Acht war bis jetzt völlig resistent. Alle Objekte hatten den Virus verabreicht bekommen, einer war gestorben, zwei hatten sich davon erholt, die anderen Sieben litten noch an den Symptomen. Acht hatte als Einzige kein Symptom gezeigt. Eigentlich ein Wunder. Sie verstand nicht, warum nicht schon längst versucht worden war, einen Impfstoff herzustellen. Diese junge Frau hier vor ihr, war doch der Schlüssel dazu. Wenn sie weiter so gesund blieb, würde sie in eine neue Runde kommen, so lange hatte noch nie jemand durchgehalten. Noch einmal vier Monate oder mehr im Käfig, Anita schüttelte sich, das war unmenschlich. Sie würde sich ihre Akte noch einmal ansehen, vielleicht verhalf ihr das zu neuen Erkenntnissen.
*
Anita ist sehr interessiert an mir, warum? Das weiß ich nicht, aber sie ist die Einzige, die immer wieder versucht mich zum Sprechen zu bringen. Fast wünsche ich mir, einmal auf ihre Fragen zu antworten, aber immer wenn ich kurz davor bin, hält mich etwas zurück. Dabei denke ich, Dr. Parell mag mich irgendwie, aber sicher bin ich natürlich nicht, ich traue meinen Gefühlen nicht mehr so richtig. Ich bin schon so lange isoliert, dass ich vielleicht nur auf ihre Freundlichkeit reagiere. Aber ist sie echt?
Seit sie mich abgeholt haben, vermeide ich es mit diesen unpersönlichen Ärzten zu reden, aber Anita ist nicht so, sie ist definitiv anders. Aber soll ich es wagen? Nein, wer weiß was dann passiert. Vor einem Jahr hatte ich noch ein ganz normales, recht oberflächliches Leben. Ich habe mich nur für irgendwelchen Blödsinn interessiert, Partys, Klamotten und Smalltalk. Wie alle jungen Leute eben. Ein Wunder, dass ich es geschafft habe, regelmäßig zu meinen Vorlesungen zu kommen... aber das war in einem anderen Leben und jetzt? Versuchskaninchen im Labor, Laborratte, was weiß ich, als was die Ärzte mich ansehen. Ich erinnere mich noch an meinen letzten Tag in Freiheit...
...ich bin in meiner Küche gewesen und habe aus dem Fenster geschaut, mir war schlecht. Am Vorabend hatte ich auf einer Party eine Menge Zeugs getrunken, ein wildes Durcheinander bunter Getränke. Die Straße lag verlassen im Mittagssonnenschein, kein Mensch unterwegs. Aber das war in der letzten Zeit völlig normal. Nachdem alle Haustiere und anschließend alle anderen Säuger dieser Seuche zum Opfer gefallen sind, hatten nur noch Wenige einen Grund vor die Tür zu gehen. Ich ging ja auch nicht mehr zur Uni, keine Lust, die Schutzanzüge waren unbequem, allein bis man den jeden Morgen angezogen hatte... Im Radio sprachen sie von einer Pandemie, die leicht auf die Menschen übergreifen könne. Aber das hielt ich für Unsinn, wenn bis jetzt noch niemand krank geworden war, ein Jahr nach der Seuche, dachte ich, wäre es auch nicht mehr möglich. Ich habe mich schwer geirrt, das ist auch der Grund, warum ich hier bin, sie suchen ein Gegenmittel, einen Impfstoff.
Als es an meiner Tür klingelte, wunderte ich mich zwar, seit dem Virus bekam ich so gut wie nie Besuch, aber öffnete, nachdem ich die Kette vorgelegt hatte, dennoch.
„Anna Casset?“
„Ja?“ Zwei Männer in schwarzen Schutzanzügen standen vor der Tür, sie wirkten bedrohlich auf mich, ängstlich trat ich zurück und wollte die Tür wieder zu machen, aber dazu kam ich nicht. Einer der Beiden trat gegen die Tür, die Kette riss sofort und er packte mich am Arm. Panisch versuchte ich mich loszureißen. Aber sein Griff umklammerte mich fest.
Der andere Mann leierte monoton seinen Satz herunter. „Der Staat hat angeordnet, alle Personen, die bis jetzt noch keine Symptome zeigen, zur Untersuchung in die Klinik zu bringen. Hier ist der Beschluss!“ Ich sah ihn verwundert an, was sollte das? Das half mir meine Angst in den Griff zu bekommen, jetzt wurde ich eher wütend. Das können die doch nicht machen.
„Was soll das? Ich habe mich doch schon einmal untersuchen lassen, mir fehlt nichts.“
Der Mann sah mich streng an. „Machen Sie keinen Aufstand, sonst müssen wir Gewalt anwenden. Wir haben dafür zu sorgen, dass sie in die Klinik gebracht werden. Kommen Sie mit!“ Die meinten das ernst, man ließ mir gar keine Wahl, mir brach der Schweiß aus. Was sollte ich jetzt nur machen? Ich versuchte es hinauszuzögern.
„Moment, ich brauche noch ein paar Sachen...“
Der Mann, der meinen Arm immer noch hielt, schüttelte den Kopf.
„Jetzt sofort! Sie werden nichts mitnehmen, kommen Sie!“ Jetzt packte mich auch der Andere am Arm, ich wehrte mich natürlich, hatte aber keine Chance. Ehe ich mich versah, war ich gefesselt und hatte eine Kapuze über dem Kopf.
Ich konnte kaum atmen und zitterte, ich fühlte mich so hilflos. Gleichzeitig wurde ich auch wütend, woher nahm der Staat dieses Recht.
Ich schrie. „Hey, es gibt Grundrechte, Sie können mich doch nicht einfach so mitnehmen.“ Das brachte mir einen Schlag ins Kreuz ein, sonst nichts. Ich sackte zusammen, wurde die Treppen hinuntergeschleift, und in ein Auto geworfen. Man brachte mich ins Gesundheitsamt, wo sie mich untersuchten und mein Kom entfernten. Stattdessen bekam ich einen Ortungschip. Dann wurde ich sediert und wachte hier wieder auf. Nach Hause kam ich nie mehr.
*
Anita nahm die Akte mit nach Hause, ob sie das durfte? Sie hatte nicht gefragt. Aber sie wollte mehr über Acht wissen, im Labor könnte sie niemals die ganze Akte in Ruhe lesen, sie war ungefähr zehn Zentimeter dick. Acht war schon sehr lange hier, über ein Jahr.
Sie holte sich ein Glas Rotwein, setzte sich an ihren Schreibtisch und schlug die erste Seite auf. Acht schaute ihr entgegen, ein schönes Bild, die junge Frau darauf lachte fröhlich, ihr Gesicht war voller und die Haare trug sie offen. Jetzt sah Acht verhärmt und mager aus. Anita hatte sie noch nie lachen, geschweige denn lächeln sehen. Aber dazu hatte sie auch keinen Grund. Anita legte das Bild zur Seite und begann sich einzulesen.
Persönliche Daten: Anna Casset, 22 Jahre alt, wohnhaft in..., sie blätterte weiter. Anna hieß Acht also richtig, ein schöner Name. Auf dem nächsten Blatt war oben ein großes RESISTENT gedruckt. Darunter stand: Freigegeben für die Antiserum-Testreihe X123.A, in der nächsten Zeile, Status: überlebt. Freigegeben für die Antiserum-Testreihe X124.A, Status: überlebt. Freigegeben für die Antiserum-Testreihe X125.A, Status: offen.
Das war schon fast unheimlich, gegen zwei der Erregerstämme immun zu sein, aber es war abzusehen, dass Anna auch den dritten überleben wird. Warum ist dann noch kein Serum gefunden worden? Annas Blut bot sich doch direkt dafür an. Anita lehnte sich zurück und trank einen Schluck Wein, sie musste nachdenken.
*
Nachts ist es ein bisschen unheimlich hier, die Schatten an der Wand erschrecken mich immer wieder. Es ist nie ganz dunkel, die Notbeleuchtung brennt immer, sie verbreitet ein fahles gelbliches Licht.
Ich friere. An Schlaf ist nicht zu denken, ich weiß gar nicht, wann ich zuletzt richtig geschlafen habe. Beim leisesten Geräusch schrecke ich hoch, horche panisch. Die Geräusche aus den anderen Käfigen beruhigen mich wieder, ich bin nicht allein. Ich atme schnell und schwitze. Beruhige Dich, sage ich mir selbst.
Bald wird der Wachdienst kommen, sie sind immer zu zweit unterwegs. Ich ziehe mir meine Decke über den Kopf, ich will nicht, dass sie mich sehen. Wenn im Labor Hochbetrieb herrscht, macht es mir nichts aus, sichtbar zu sein. Aber in der Nacht ist es irgendwie intensiver, intimer, ach, ich weiß auch nicht, es gefällt mir einfach nicht.
Ich höre sie schon kommen. Das Licht flammt auf und sie gehen an der Reihe Käfige entlang, direkt vor meinem, bleiben sie stehen.
„Decke vom Kopf!“ Der Wachmann meint mich, ich reagiere nicht. Etwas trifft mich hart am Kopf, ich schreie auf. Dann wird meine Decke weggezogen.
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