Viktoria schälte sich aus ihrem Bett, schlüpfte in einen hellblauen zu kurzen Bademantel und ging leise in die Küche. Dort steckte sie eine geschälte Banane und fünf Erdbeeren in den Mixer, gab Milch dazu und dachte kurz nach. Maus würde davon aufwachen, wenn sie jetzt auf den Knopf drückte. Sie zog den Finger wieder zurück. Viktoria würde ihren morgendlichen Fitnessdrink später genießen müssen. Schnell stopfte sie sich eine Erdbeere in den Mund und zog den zweiten Teil ihrer Morgenroutine vor: Den Computer checken.
Im Netz war immer irgendetwas los. Der Trick war, in den sozialen Netzwerken ein paar hundert „Freunde“ gesammelt zu haben. Und schon spielten so lästige Dinge wie zwischenmenschliche Aktivitäten, Sympathie oder Umgangsformen keine große Rolle mehr. Der Marktplatz schriller Bilder, schräger Sprüche und irrwitziger Neuigkeiten war eröffnet. Nein, falsch. Er hatte nie geschlossen. Die Menge der Leute, die der Welt etwas mitzuteilen hatte, schien grenzenlos. Viktoria genoss das von ganzem Herzen. Das war die Plattform, auf der sie ihre Spitzfindigkeiten ungestraft abfeuern konnte und auch noch Beifall dafür bekam.
Heute allerdings hielt sie sich nicht mit Twitter, Facebook und Google+ auf. Sie klickte sofort den YouTube-Button und rief das Video „Zöllners Armageddon“ auf, das sie am Tag davor unter den Namen „Liix“ hochgeladen hatte. Was sie sah, raubte ihr den Atem.
„Verdammte Axt!“
Viktoria ließ sich auf den schrillgelb lackierten hölzernen Bürostuhl sinken. Dann rieb sie sich die Augen und blickte noch einmal auf ihren 22-Zoll-Bildschirm. Kein Traum hätte so wunderbar sein können.
„Maus! Beweg deinen faulen Hintern und komm her. Das hier wirst du lieben“, schrie sie.
Viktoria ignorierte das nölige Gebrummel aus dem Schlafzimmer. Lange 20 Sekunden später tapste Maus an. Er kratzte sich am Bauch. Seine Haare sahen aus, als hätte er in eine Hochspannungsleitung gebissen.
„Kleine, du weißt, dass du für mich der Hammer bist!“, murrte er. „Aber wenn du mich aus den Federn gehauen hast, weil du bei eBay den Zuschlag für noch 'ne externe Festplatte bekommen hast, dann haben wir zwei ein echtes Problem.“
„Viel besser, Maus. Viel besser. Ben hat gestern nicht umsonst seinen rechten Fuß geopfert.“
„Es war der linke Fuß. Außerdem glaube ich nicht, dass ...“ Maus verstummte und wurde schlagartig wach. Ungläubig sah er zu Viktoria und dann wieder auf den Bildschirm.
7235 Aufrufe und das über Nacht. Die Liix-Lawine rollte unaufhaltsam durch das Internet. Maus hatte plötzlich große Lust zu feiern und zum ersten Mal seit langer Zeit hatte er Appetit auf Sekt, obwohl er weder Alkohol noch zu viel Kohlensäure leiden konnte. Das war einfach nur großartig.
„Dicker. Du hast diesmal sogar recht gehabt mit deinem Gerede vom großen Durchbruch!“, juchzte Viktoria.
Maus ballte die Faust und stieß einen martialischen Schrei aus. „So macht das Ganze Spaß“, fügte er hinzu. „Kommentare?“
„Ein ganzer Sack voll“, antwortete Viktoria. „Die meisten freuen sich mit uns. Es haben aber auch ein paar Zöllner-Zombies geschrieben.“
Sie scrollte zwei Bildschirmlängen weit nach unten und blieb bei einem in Großbuchstaben geschriebenen Eintrag stehen, den „ochdoi1701“ gepostet hatte: „IHR BLEIBT IHNEN NICHT VERBORGEN! SOBALD SIE EUCH ERWISCHEN, SEID IHR TOTES FLEISCH!“
„Gruselig, was?“, flüsterte Viktoria.
Maus winkte ab. „Quatsch! Wer droht, zeigt doch nur, dass er angreifbar ist.“ Dann grinste er. „Aber, wenn du meinst, dann aktiviere ich die Ionenkanone und unseren Schutzschirm. Da kommt nicht mal Vaders verdammter Todesstern durch.“
Viktoria versetzte ihm einen Klaps auf den Oberarm.
„Auch nicht schlecht. Schau dir das an!“
Überflüssigerweise las sie den Eintrag laut vor.
„'Dieser Zöllner-Idiot hat mir 150 Euro abgeknöpft. Dank euch weiß ich jetzt, dass er ein Betrüger ist. Ich bin sauer. Meint ihr, ich bekomme mein Geld zurück?'“
Maus lachte. „Für so viel Dummheit müsste der Typ nochmal so viel zahlen - diesmal an die Schulen und Unis. Muss ja nicht jeder so bescheuert sein und auf Zöllner reinfallen.“
Dann stutzte er und zeigte auf den Bildschirm.
„Oha. Das ist interessant. Schon gelesen?“
Viktoria schüttelte den Kopf und sah sich den Eintrag an. Autor war jemand, der sich „newsman68“ nannte. Sie las.
„Das war in München, richtig? Ich bin freier Journalist und schon länger an Zöllner dran. Kann ich euch treffen? Kontakt über FB. Informantenschutz versteht sich von selbst.“
Mit FB meinte er Facebook. Maus vermutete, dass er dort ein Konto unter falschem Namen hatte. Wenn man ihm darüber eine Nachricht schickte, die ebenfalls von einem Fake-Konto stammte, konnten beide Seiten anonym bleiben. Jedenfalls solange keiner von beiden über weitergehende Mittel und Wege verfügte, dachte Maus und schmunzelte.
„Ein cleveres Bürschchen“, raunte Viktoria.
„Hm“, antwortete Maus.
„Was so viel bedeutet wie?“, fragte Viktoria nach. Ihre Augen blieben auf dem Monitor haften. Sie rümpfte die Nase und sog stoßartig Luft ein. Maus liebte es, wenn sie das machte. Sie war Zucker und er wollte mit niemand anderem zusammen sein.
„Gar nichts. Vielleicht sollten wir das machen. Ein bisschen gute Presse kann Liix nicht schaden.“
„Ich weiß nicht. Vielleicht steckt Zöllner dahinter. Könnte mir vorstellen, dass er gerne wüsste, zu welcher Adresse er seine Schläger schicken soll.“
Maus zuckte mit den Schultern und kratzte sich am Kinn.
„Möglich. Aber ich hab ein gutes Gefühl dabei. Kann nicht schaden, ihn mal zu kontakten - nach dem Frühstück. Lust auf Shake?“
Viktoria nickte und legte ihren Arm um die eigentlich zu breite Hüfte ihres Freundes.
„Und ob. Wir dürfen aber auch unseren humpelnden Helden nicht vergessen. Der wird vor Freude durch die Decke seines Wohnwagens gehen.“
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