Lilian Morgenroth
Aus dem Leben der Leana O.
Kleine Textsammlung
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel Lilian Morgenroth Aus dem Leben der Leana O. Kleine Textsammlung Dieses ebook wurde erstellt bei
Prolog Prolog Warum ich dir all dies erzähle? Weil ich von dir gesehen werden möchte, so wie ich bin.
Teil I Lilian Morgenroth Aus dem Leben der Leana O. Kleine Textsammlung Dieses ebook wurde erstellt bei
Im Rausch
Stolzlippen
Einsamkeit
Leistungsdruck I
Sehnsucht nach der Kindheit
In der Vorlesung
Auf der Jagd
Beziehung
Skin Picking: In Not
Freiburger Freundschaft
Pubertät
Scham
Postpubertäre Poetik über die Trennung
Leistungsdruck II
Fernbeziehung I
Fernbeziehung II
Fernbeziehung III
Albträume I
Albtraum II
Glückliche Momente
Systemische Therapie/Familienaufstellung
Lebensfreude
Tomatensalat
Teil II
Briefwechsel
Liebe Freundinnen,
Liebe Freundinnen,
Liebe Freundinnen,
Lieber Johann,
Lieber Johann,
Liebe Freundinnen,
Die Geschichte vom Braunbär und dem Reh
Nachricht von OP
Deckel
Lieber Johann,
Liebste Leana,
Liebste Hannah,
Impressum neobooks
Warum ich dir all dies erzähle?
Weil ich von dir gesehen werden möchte, so wie ich bin.
Und dann bin ich mir meines schwindenden Bewusstseins vollkommen gewahr. Gleich geht es weg - das Bewusstsein. Ich taumele, stelle mein Bier auf den Tresen vor mir – dann wird mir schwarz vor Augen. Versuche den Türgriff hinter mir zu erhaschen, gleich sacken die Beine weg. Da werde ich gepackt und festgehalten. Er lehnt an der Wand neben dem Tresen, ich stehe vor ihm, aber es sieht nur so aus, denn eigentlich hänge ich in seinen Armen. „Dir passiert nichts, ich halt dich“, sagt er. Und ich glaube es.
Die Klarheit kehrt zurück in meinen Körper – so klar wie einem sein kann, wenn man betrunken ist. Ich nehme einen Schluck Bier. Eigentlich will ich Wasser, aber wenn Bier die einzig greifbar in der Nähe stehende Flüssigkeit ist, dann soll es Bier sein. Bitter und abgestanden. So ekelhaft wie Bier in den letzten Schlücken der Flasche nur sein kann.
Ich versichere ihm, dass wir weiter tanzen können. Und ich fühle mich tatsächlich ganz gut. Auch wenn ich schlecht drauf bin.
Insgesamt. Die Feieranten frönen der Hedonie und die Musik erfüllt ihren Zweck. Aber ich bin trotzig und traurig, dass ich nicht ganz weggekippt bin. Dann wäre ich die ganze Scheiße für ein paar Minuten losgeworden und ich hätte ordentlich Aufmerksamkeit bekommen. Ich denke es und muss grinsen, weil ich mich selbst so verachte. Mein Blick fällt auf einen Mann vor mir, der mich seit geraumer Zeit anglotzt. Du bist hässlich, denke ich schlicht und bin erschüttert über die innere Verachtung in mir gegenüber dem Mann, aber ich tue nichts dagegen. Im Gegenteil, in mir steigt ein satanisch, wahnwitziges Grinsen auf, eine leise Zerstörungswut. Ich drehe mich um und lasse mir ein Bier von einem Freund spendieren. Ich hatte nicht darum gebeten. Aber ich lehne auch nicht ab. Ich weiß, ich bin schon besoffen. Aber es ist mir egal. Überhaupt ist mir gerade alles egal. Das Bier lähmt mich mehr und mehr. Bla bla bla.... Blub. Ich rede ununterbrochen. Bestimmt lalle ich. Aber es scheint niemanden zu stören. Wahrscheinlich auch alle besoffen. Bier macht dumm und taub. Mich auch.
Aber die Musik gefällt. Der Abend rennt vor sich hin. Ich jedoch erlebe ihn nur wie einen zeitlosen Taumel. Mal hier mal da. Mal den, mal dort. Manchmal versuche ich zu lachen. Dazu ziehe ich einfach meine Mundwinkel hoch und gebe einem Lachen ähnliches Geräusch von mir. Klappt ganz hervorragend. Die sind doch alle dumpf. Genau wie ich. Das Bier…mehr davon. Ganz wunderbar.
Die Abendsweggehspaßkultur ist ähnlich einem taumelhaften Rausche. Der Sinn scheint darin zu bestehen, sich bei im idealfall guter Musik zu betäuben, um dann einer Person anderen Geschlechts möglichst nahe zu kommen. Küssen erwünscht. Gelingt dies, ist des Hedonistens Glück erzielt.
Der andere Aspekt beim Weggehen ist die Musik. Vor allem die elektronische. Sie packt mich so bedingungslos, dass ich Angst bekommen kann, bin ich nicht bereit mich hinzugeben. Im ganzen Körper fühle ich den Bass. Im ganzen Raum. Alle Tanzenden schmälzen zu einer Masse zusammen. Die ich fühlen kann. Bum bum bum. Immer mehr noch. Lass es nie aufhören. Weg von allem. Nur ergriffen von der Macht des Basses. Dann der charakteristische Brake des DJs. Der Bass verstummt, die schrillen elektronischen Töne brauen sich zu einem ohrenbetäubenden, kaum aushaltbaren Crescendo zusammen. Alle Johlen. Ich weiß nicht, ob aus Wonne oder Unbehagen. Dann eine Sekunde Pause, ehe der sanfte Bass als Erlöser in einer Intensität wieder einsetzt, dass es mir den Atem verschlägt. Es ist, als packte er mein Herz, riss es sanft aus mir heraus, um es mir sogleich zurückzugeben. Ich muss tief und andächtig einatmen, seufze ein Seufzen, das vom Lärm für immer verschluckt wird und lasse mich mitreißen wie all die anderen Feieranten. Selten fühle ich mich so auf der Erde, wie in diesem Momenten.
Der Frauen Sexualorgan,
trägt schon im Namen Sorge an,
Schamlippen passt als Ausdruck nicht,
der Genderfreund zeigt bess’re Sicht!
Drum lasset uns es freudig rufen,
Stolzlippen! lustvoll und auch laut,
denn ist hier eines nur versaut,
dann wenn die Fakten falsch geschaut!
Geht es doch hierbei nicht um Scham,
doch Stolz, das kommt schon besser dran.
Geschlecht, Gegut, dämlich und herrlich,
sind germanistisch eher spärlich.
Drum lasset uns es freudig rufen,
Stolzlippen! lustvoll und auch laut,
Neologismen nutzt man gern,
und dieser ist nicht mal versaut.
Allein.
Widerstand – denn dieses Gefühl darf nicht sein.
Und Leere kriecht in mich hinein.
Fressen, um die Leere zu füllen.
Um die Gefühle mitnichten zu enthüllen.
Magenschmerzen, um mich selbst zu spüren,
zerkratzte Haut, um mich aus dem Jetzt zu entführen.
Selbstdestruktiv und mörderisch.
Stunde Null nach dem Erwachen.
Was habe ich getan – all jene Sachen.
Scham in der Einsamkeit,
und die Frage, was mich aus diesem Teufelskreis befreit.
Vergebung. Von mir, für mich, durch mich.
Die Entscheidung des Selbst für sich.
Allein.
All-Ein.
Alles Eines.
Es lebe der Leistungszwang!
Verbitterte Ironie.
Es geht nicht ums Verdauen, sondern ums Schlucken. Der unmittelbare Würgreiz ist da rein symptomatisch.
War der Plan nicht einmal, das System von innen zu sprengen? Jetzt frisst es dich von innen auf.
Langsam, denn du sollst es nicht bemerken. Die Fehlattribution muss gelingen.
Du sagt, es wird schon werden mit dem guten Leben?
Ach, fick dich ins Knie, Melancholie!
Und was ist mit all den betäubten neoliberalen Hedonistenschweinen? - Die schlemmen.
„Papa, warum haben wir die Erde aufgefressen?“
„Weils halt so lecker war, Sohn!“
Aber sei nicht so streng mit ihnen. Shopping als Coping-Strategie ist wahrscheinlich moralisch integer.
Und ich? Zwischen Panikattacke und Depression, hin und wieder von leiser Zerstörungswut gestreichelt.
Читать дальше