»Da ist einstweilen nichts Besonderes zu sagen; Swinkin hat ein Aktenstück verloren!«
»Wirklich? Was hat denn der Direktor dazu gesagt?« fragte Oblomow mit zitternder Stimme. Er hatte, weil er die Verhältnisse von früher her kannte, einen Schreck bekommen.
»Er hat befohlen, ihm die Gratifikation vorzuenthalten, bis das Aktenstück sich wiedergefunden haben wird. Es ist ein wichtiges Aktenstück: ›über Zwangsvollstreckungen‹. Der Direktor glaubt«, fügte Sudbinski beinahe flüsternd hinzu, »er habe es absichtlich verloren.«
»Nicht möglich!« rief Oblomow.
»Nein, nein! Dieser Verdacht ist unbegründet«, stimmte ihm Sudbinski in würdevollem, gönnerhaftem Tone bei. »Swinkin ist ein windiger Kopf. Weiß der Teufel, was er manchmal für Resultate herausbekommt; er verwirrt alle Rekognitionen. Ich habe mich viel mit ihm abgequält; aber nein, so etwas läßt er sich nicht zuschulden kommen. Das tut er nicht, nein, nein! Er wird das Aktenstück irgendwo verlegt haben, und es wird sich später finden.«
»Also du steckst immer tief in der Arbeit!« sagte Oblomow. »Immer Amtstätigkeit.«
»Ja, es ist schrecklich, schrecklich! Nun freilich, unter einem solchen Manne wie Foma Fomitsch zu dienen ist ein Vergnügen: er läßt niemanden unbelohnt; selbst diejenigen, die nichts tun, vergißt er nicht. Wenn der Termin für die Auszeichnungen da ist, so macht er seine Vorschläge; wer noch nicht an der Reihe ist aufzurücken oder einen Orden zu bekommen, dem erwirkt er eine pekuniäre Zuwendung . . .«
»Wieviel bekommst du denn eigentlich?«
»Das will ich dir sagen: 1200 Rubel Gehalt, außerdem Tafelgeld 750 Rubel, Wohnungsgeld 600 Rubel, Beihilfe 900 Rubel, für Reisen 500 Rubel und an Gratifikationen gegen 1000 Rubel.«
»Donnerwetter!« rief Oblomow, vom Bette aufspringend. »Du hast wohl eine schöne Stimme? Du wirst ja bezahlt wie ein italienischer Sänger!«
»Das ist noch gar nichts! Pereswjetow bekommt Zulagen und arbeitet weniger als ich und versteht auch nichts. Na, allerdings erfreut er sich auch nicht eines so guten Rufes wie ich. Man weiß mich sehr zu schätzen«, fügte er mit niedergeschlagenen Augen bescheiden hinzu. »Der Minister hat kürzlich von mir gesagt, ich sei eine Zierde des Ministeriums.«
»Du bist ein Prachtmensch!« sagte Oblomow. »Aber von acht bis zwölf zu arbeiten und von zwölf bis fünf und dann noch zu Hause – o weh, o weh!«
Er wiegte den Kopf hin und her.
»Aber was sollte ich denn tun, wenn ich nicht meine dienstliche Tätigkeit hätte?« fragte Sudbinski.
»Da gibt es unzählige Dinge! Du könntest lesen, schreiben . . .« sagte Oblomow.
»Ich tue auch jetzt weiter nichts als lesen und schreiben.«
»Aber das ist doch etwas ganz anderes. Du könntest etwas drucken lassen . . .«
»Es können nicht alle Leute Schriftsteller sein. Du selbst schreibst ja auch nicht«, versetzte Sudbinski.
»Dafür habe ich ein Gut zu verwalten«, sagte Oblomow mit einem Seufzer. »Ich entwerfe einen neuen Plan; ich will verschiedene Verbesserungen einführen. Ich quäle mich und quäle mich . . . Aber deine Tätigkeit ist auf Fremdes gerichtet und nicht auf Eigenes.«
»Was soll ich tun? Wenn man Geld dafür bekommt, muß man auch arbeiten. Im Sommer will ich mich erholen: Foma Fomitsch hat mir versprochen, er wolle extra für mich einen auswärts zu erledigenden dienstlichen Auftrag ersinnen . . . da bekomme ich dann Fahrgelder für fünf Pferde, drei Rubel Diäten täglich und außerdem eine Gratifikation . . .«
»Das sind ja schöne Einnahmen!« sagte Oblomow neidisch; dann seufzte er und versank in Gedanken.
»Ich kann das Geld gebrauchen: ich heirate im Herbst«, fügte Sudbinski hinzu.
»Was du sagst! Wirklich? Wen denn?« fragte Oblomow teilnehmend.
»Ohne Scherz, Fräulein Muraschina. Erinnerst du dich, sie wohnten in der Sommerfrische neben mir. Du hast einmal bei mir Tee getrunken und sie dabei gesehen, glaube ich.«
»Nein, ich erinnere mich nicht. Ist sie hübsch?« fragte Oblomow.
»Ja, sie ist sehr nett. Wenn du willst, können wir einmal bei ihnen zu Mittag essen . . .«
Oblomow fing an zu stottern: »Ja . . . schön, nur . . .«
»In der nächsten Woche«, sagte Sudbinski.
»Ja, ja, in der nächsten Woche«, stimmte ihm Oblomow erfreut bei. »Mein Anzug ist noch nicht fertig. Nun, und ist es eine gute Partie?«
»Ja, der Vater ist Wirklicher Staatsrat; er gibt ihr zehntausend Rubel Mitgift, und wir wohnen mit in seiner Dienstwohnung. Er hat eine ganze Hälfte seiner Dienstwohnung für uns bestimmt, zwölf Zimmer; fiskalische Möbel, desgleichen Heizung und Beleuchtung; damit kann man schon leben . . .«
»Ja, das kann man! Und ob! Du bist ein famoser Kerl, Sudbinski!« fügte Oblomow nicht ohne Neid hinzu.
»Ich lade dich zu meiner Hochzeit als meinen Marschall ein, Ilja Iljitsch; vergiß es nicht . . .«
»Wie werde ich; ich werde bestimmt kommen!« sagte Oblomow. »Nun, aber was machen Kusnezow, Wasiljew und Machow?«
»Kusnezow ist schon lange verheiratet; Machow ist in meine frühere Stelle eingerückt, und Wasiljew ist nach Polen versetzt worden. Iwan Petrowitsch hat den Wladimirorden erhalten, und Oleschkin ist Exzellenz geworden.«
»Er ist ein guter Kerl!« sagte Oblomow.
»Das ist er, das ist er; er verdient es.«
»Ein sehr guter Mensch, mit einem weichen, ruhigen Charakter«, sagte Oblomow.
»Und so gefällig«, fügte Sudbinski hinzu. »Und weißt du, es liegt ihm fern, sich durch Kriecherei heraufzuarbeiten, einem andern zu schaden, ihm ein Bein zu stellen, ihm den Rang abzulaufen . . . was er nur kann, tut er einem zuliebe.«
»Ein vortrefflicher Mensch! Hatte man manchmal in einem Schriftstück Konfusion gemacht, etwas übersehen, in einem Berichte eine falsche Meinung vertreten oder ein unrichtiges Gesetz herangezogen, so machte das nichts aus: er ließ es einfach von einem andern in Ordnung bringen. Ein vortrefflicher Mensch!« schloß Oblomow.
»Unser Semjon Semjonowitsch dagegen ist unverbesserlich«, sagte Sudbinski; »der versteht weiter nichts, als den Leuten Sand in die Augen zu streuen. Hör' nur, was er neulich getan hat: aus den Gouvernements war eine Eingabe eingegangen, es möchten bei den zu unserem Ressort gehörigen Gebäuden Hundehütten gebaut werden zum Schutze des fiskalischen Eigentums gegen Diebstahl; unser Architekt, ein tüchtiger, kenntnisreicher, ehrenhafter Mensch, stellt einen sehr maßvollen Kostenanschlag auf; unserm Semjon Semjonowitsch erscheint der Kostenanschlag auf einmal zu hoch; flugs stellt er Erhebungen darüber an, was die Erbauung einer Hundehütte kosten könne. Er bekommt dreißig Kopeken weniger heraus und reicht sofort ein Memorandum ein . . .«
Die Klingel ertönte von neuem.
»Adieu«, sagte der Beamte. »Ich bin zu sehr ins Plaudern gekommen; man wird mich dort schon nötig haben . . .«
Oblomow suchte ihn zurückzuhalten. »Bleib' doch noch ein Weilchen sitzen«, sagte er. »Ich möchte die Gelegenheit benutzen, um dich um Rat zu fragen: ich habe in zwiefacher Hinsicht Unglück . . .«
»Nein, nein, ich will lieber in den nächsten Tagen wieder herankommen«, erwiderte er und ging fort.
»Er ist im Morast versunken, der liebe Freund, bis über die Ohren im Morast versunken«, dachte Oblomow, während er ihm nachsah. »Für alles Übrige in der Welt ist er blind und taub und stumm. Aber er wird sich in die Höhe arbeiten, mit der Zeit in seinem Ressort eine einflußreiche Persönlichkeit werden, zu Ehren und Würden gelangen . . . Das nennt man bei uns Karriere! Und wie wenig von dem gesamten Menschen ist dazu nötig? Wozu braucht man dabei Verstand, Willen und Gefühl? Das ist Luxus! Er wird sein Leben hinbringen, und vieles, vieles wird in ihm gar nicht rege geworden sein . . . Und dabei arbeitet er von zwölf bis fünf in der Kanzlei und von acht bis zwölf zu Hause – der Unglückliche!«
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