1 ...7 8 9 11 12 13 ...23 „Wir haben schon auf euch beide gewartet“, sagte sie lächelnd. Und erfreut beobachtete sie ihre Tochter, wie sie Rayans Bruder ernst zuzuhören schien, als der ihr erklärte, dass es jetzt Zeit zum Essen sei, und man erst wieder spielen könne, wenn sie ordentlich aufessen würde. Begeistert versicherte sie, dass sie das tun würde, wenn Daoud ihr versprach, danach mit ihr in den Pool zu gehen. Erfreut stimmte ihr Onkel ihr zu und Carina stellte heimlich lächelnd fest, dass es Daoud gar nicht aufgefallen war, dass die Kleine soeben den Spieß umgedreht und ihm eine Bedingung gestellt hatte.
„Bald wird sie uns alle um ihren süßen Finger wickeln“, bemerkte in diesem Moment Hanif, der offenbar ebenfalls zu dem gleichen Schluss gelangt war.
Und Carina war froh, dass es ihnen offenbar gelang, zumindest der Kleinen so wenig wie möglich die angespannte Lage merken zu lassen. Sie hatte auch das traumatische Erlebnis in ihrem Zimmer einigermaßen gut verarbeitet, während sie in der ersten Nacht genau wie Carina mehrfach aufgewacht war, schlief sie inzwischen die meiste Zeit wieder durch.
10. Januar 2016 - Zarifa: Krankenhaus - Nur nicht erwischen lassen
Als Ahmad die inzwischen warmgewordene Ampulle in seiner Hand spürte, schauerte er erneut. Wieso zum Teufel hatte Jassim ihn überhaupt hier hereingelassen? Weil der Leibwächter froh war, dass jemand ihren Herrn im Auge hatte. Denn die Scheicha hatte sich auf Drängen von Dr. Scott in einem der Zimmer nebenan hingelegt. Er hatte ihr ein leichtes Beruhigungsmittel verabreicht. „Sie helfen ihrem Ehemann nicht, indem sie sich hier an seinem Bett zu Tode hungern oder an Schlaflosigkeit erschöpfen.“ Widerstrebend hatte sich Carina daraufhin geschlagen gegeben.
Die Frau namens Leila war wohl zum wiederholten Male hier am Bett eingeschlafen, weshalb Herr Hanif sie mitgenommen hatte, damit sie sich bei ihm ausruhen konnte. „Du brauchst unbedingt Ruhe“, hatte er resolut gesagt. Ahmad hatte sie vorher noch nie getroffen, offenbar war sie zum ersten Mal in Zarifa. Aber er hatte bereits so viel von ihr gehört, dass er die Begegnung mit ihr scheute. Diese Frau war nicht leicht zu täuschen. Umso wichtiger war es, dass es ihm gelungen war, genau in diesem Moment zur Stelle zu sein, als sie protestiert hatte, wer denn bei ihrem Herrn sein solle, wenn sie nun schlafen ginge. Herr Hanif hatte ihm sogar noch einen dankbaren Blick zugeworfen, als er sich daraufhin wie zufällig angeboten hatte!
Jassim hatte den Besucher gründlich nach Waffen durchsucht, trotzdem er ihn kannte, war er wie immer vorsichtig - zu Recht! Aber offenbar hatte der Leibwächter aber eher mit Messer oder Schusswaffen gerechnet, sodass ihm der kleine zylindrische Glasbehälter entgangen war. „Wofür ist ein Wachposten vor der Tür sinnvoll, wenn es einem Mörder so leicht gelingen konnte, sich alleine hier einzufinden?“, dachte Ahmad verzweifelt. Doch die Antwort lag auf der Hand: Er war einer der persönlichen Diener des Anführers. Eine ehrenvolle Aufgabe, die nur besonderen Menschen zuteilwurde. Ahmads komplette Familie hatte bereits seit Generationen ihr ganzes Leben dem jeweils amtierenden Scheich gewidmet. Wie sehr war sein Vater auf ihn stolz gewesen, als er vor zehn Jahren das Mannesalter von sechzehn erreicht hatte und sofort seine Pflichten im herrschaftlichen Haus aufnahm. Seitdem hatte er sich stets loyal verhalten, und kam daher in den Augen des Leibwächters als Verräter überhaupt nicht in Betracht.
„Tja, falsch gedacht. Doch mit ein wenig Glück wird Jassim seinen Fehler niemals bemerken“, dachte der Attentäter feige. Denn er hatte keineswegs vor, sich erwischen zu lassen.
1936 - Zarifa: Großes Tal - Ein Bastard
„Du wirst jetzt nicht ohnmächtig!“, ermahnte sie sich selbst. Doch musste sie sich einen Moment lang am Schreibtisch abstützen, was Amir mit einem Hochziehen der Brauen kommentierte. Er hasste theatralische Frauen.
Rabia atmete einige Male tief durch, dann hatte sie ihre Kontrolle wiedererlangt.
„Verzeiht mir die Bemerkung, eure Exzellenz , dass ihr doch am besten wisst, wer es war, der mir die Unschuld genommen hat“, entgegnete sie steif mit so viel Würde, wie sie aufbringen konnte. Es gelang ihr allerdings nicht ganz, die Ironie in ihrer Stimme bei der Anrede zu unterdrücken, was der Scheich mit einem ärgerlichen Blick quittierte.
„Ich habe wirklich keine Ahnung, wovon du sprichst“, war die eiskalte Antwort. „Und schon gar nicht, weil ich wochenlang nicht hier war. Wer weiß, wer in dieser Zeit alles bei dir ein- und ausgegangen ist?“
Rabia erstarrte. Nicht nur, dass er ihr Verhältnis komplett leugnete, nein obendrein unterstellte er ihr auch noch weitere Männerbekanntschaften. Ihr! Die stets keusch alle Annäherungsversuche abgelehnt hatte und sich noch nicht einmal zu den harmlosen Flirts der anderen Mädchen hatte motivieren lassen. Es war schlichtweg ein schlechter Scherz.
Wie konnte er nur so grausam sein? Wut stieg in Rabia hoch. Über das Verhalten des Mannes, den sie über alle Maßen geschätzt und verehrt hatte. Aber vor allem darüber, dass sie glasklar erkannte, dass sie keine Chance hatte. Denn sie hatte keinerlei Beweis. Niemand hatte sie an diesem entlegenen, ach so verführerischen Ort gesehen. Und dass er sie auf dem Rückweg nachts vor ihrem Haus abgesetzt hatte? Wenn es überhaupt jemand mitbekommen hatte, so konnte das alles bedeuten. Reine Hilfsbereitschaft, nach ihrem Beinahe-Unfall. Es würde sein Wort gegen ihres stehen. Und wer würde nicht dem Scheich mehr Glauben schenken? Es würde ihm ein Leichtes sein, sie wie einen verliebten Groupie dastehen zu lassen, der auf ein bisschen Aufmerksamkeit hoffte. Hatte er von Anfang an geplant, ihr Verhältnis zu leugnen? Wie ironisch es war, dass sie sich nun wirklich wie eine Beute fühlte. Ihr Instinkt hatte die kleine Maus vor dem stolzen Adler gewarnt, dem sie da so unverhofft in der Einsamkeit begegnet war. Doch hatte sie es damals im übertragenen Sinne verstanden und erst jetzt wurde ihr das ganze Ausmaß der wortwörtlichen Auslegung dieser Metapher bewusst.
Sie richtete sich stolz zu ihrer vollen Größe auf und machte im Interesse ihres Kindes einen letzten Vorstoß: „Heißt das, dass Ihr Euren Sohn nicht anerkennen werdet?“
Und obwohl sie sich auf eine negative Antwort eingestellt hatte, traf sie seine Aussage wie eine Ohrfeige: „Meine EHEFRAU ist schwanger - ich werde doch wohl keinen Bastard anerkennen, der meinem Erstgeborenen nachher den Thron streitig macht!“
Mit diesen Worten widmete er sich wieder seinen Papieren - ein Zeichen, dass die Audienz beendet war.
21. Dezember 2015 - Zarifa: vor dem Herrenhaus - Spannungen
Widerwillig hatte Jassim die Bewachung von Rayans Tür zwei seiner Männer überlassen. Ihm war anzusehen, dass er sich am liebsten geweigert hatte. Doch auch für ihn waren Tahsins Befehle nun bindend, ob ihm das gefiel oder nicht.
Nun hatten sie sich auf der Terrasse des Herrenhauses versammelt, um sich gegenseitig über die neuesten Ereignisse zu informieren und die weitere Vorgehensweise abzustimmen.
„Es ist wie verhext“, fluchte Rayans Sohn erbost, während er sich müde mit der Hand durch Gesicht fuhr. „Wir finden diese Bastarde einfach nicht. Dabei muss der Trupp deutlich größer sein, als wir ursprünglich angenommen haben. Sie müssen irgendwie auf den Zugang im Westen des Gebirges gestoßen sein, und haben dann über einen längeren Zeitraum hinweg Stück für Stück ihre Leute eingeschleust. Das ist nicht nur gefährlich für uns, obendrein ist es auch noch superpeinlich - wir die tollen Krieger haben nichts davon bemerkt!“, seine Augen funkelten wütend. Carina bemerkte mit Wehmut, wie ähnlich er in diesem Moment seinem Vater war.
Beruhigend lenkte Hanif ein: „Mach dich nicht verrückt Tahsin! Das haben ich und dein Vater schon zu genüge getan. Diese beiden Durchgeknallten haben ganz Damaris eingenommen, ohne dass Harun es bemerkt hat. Und er ist wahrlich nicht auf den Kopf gefallen. Viel wichtiger ist doch die Frage, was wir tun, damit nicht noch mehr Männer durchschlüpfen. Haben wir das jetzt im Griff?“
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