wiedergefunden haben und von nun an nicht mehr auseinandergehen.
Wir werden uns in die Arme schließen. Worte werden überflüssig sein. Wir lassen unsere äonenalte Sehnsucht und unsere universumsweiten Gefühle zueinander sprechen, und mein Messer wird dafür sorgen, dass der Moment unseres höchsten Glücks niemals vergeht. Die Klinge ist so lang, dass sie gleichzeitig auch mein Herz durchbohren wird. Auch er wird in diesem Moment wissen, dass sich nur so unsere Liebe erfüllen kann. Die Liebe und der Tod werden uns vereinen. Wir werden nie mehr getrennt sein. Nie mehr.
Da. Er tritt aus dem Korridor auf die Bühne. Der Applaus und die Hochrufe, die uns empfangen, sind überwältigend. Ich lächle ins Publikum. Trete ans Mikrofon. Lasse meinen Blick schweifen.
6.10.12
Ich betrete den Korridor – ein Hinterhalt: Du springst hervor, ich zück mein Schwert, du schreckst zurück und ziehst anstatt des Degens deine Seele blank. Und ich? Steh zitternd vor dir, kann den Streich unmöglich führen, lass das Schwert zu Boden fallen, gebe mich dir kampflos in die Hände. Die Kapitulation verwirrt dich nur noch mehr, statt mich zu fesseln küsst du mich, und erst viel später, sehr viel später, wird uns klar, dass uns – zu unsrem Glück – doch glatt ein kapitaler Irrtum unterlief.
28.10.12
Ich betrete den Korridor, eines meiner Gedichte aus jungen Jahren deklamierend, das mir gerade in den Sinn gekommen ist. Vergnügt lärmen Kinder zwischen meinen Zinnoberzeilen und Amarantworten, und schon sind sie in eine andere, interessantere Geschichte verschwunden.
Ein Kardinal bleibt zurück. Hummerrot versinkt die Sonne. Die schwarze Tür ohne Knauf schlägt zu. Eine kuschlige Stille räkelt sich im zerwühlten Bett.
Wind in Sicht!, kräht der Kardinal, der den Kleiderschrank erstiegen hat, und ich beschließe, angesichts dieser absurden Welt noch eine Weile mit dir im Arm liegenzubleiben.
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