»Immer und ewig dasselbe Thema – wie langweilig! Das müssen rechte Pedanten sein!« sagte Oblomow gähnend.
»Ihnen kann es auch niemand recht machen. Aber wieviele Familien gibt es nicht, und alle haben sie jetzt ihre Jours: bei Sawinows kann man Donnerstags dinieren. Maklaschins haben ihre Freitage, Wjasnikows ihre Sonntage, Fürst Tjumenew seine Mittwoche. Bei mir sind alle Tage besetzt!« schloß Wolkow mit strahlenden Augen.
»Und ist es Ihnen nicht unbequem, so Tag für Tag umherzurennen?«
»Unbequem? Wie kann einem das unbequem sein? Es ist höchst amüsant!« sagte er sorglos. »Am Morgen liest man ein bißchen; man muß auf allen Gebieten au courant sein, die Neuigkeiten wissen. Gott sei Dank ist meine dienstliche Tätigkeit von der Art, daß ich nicht in einem Büro zu sitzen brauche; ich sitze nur zweimal in der Woche ein bißchen beim General und speise bei ihm zu Mittag. Dann aber mach ich Visiten an Stellen, wo ich längere Zeit nicht gewesen bin; und dann . . . da tritt bald im russischen, bald im französischen Theater eine neue Schauspielerin auf. Jetzt beginnt die Opernsaison; da nehme ich ein Abonnement. Und jetzt bin ich verliebt . . . Der Sommer steht vor der Tür; die Vorgesetzten Mischas haben ihm einen Urlaub versprochen; da will ich mit ihm zur Abwechslung für einen Monat aufs Land fahren. Da kann ich auf die Jagd gehen. Ihre Nachbarn dort sind prächtige Leute; da werden bals champêtres veranstaltet. Mit Lidija werde ich im Walde spazierengehen, Kahn fahren, Blumen pflücken . . . Ach! . . .« und er drehte sich vor Freude hin und her. »Aber jetzt muß ich gehen adieu!« sagte er und versuchte vergebens, sich in dem verstaubten Spiegel von vorn und von hinten zu besehen.
»Warten Sie noch einen Augenblick«, hielt in Oblomow zurück; »ich möchte gern mit Ihnen über etwas Geschäftliches reden.«
»Pardon, ich habe keine Zeit«, versetzte Wolkow eilig; »ein andermal! – Aber wollen Sie nicht mit mir Austern essen? Dann können Sie mir ja erzählen, was Sie auf dem Herzen haben. Kommen Sie; Mischa traktiert.«
»Nein, was reden Sie da!« antwortete Oblomow.
»Na, dann adieu!«
Er ging zur Tür und kehrte wieder um.
»Haben Sie das schon gesehen?« fragte er, indem er ihm seine von dem Handschuh glatt umschlossene Hand zeigte.
»Was ist denn das?« fragte Oblomow verständnislos.
»Das sind die neuen lacets! Sehen Sie nur, wie vorzüglich so ein Ding zusammenzieht: man braucht sich nicht zwei Stunden lang mit den Knöpfen abzuquälen; man zieht an dem Schnürchen – fertig! Das ist soeben aus Paris gekommen. Wenn Sie wollen, bringe ich Ihnen ein Paar zur Probe, ja?«
»Schön, bringen Sie mit ein Paar!« antwortete Oblomow.
»Und sehen Sie einmal dies hier an: nicht wahr, allerliebst?« sagte er, während er aus der Menge von Anhängern einen heraussuchte. »Eine kleine Visitenkarte mit umgebogener Ecke.«
»Ich kann nicht erkennen, was darauf geschrieben steht.«
» Pr. , das heißt prince; M ., das heißt Michel «, sagte Wolkow; »für den Familiennamen Tjumenew hat der Platz nicht ausgereicht. Das hat er mir zu Ostern geschenkt, statt eines Ostereies. Aber nun adieu, au revoir . Ich muß noch nach zehn verschiedenen Stellen. O Gott, wie lustig lebt es sich auf der Welt!«
Und er verschwand.
»Nach zehn verschiedenen Stellen an einem Tage – der Unglückliche!« dachte Oblomow. »Und das nennt man nun ein Leben!« Er zuckte stark mit den Schultern. »Was wird da aus dem Menschen, wenn er sich so zersplittert und zerstückelt? Gewiß, es ist gar nicht so übel, auch einmal ins Theater hineinzusehen und sich in so eine Lidija zu verlieben . . . sie ist sehr nett! Auf dem Lande mit ihr Blumen zu pflücken und Kahn zu fahren, das ist ganz schön; aber nach zehn verschiedenen Stellen an einem Tage – der Unglückliche!« schloß er, drehte sich auf den Rücken und freute sich, daß er keine so nichtigen Wünsche und Gedanken hatte, daß er nicht herumrannte, sondern dalag, seine Menschenwürde aufrecht erhielt und seine Ruhe bewahrte.
Ein neues Läuten unterbrach seine Meditationen.
Es trat ein neuer Besucher ein.
Dies war ein Herr in einem dunkelgrünen Frack mit Wappenknöpfen, glatt rasiert, mit einem dunklen, sein Gesicht gleichmäßig umrahmenden Backenbarte, mit einem abgearbeiteten, aber ruhigen, selbstbewußten Ausdruck in den Augen, mit einem sehr intelligenten Gesichte und mit einem nachdenklichen Lächeln.
»Guten Tag, Sudbinski!« begrüßte ihn Oblomow erfreut. »Siehst du dich endlich auch einmal nach deinem alten Kollegen um? Komm nicht so nah heran, nicht so nah! Du kommst aus der Kälte.«
»Guten Tag, Ilja Iljitsch! Ich hatte schon längst vor, einmal zu dir zu kommen«, sagte der Besucher; »aber du weißt ja, was wir für einen anstrengenden Dienst haben! Da, sieh, ich trage einen ganzen Koffer voll Papiere zum Vortrag; und dem Kurier habe ich jetzt befohlen, wenn dort nach irgend etwas gefragt werden sollte, schleunigst hierher zu eilen. Ich kann auch nicht eine Minute lang über mich verfügen.«
»Gehst du erst jetzt zum Dienst? Warum denn so spät?« fragte Oblomow. »Früher gingst du doch immer um zehn Uhr . . .«
»Ja, früher; aber jetzt ist es eine andere Sache: ich fahre um zwölf hin.« Er legte auf das Wort »fahre« einen besonderen Nachdruck.
»Ah, ich verstehe!« sagte Oblomow. »Du bist Abteilungsvorsteher geworden! Schon lange?«
Sudbinski nickte bedeutsam mit dem Kopfe.
»Zu Ostern«, antwortete er. »Aber wieviel ich zu tun habe, das ist horrend! Von acht bis zwölf arbeite ich zu Hause, von zwölf bis fünf im Büro und abends wieder zu Hause. Von dem Umgange mit Menschen habe ich mich vollständig entwöhnt!«
»Hm! Abteilungsvorsteher – na so etwas!« sagte Oblomow. »Ich gratuliere! So ein Mensch! Und wir hatten zusammen als Kanzleibeamte gedient. Ich glaube, im nächsten Jahre rückst du zum Staatsrat auf.«
»Nicht doch! Was redest du! In diesem Jahre muß ich erst noch die Krone bekommen; ich glaubte, ich würde nur ›zu einer Auszeichnung‹ vorgeschlagen werden; aber jetzt habe ich ein neues Amt erhalten: zwei Jahre hintereinander geht das nicht . . .«
»Komm doch heute zu mir zum Mittagessen; wir wollen deine Beförderung durch ein Gläschen Wein feiern!« sagte Oblomow.
»Nein, heute speise ich beim Vizedirektor. Zum Donnerstag muß ich einen Vortrag vorbereiten; das ist eine höllische Arbeit. Auf die Berichte aus den Gouvernements kann man sich nicht verlassen. Man muß die Tabellen selbst nachprüfen. Foma Fomitsch ist so mißtrauisch: er will alles selbst machen. Da wollen wir uns heute nach Tische zusammen an die Arbeit setzen.«
»Wirklich nach Tische?« fragte Oblomow ungläubig.
»Was denkst du denn? Ich will noch zufrieden sein, wenn ich leidlich früh davon loskomme und wenigstens noch die Spazierfahrt nach Jekateringof mitmachen kann . . . Ja, ich bin herangekommen, um dich zu fragen, ob du nicht mitfahren willst? Ich würde dich abholen . . .«
»Ich bin nicht ganz wohl, ich kann nicht!« antwortete Oblomow, die Stirn runzelnd. »Und ich habe auch viel zu tun . . . nein, ich kann nicht!«
»Schade!« sagte Sudbinski; »es ist ein so schöner Tag. Ich hoffe mich heute zu erholen.«
»Nun, was gibt es bei euch Neues?« fragte Oblomow.
»Vieles, vieles: in den Briefen ist der Ausdruck ›ergebenster Diener‹ abgeschafft; es wird jetzt geschrieben: ›nehmen Sie die Versicherung usw.‹ Es ist verboten worden, die Dienstlisten in zwei Exemplaren vorzulegen. In unserem Büro sind drei Tische und zwei Beamte ›zu besonderen Aufträgen‹ hinzugekommen. Unsere Kommission ist geschlossen worden . . . Viel Neues!«
»Nun, und was machen unsere früheren Kollegen?«
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