Sie verdrehte die Augen. „Nein, natürlich nicht, im Gegenteil, ich habe schon versucht etwas zu ändern. Es ist nicht gut, wenn man den ganzen Tag im Käfig sitzt, der Mensch braucht Bewegung, sonst verkümmern die Muskeln. 'Aber die Gefahren seien zu groß, wenn man die Probanden herumlaufen ließe, selbst in einer kontrollierten Umgebung.' Originalton Prof. Heilmann.“ Sie lehnte sich zurück und sah sich um, es war schön hier, sogar in der Dunkelheit. Seltsamerweise hatte sie kein bisschen Angst vor Peter. Sie fühlte sich sogar wohl in seiner Nähe. Er hatte kurz geschwiegen, und sich erneut suchend umgeschaut.
Jetzt sagte er. „Das erleichtert die Sache etwas. Haben Sie schon von der Liga gegen Menschenversuche gehört?“
Sie lachte. „Wer nicht, werden die nicht ständig verhaftet bei ihren Demonstrationen?“
Er nickte ernst. „Ja, sehr oft, aber sie machen trotzdem weiter.“
Jetzt sah sie ihm direkt in die Augen. „Was wollen Sie eigentlich von mir?“ Ihr Blick war herausfordernd.
Er lächelte süffisant. „Ich möchte Sie rekrutieren.“
„Bitte? Etwa für die Liga?“ Sie fiel aus allen Wolken, damit hätte sie niemals gerechnet.
„Ja.“ Er meinte es anscheinend ernst.
Anita stand auf und ging ein paar Schritte zurück. „Sie sind verrückt, ich gehe jetzt, ich werde vergessen, dass dieses Gespräch je stattgefunden hat, auf Wiedersehen.“ Sie drehte sich um und wollte gehen.
Er hielt sie auf. „Moment, bitte, wir glauben, die Regierung will gar kein Gegenmittel finden, so gut wie in den letzten zwei Jahren hatte sie die Bevölkerung noch nie im Griff. Alle richten sich nach den Gesetzen, jeder hat Angst vor Ansteckung. Ich weiß, dass es einige resistente Personen gibt, warum versucht man nicht aus deren Blut ein Serum herzustellen? Haben Sie dafür eine Erklärung?“
Das brachte sie zum Nachdenken. Sie blieb stehen. Das war Anita auch schon aufgefallen, bei Anna, die jetzt schon die dritte Testreihe über sich ergehen lassen musste. Anita setzte sich, mit hängenden Schultern, zurück auf die Bank.
„Mein Gott, Sie könnten recht haben, aber warum? Was verspricht sich die Regierung davon? Immerhin sterben doch Menschen.“ Sie sah ihn fragend an.
Er hob seine Schultern. „Wir haben auch keine Erklärung dafür, deshalb arbeite ich ja im Laborkomplex von Prof. Heilmann. Es ist das größte Labor im Land. Aber bis jetzt habe ich noch nichts herausfinden können. Als Wachmann habe ich wenig Zugriff auf Information. Da würden Sie ins Spiel kommen.“
Anita schüttelte unwillkürlich den Kopf. „Wie stellen Sie sich das vor? Für jede Akte, die ich einsehen will, muss ich einen Antrag stellen.“ Da fiel ihr Annas Akte ein, die zuhause auf ihrem Schreibtisch lag. Konnte sie dem jungen Mann trauen? Bei der Sekretärin hatte sie nichts herausbekommen, jetzt fragte sie direkt. „Wie ist eigentlich Ihr Name? Den würde ich schon gerne wissen, wenn ich mit Ihnen zusammenarbeiten soll, meinen Sie nicht?“
Er grinste. „Verzeihung, mein Name ist Peter, Peter Berger. Frau Dr. Parell, Anita, helfen Sie uns, bitte.“ Sein Blick war flehend.
Sie nickte ergeben. „Ich habe Zugriff, zumindest auf eine Akte. Die von Nummer Acht. Aber bis jetzt habe ich noch nichts gefunden.“ Anita hatte sich entschlossen zu helfen, sie hoffte, dass es kein Fehler war. „Wenn ich etwas herausfinde, wie kann ich Sie dann erreichen?“ Sie sah ihn an, ein netter Mann eigentlich, auch wenn er sie mit seinem Anliegen überfallen hatte. Irgendwie gefiel er ihr.
Peter überlegt kurz, was denn am Sinnvollsten wäre. „Rufen Sie einen Wachmann, meine Dienstnummer ist WP1234, Sie können mich ruhig verlangen, andere machen das auch. Aber reden Sie niemals Klartext im Labor. Ich habe herausgefunden, dass alles überwacht wird, in Bild und Ton.“ Anita nickt, das wusste sie inzwischen auch. „Und jetzt, gehen Sie bitte nach Hause, achten Sie darauf, dass die Kameras Sie nicht erfassen, wenn Sie den Park verlassen. Wenn doch, denken Sie sich eine Erklärung aus, was Sie hier wollten.“ Er schien besorgt zu sein.
Sie verabschiedete sich. „Ja, gut. Bis... morgen?“ Anita schaut ihn fragend an, sie lächelte zaghaft.
Er erwiderte es. „Ja, bis Morgen.“ Peter schaute sich um und verschwand ohne ein weiteres Wort in einem kleinen Weg.
Anita blieb noch einen Moment sitzen, dann erhob sie sich langsam und macht sich auf den Heimweg. Wer hätte gedacht, dass die Liga einmal an sie herantreten würde. Sie musste aufpassen. Trotzdem, das war eine interessante Unterhaltung gewesen. Dieser Mann hatte etwas an sich, dass sie ansprach. Nun, sie würde ihn bald wiedersehen.
Seit drei Tagen versucht Anita nicht mehr mit mir zu sprechen, schade eigentlich, aber vielleicht auch besser so. Beinahe hätte ich meinen Schutzmechanismus aufgegeben.
Ich beobachte sie allerdings den ganzen Tag. Wenn sie es bemerkt, zeigt sie es nicht. Sie schaut nicht einmal zu mir herüber. Jetzt greift sie zum Telefon und wählt eine Nummer. „Zentrale? Ja, ich benötige einen Wachmann... Ist WP1234 gerade frei, der wäre mir der Liebste... Ich muss einen Probanden reinigen und dabei war er mir schon einmal eine große Hilfe... Gut, danke.“
Dann dreht sie sich zu mir um. „Nummer Acht, die Reinigung steht an, mach Dich bereit.“ Ich nicke und stehe auf. Das letzte Mal ergab sich bei der Reinigung eine Fluchtmöglichkeit. Aber fast sofort lasse ich den Gedanken wieder fallen. Solange ich das Implantat trage, werde ich es nicht mehr versuchen.
Der Wachmann betritt das Labor und kommt zu meinem Käfig herüber.
„Nummer Acht?“ Fragt er Anita.
„Ja, Reinigung in der Desinfektionsdusche.“
Er dreht sich zu mir um. „Dann wollen wir mal, Du wirst Dich doch benehmen? Oder?“ Dann zwinkert er mir vertraulich zu. Ich zucke zurück, aber dann nicke ich zögernd, irgendetwas ist seltsam, noch nie hat ein Wachmann mich als Mensch behandelt. Er öffnet die Käfigtür und nimmt mich am Arm, Anita kommt herüber und fasst nach meinem Anderen. Gemeinsam führen sie mich aus dem Labor, den Gang hinunter. Da ich sonst nie etwas anderes als das Stück Labor vor meinem Käfig sehe, schaue ich mich aufmerksam um.
Wir kommen an einem schwarzen Brett vorbei. Ein Blatt sticht mir ins Auge, es sieht aus wie ein Zeitungsartikel. 'Der Staat als Retter' und das Datum '27.Oktober 2316' mehr kann ich nicht lesen. Das war eine Woche bevor ich hierher kam. Ich bekomme vom weiteren Weg nichts mehr mit, meine Augen füllen sich ungewollt mit Tränen, das ist schon so lange her. Ich weiß noch, als sie meinen Kommunikationschip entfernten, ich dachte damals, jetzt bin ich tot.
*
Anita und Peter führten Anna schweigend zu den Duschen. Erst als sich die Tür der Reinigungsanlage hinter ihnen schloss, begannen sie zu reden.
„Und?“ Peter zog eine Augenbraue nach oben um die Frage zu unterstreichen.
„Nichts.“ Anita begann Anna beim Ausziehen zu helfen. „Danke, Sie können vor der Tür warten, wir kommen jetzt allein zurecht.“ Peter ging hinaus.
Anita beugte sich zu Anna hinüber und flüsterte ihr ins Ohr. „Anna, wir finden einen Weg, Dir zu helfen, halte durch!“ Dann zog sie ihr das Oberteil über den Kopf, Anna hatte die Augen weit aufgerissen. Nach der Dusche wurde sie neu eingekleidet und wieder in ihren Käfig zurückgebracht.
*
Anita will mir helfen! Ich kann es kaum glauben. Meine Gedanken kreisen den ganzen Tag darum. Vielleicht käme ich doch noch hier heraus und könnte ein normales Leben führen. Ein normales Leben, pah, so wie früher? Bestimmt nicht, wenn ich hier nicht ordnungsgemäß entlassen werde...
Was meint sie mit Helfen? Ich habe so viele Fragen, kann aber keine Einzige davon stellen, sie würden es hören. Mir fallen Dinge von früher ein, was bin ich stolz gewesen, als ich mit zwölf endlich den Chip bekommen habe, alle meine Freundinnen hatten einen, nun konnten wir ohne Erwachsene untereinander kommunizieren. Dass meine Eltern so immer wussten, wo ich bin und was ich tat, kam mir damals nicht in den Sinn. Ich bin so blöd gewesen. Ich berühre meine Schläfe, die Narbe ist immer noch zu spüren, schwach, aber sie ist da.
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