»Wo willst du hin?« fragte Oblomow auf einmal.
»Sie sagen nichts; also warum soll ich hier unnütze stehen?« erwiderte Sachar mit heiserer Stimme; eine andere Stimme hatte er nämlich nicht. Nach seiner Angabe hatte er seine Stimme verloren, als er mit seinem alten Herrn zu Pferde eine Hetzjagd mitgemacht und ihm ein starker Wind in die Kehle geblasen hatte.
Er stand halb abgewendet mitten im Zimmer und blickte immer seitwärts auf Oblomow hin.
»Sind dir etwa die Beine verdorrt, daß du nicht stehen kannst? Du siehst, ich habe meine Kopf voll Sorgen; also warte ein Weilchen! Hast du denn bei dir noch nicht genug gelegen? Suche mal den Brief, den ich gestern von dem Dorfschulzen bekommen habe. Wo hast du ihn gelassen?«
»Was für einen Brief? Ich habe keinen Brief gesehen«, antwortete Sachar.
»Du hast ihn doch selbst von dem Briefträger in Empfang genommen: es war so ein schmutziger Brief!«
»Wie soll ich wissen, wo Sie ihn hingelegt haben?« sagte Sachar und klopfte mit der Hand auf die Papiere und auf die mancherlei anderen Sachen, die auf dem Tische lagen.
»Du weißt aber auch nie etwas. Sieh mal da in dem Korb nach! Oder ist er vielleicht hinter das Sofa gefallen? Die Rücklehne am Sofa ist immer noch nicht repariert; du solltest doch den Tischler rufen und sie ganzmachen lassen. Du hast sie ja selbst zerbrochen. Du denkst aber an nichts!«
»Ich habe sie nicht zerbrochen«, antwortete Sachar. »Sie ist von selbst zerbrochen; ewig kann sie ja doch nicht halten; einmal muß sie doch entzweigehen.«
Ilja Iljitsch hielt nicht für nötig, das Gegenteil zu beweisen.
»Hast du ihn gefunden, ja?« fragte er nur.
»Hier sind ein paar Briefe.«
»Das sind andere.«
»Na, mehr sind nicht da«, sagte Sachar.
»Nun gut, geh nur!« sagte Ilja Iljitsch ungeduldig; »ich werde aufstehen und ihn selbst suchen.«
Sachar ging in sein Zimmer; aber kaum hatte er sich mit den Armen auf die Ofenbank gestemmt, um hinaufzuspringen, als sich wieder der eilige Ruf: »Sachar, Sachar!« vernehmen ließ.
»Ach, du mein Gott!« brummte Sachar, während er sich wieder in das Wohnzimmer begab. »Ist das eine Quälerei! Wenn ich nur erst tot wäre!«
»Was wünschen Sie?« fragte er, indem er mit der einen Hand die Tür des Wohnzimmers angefaßt hielt und seinen Herrn zum Zeichen seines Mißvergnügens dermaßen von der Seite anblickte, daß er ihn nur mit einem halben Auge sehen konnte, diesem aber nur die eine Hälfte des Backenbartes sichtbar war, die einen so großen, dichten Busch bildete, daß man erwarten konnte, es würden zwei oder drei Vögel herausfliegen.
»Das Taschentuch, schnell! Das könntest du auch selbst wissen; siehst du denn nichts?« bemerkte Ilja Iljitsch in strengem Tone.
Sachar äußerte bei diesem Befehl und Vorwurf seines Herrn keine besondere Unzufriedenheit oder Verwunderung, da er wahrscheinlich seinerseits sowohl den Befehl als auch den Vorwurf sehr natürlich fand.
»Wer weiß, wo das Taschentuch ist?« brummte er, während er im Zimmer umherging und jeden Stuhl betastete, obgleich auch so schon zu sehen war, daß auf den Stühlen nichts lag.
»Alles verlieren Sie!« bemerkte er und öffnete die Tür zum Salon, um nachzusehen, ob das Tuch nicht dort sei.
»Wo willst du hin? Suche hier! Da bin ich seit vorgestern nicht gewesen. Aber schnell!« sagte Ilja Iljitsch.
»Ja, wo ist das Tuch? Das Tuch ist nicht da!« sagte Sachar, ratlos die Arme ausbreitend und in alle Ecken blickend. »Aber da ist es ja!« rief er plötzlich ärgerlich mit seiner heiseren Stimme; »unter Ihnen! Da schaut ein Zipfel davon hervor. Sie liegen selbst auf dem Tuche und suchen es!«
Und ohne eine Antwort abzuwarten, wollte Sachar hinausgehen. Oblomow war infolge seines eigenen Versehens etwas verlegen geworden, fand aber schnell einen anderen Grund, um seinem Diener einen Vorwurf zu machen.
»Wie du überall für Reinlichkeit sorgst! Ist das hier ein Staub und Schmutz, mein Gott! Da, da, sieh mal in die Ecken – nichts tust du!«
»Na, wenn ich nichts tue . . .« begann Sachar in gekränktem Tone. »Ich gebe mir die größte Mühe und schone mein Leben nicht! Fast alle Tage fege ich aus und wische Staub . . .« Er wies auf die Mitte des Fußbodens und auf den Tisch, an dem Oblomow immer zu Mittag aß.
»Da, da«, sagte er: »alles ist reingefegt und aufgeräumt, wie zu einer Hochzeit . . . Was wollen Sie noch mehr?«
»Aber was ist das da?« unterbrach ihn Ilja Iljitsch, indem er auf die Wände und die Zimmerdecke wies. »Und das? Und das?« Er wies auf das seit dem vorhergehenden Tage herumliegende Handtuch und auf den auf dem Tische vergessenen Teller mit einem Stücke Brot.
»Na, das will ich gern wegräumen«, versetzte Sachar herablassend und nahm den Teller.
»Nur das! Und der Staub an den Wänden, und die Spinnweben?« sagte Oblomow, auf die Wände weisend.
»Das beseitige ich zur Osterwoche; dann säubere ich den Heiligenschrein und nehme die Spinnweben ab . . .«
»Und wann fegst du die Bücher und die Bilder ab?«
»Die Bücher und die Bilder vor Weihnachten; dann nehme ich mit Anisja alle Schränke vor. Jetzt aber, wann soll ich da aufräumen? Sie sitzen ja immer zu Hause!«
»Ich gehe doch manchmal ins Theater und auf Besuch; da könntest du . . .«
»Wie kann ich bei Nacht reinmachen!«
Oblomow sah ihn vorwurfsvoll an, schüttelte den Kopf und seufzte; Sachar aber blickte gleichmütig durch das Fenster und seufzte ebenfalls. Der Herr schien zu denken: »Na, Bruder, du bist noch ein ärgerer Oblomow als ich selbst«; Sachar aber dachte ungefähr: »Du lügst! Du verstehst dich nur darauf, geschickte, klägliche Worte zu sagen; aber im Grunde sind dir der Staub und die Spinnweben ganz gleichgültig.«
»Weißt du wohl«, sagte Ilja Iljitsch, »daß infolge des Staubes sich Motten einnisten? Ich sehe manchmal sogar eine Wanze an der Wand!«
»Bei mir sind auch Flöhe!« erwiderte Sachar gleichmütig.
»Ist das etwa schön? Das ist doch eine Schmutzerei!« bemerkte Oblomow.
Sachar lächelte über das ganze Gesicht, so daß das Lächeln sogar die Augenbrauen und den Backenbart erfaßte und dieser sich nach den Seiten auseinanderteilte und das ganze Gesicht bis an die Stirn hinauf wie ein roter Fleck aussah.
»Was kann ich dafür, daß es auf der Welt Wanzen gibt?« sagte er mit naiver Verwunderung. »Habe ich sie etwa erfunden?«
»Das kommt von der Unreinlichkeit her«, unterbrach ihn Oblomow. »Was redest du immer für Unsinn!«
»Auch die Reinlichkeit habe ich nicht erfunden.«
»In deinem Zimmer laufen nachts Mäuse umher; ich höre es manchmal.«
»Auch die Mäuse habe ich nicht erfunden. Diese Geschöpfe, wie Mäuse, Katzen, Wanzen, gibt es überall die Menge.«
»Warum gibt es denn bei anderen Leuten weder Motten noch Wanzen?«
Auf Sachars Gesicht malte sich ein mißtrauischer Zweifel, oder, richtiger gesagt, eine ruhige Überzeugung, daß dem nicht so sei.
»Bei mir gibt es von alledem viel«, erwiderte er hartnäckig. »Auf jede Wanze kann man nicht aufpassen; in die Ritzen kann man ihnen nicht nachkriechen.«
Aber im stillen schien er zu denken: »Und was wäre das auch für ein Schlafen ohne Wanzen?«
»Fege aus, räume den Schmutz aus den Winkeln heraus; dann wird nichts mehr da sein«, belehrte ihn Oblomow.
»Heute räumt man ihn heraus, und morgen liegt wieder alles voll«, antwortete Sachar.
»Es wird nicht vollliegen«, unterbrach ihn der Herr; »das ist nicht nötig.«
»Es wird vollliegen, das weiß ich«, entgegnete der Diener beharrlich.
»Nun, und wenn es vollliegt, dann fege wieder aus.«
»Was? Alle Tage soll ich in allen Winkeln herumarbeiten?« fragte Sachar. »Was ist das für ein Leben? Da möchte ja Gott lieber meine Seele zu sich nehmen!«
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