Wie kann der Körper das Ausmaß einer verletzungsbedingten Schädigung abschätzen?
Der Körper verfügt über Dehnungsrezeptoren in den Muskeln und Sehnen. Je mehr eine Muskelstruktur „aufgebläht“ wird, beispielsweise bei einer verletzungsbedingten Prellung mit einem nachfolgenden Ödem, umso stärker werden diese Rezeptoren auseinander gezogen. In Verbindung mit zusätzlichen Sensoren in den Gelenken hat der Körper hiermit ein perfektes System zur Eigenwahrnehmung, um die Größe eines Problems zu interpretieren. Dieses Körperempfinden, auch Tiefensensibilität genannt, wird zuweilen als der sechste Sinn eines Menschen bezeichnet. Tritt beispielsweise durch eine Akutverletzung eine Raumforderung (Bluterguss, Ödem …) ein, wird ein bestimmter Schwellenwert der Gewebeausdehnung überschritten. Diese Informationen werden über die Nervenbahnen weitergeleitet. Aus den ankommenden Daten kann das (Unter-)Bewusstsein so automatisch Umfang und den genauen Ort einer Schwellung ermitteln. Es wird dann, falls alle Daten auf eine Verletzung hindeuten, mit der Einleitung entsprechender Heilungsprozesse gegensteuern und kann auch mit Schmerz reagieren, wenn dies individuell sinnvoll erscheint.
Insgesamt verfügt der Körper über ein perfektes System, mit dem Störungen in Art und Umfang wahrgenommen werden. Im Rahmen der anschließenden Regeneration sind zusätzlich viele andere Mechanismen beteiligt, insbesondere elektro-magnetische Feldeinflüsse. Die meisten dieser Prozesse sind noch wenig erforscht. Deshalb werde ich nicht tiefer darauf eingehen. In der Regel weiß der Körper jedoch selbst sehr genau, wie seine Leistungsfähigkeit wieder optimal hergestellt werden kann.
2) Schmerz zum Schutz des Körpers vor eigener Verletzung (Warnschmerz)
Diese andere Art von Schmerz wird absichtlich vom Bewusstsein selbst hervorgebracht, ohne dass eine äußere Verletzung stattgefunden hat. Ein derartiges Symptom soll auf eine – meist sinnvolle – Weise dem Schutz des Betroffenen dienen. In diesem Fall kann an dem Ort, wo ein Schmerz gespürt wird, ein Problem sein. Es muss aber nicht zwingend ein Schaden, eine Verletzung oder eine innere Erkrankung bestehen. Diese Art von „Warnschmerz“ ist das hauptsächliche Behandlungsfeld der Biokinematik.
Um bei dieser zweiten Art von Schmerz die Ursache herauszufinden, müssen daher die Selbstregulierungsprozesse und die Anpassungsfähigkeit des Körpers tiefer betrachtet werden. Insbesondere bei chronischen Schmerzen ist von dieser Schmerzursache auszugehen. Von den derzeit häufig angewandten, standardisierten Schmerztherapieansätzen der klassischen Schulmedizin wird dieser Zusammenhang aus meiner Sicht allerdings bislang grundlegend falsch interpretiert. Für eine zielführende Therapie ist es erforderlich, die Sinnhaftigkeit des (eventuell chronifizierten) Schmerzes ausreichend zu erfassen. Warum bringt das (Unter-)Bewusstsein absichtlich einen bestimmten Schmerzzustand hervor? In der richtigen Beantwortung dieser Frage findet sich der Schlüssel für eine erfolgreiche Schmerzbehandlung.
Sinnhaftigkeit von Schmerz zur Warnung undOptimierung der SelbstheilungEin Kind bricht sich bei einem Unfall den Unterarm. Die Verletzungsstelle schmerzt kurz. Dann tritt durch den Unfallschock häufig eine zeitweilige Schmerzfreiheit ein (diese konnte in früheren Zeiten sinnvoll zur Flucht genutzt werden). Nach Abklingen des Schocks wird neben der Verletzungsstelle meist auch der gesamte Arm inklusive Schulter schmerzen.Der Körper versucht mit diesen zusätzlichen Schmerzempfindungen, die außerhalb der ursprünglichen Verletzungsstelle empfunden werden, den Arm ruhig zu stellen. Er wird regelrecht in eine Körperposition gezwungen, in der er natürlicherweise wieder perfekt zusammenwachsen kann. Hierzu dient auch die (von der Evolution her gesehen) sinnvolle Schwellung, welche die Knochen auf natürliche Weise zu repositionieren versucht. Dies ist Teil unseres Überlebensprogramms, als noch keine medizinische Versorgung gewährleistet war.Wird dieser Arm akutmedizinisch gerichtet und eingegipst, verschwindet der Schmerz in der Regel schnell. Das Unterbewusstsein hat selbständig richtig kombiniert, dass der Schmerz nun nicht mehr erforderlich ist, um die dauerhafte Ruhigstellung des Arms und damit die idealen Heilungsbedingungen zu gewährleisten. |
In diesem fiktiven Beispiel wurde dargestellt, wie das Unterbewusstsein zusätzlich beliebige Schmerzen, beispielsweise im Schultergelenk, hervorbringen kann, um entweder die Selbstheilung zu optimieren oder weiteren, zusätzlichen Schaden abzuwenden.
Bei dieser zweiten Art von (zusätzlichen) Schmerzen, die mit der Ursprungsverletzung direkt nichts zu tun haben, liegt somit die Ursache im Inneren des Körpers – genauer im Regulationsprogramm des Unterbewusstseins. Diese Schmerzen können chronisch werden, falls das Unterbewusstsein die Aufrechterhaltung von Schmerz als dauerhaft sinnvoll ansieht. In vielen Fällen kann dies als eine Art „Warnschmerz“ interpretiert werden.
Allgemeiner Grundsatz bei Schmerzen:Je weniger Bewegung, umso weniger Schmerzen. Doch auch in vermeintlicher Ruhe können Schmerzen bestehen, denn Bewegung ist permanent im Körper vorhanden – alleine durch das Atmen werden viele Muskeln vom Kopf bis zum Fuß in Arbeit versetzt. Chronische Schmerzen sollten deshalb immer im Zusammenhang mit den jeweiligen Muskelbewegungen betrachtet werden. |
Selbstverständlich haben viele Schmerzpatienten die Erfahrung gemacht, dass körperliche Bewegung manchmal auch zu Schmerzlinderung führt. Der hier aufgestellte Grundsatz behält dennoch Gültigkeit. In der Regel wird eine ganz bestimmte Bewegung erst einmal zu einer (kurzfristigen) Schmerzverschlimmerung führen. Dies ist therapeutisch eine wichtige Information, weil sie beispielsweise die beteiligten Muskelstrukturen aufzeigt, die möglicherweise funktionsgestört sind. Somit wird die Muskulatur zum Dreh- und Angelpunkt bei einer Vielzahl chronischer Schmerzen. Der Begriff „Muskulatur“ wird hier umfassend verwendet: Er schließt auch das gesamte Bindegewebssystem (Faszien) in dieser Struktur mit ein, da es sich funktional im Alltag nicht trennen lässt.
Persönlich durfte ich vor einigen Jahren zu diesem Thema tiefgreifende Erfahrungen bei einem diagnostizierten Bandscheibenvorfall in der Lendenwirbelsäule machen:
Eigene Erfahrungen mit
chronischem Rückenschmerz
Im Jahr 2002 erlitt ich einen schweren Skiunfall, bei dem ich abseits der Piste an einem Abhang einige Meter hinunterfiel. Danach litt ich an starken Schmerzen im Rücken und ausstrahlend in das Bein, so dass ich kaum mehr stehen und laufen konnte. Anschließend war über viele Monate hinweg keiner der aufgesuchten Orthopäden und Therapeuten in der Lage, die Ursache dieses Problems zu beseitigen und mich von diesem Schmerz dauerhaft zu befreien. Kliniken rieten zur sofortigen Operation an der Bandscheibe und Radiologen sprachen von einem der größten Bandscheibenvorfälle in meiner Lendenwirbelsäule. den sie jemals gesehen hatten. Bei Nicht-Operation deuteten sie mir dauerhafte Lähmungen an. Da ich eine Lösung ohne Operation suchte, umfassten meine Therapieversuche auch ein intensives, medizinisches Rückenkräftigungsprogramm, bei dem ich am Ende das Höchstgewicht eines Trainingsgerätes stemmen konnte. Dies blieb ebenfalls ohne positive Auswirkung, sondern verschlimmerte die Schmerzen sogar noch weiter. |
Nicht ursachengerechte Behandlungen
Therapeuten, die den Versuch unternahmen, mich von diesen Schmerzen zu befreien, behandelten immer – wie ich heute weiss – an der falschen Stelle. Dies war vor allem die Rückseite meiner Wirbelsäule. Es erscheint nachvollziehbar, warum viele Therapeuten dazu neigen, am Schmerzort zu behandeln. Sie haben es so gelernt und setzen vermutlich aufgrund ihrer Ausbildung und ihren eigenen, frühkindlichen Erfahrungen mit Verletzungen die Schmerzstelle und den Ort des Problems gleich. Dabei übersehen sie vermutlich oftmals die tieferen Zusammenhänge der Regulationslogik des Körpers. Sie beziehen nicht vollständig in ihre Überlegungen mit ein, dass das Unterbewusstsein absichtlich Schmerzen an beliebigen Orten, die aus seiner Sicht nützlich sind, hervorbringen kann. So will es den Körper vor (weiterer) Verletzung schützen, auf ein Problem aufmerksam machen oder eine Warnung aussenden.
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