LUNATA
Das verlorene Paradies
Das verlorene Paradies
Episches Gedicht
© 1667 John Milton
Originaltitel Paradise Lost
Aus dem Englischen von Adolf Böttger
© Lunata Berlin 2020
Erster Gesang
Zweiter Gesang
Dritter Gesang
Vierter Gesang
Fünfter Gesang
Sechster Gesang
Siebenter Gesang
Achter Gesang
Neunter Gesang
Zehnter Gesang
Elfter Gesang
Zwölfter Gesang
Des Menschen erste Schuld und jene Frucht
Des strengverbotnen Baums, die durch Genuss
Tod in die Welt gebracht und jeglich Weh,
Die Eden raubte, bis ein größrer Mensch
Des Heiles Sitz uns wiederum errang:
Besing' o Himmelsmuse, die auf Horebs,
Auf Sinai's verborgnem Gipfel einst,
Den Hirten entflammte, der zuerst belehrt
Das auserwählte Volk, wie Erd und Himmel
Im Anfang aus dem Chaos sich erhob;
Von dorther, oder wenn des Sion Hügel,
Siloah's Quell, der bei des Herrn Orakel
Hinfloß, dich mehr erfreut, so ruf ich dich
Von dort herab, mein kühnes Lied zu weih'n,
Das nicht gemeinen Flugs Aeoniens Berg
Mit solchen Dingen überschweben will,
An die sich Vers und Prosa nie gewagt.
Vor Allem du beseele mich, o Geist,
Der offne Herzen mehr als Tempel liebt:
Du bist allwissend, warst vom Anbeginn
Und ruhtest brütend einer Taube gleich
Mit mächtig ausgespreiztem Flügelpaar,
Den ungeheuern Abgrund fruchtbar machend.
Was in mir dunkel ist, erleuchte du,
Was in mir niedrig, heb' und stütze du;
Daß ich gemäß dem hohen Gegenstand
Die Wege Gottes zu den Menschen preisend
Die ewige Vorsehung verteid'gen mag.
O sprich zuerst – denn Nichts verbirgt der Himmel,
Die tiefe Hölle Nichts vor deinem Blick –
O sprich, was unser erstes Elternpaar
In jener Seligkeit und Himmelsgunst
Bewog, von ihrem Schöpfer abzufallen,
Um ein Verbot sein Wort zu übertreten,
Sie, die doch sonst die Herrscher dieser Welt?
Sprich! wer verführte sie zu dieser Schuld?
Der Höllendrache, Jener, dessen List
Von Rach' und Neid erregt, der Menschen Mutter
Zu einer Zeit betrog, als ihn sein Stolz
Herab vom Himmel stürzte samt der ganzen
Rebellischen Engelschar, mit deren Hülfe
Er glorreich seines Gleichen zu beherrschen
Und Gott sich gleich zu stellen trachtete,
Da er durch Widerstand und ehrsuchtvoll
Verruchten Krieg im Himmel gegen Gottes
Alleinherrschaft erhob, und stolzen Kampf,
Der fruchtlos blieb. Des Allerhöchsten Macht
Stieß häuptlings ihn aus den äther'schen Höh'n
Furchtbaren Sturzes glutumflammt hinab
Zum bodenlosen Abgrund, dort zu wohnen
In Diamantketten und in Feuerpein,
Da dem Allmächtgen er gewagt zu trotzen.
Neun Mal die Zeit, die bei den Sterblichen
Den Tag, die Nacht bezeichnet, lag er dort
Besiegt mit seiner schaudervollen Horde,
Im Feuerpfuhl sich wälzend, sinnverwirrt,
Und doch unsterblich; denn zu größrer Qual
War er verdammt, nun martert der Gedanke
Verlornen Glückes ihn, und ew'ger Pein;
Die düstern Augen wirft er rund umher,
Die Angst und tiefe Traurigkeit verraten,
Worein verstockter Stolz und Hass sich mischt;
Er sieht, so weit als Engel können sehn,
In seiner Lage wüst' und elend sich,
Ein furchtbarlich Gefängnis flammt um ihn,
Gleich einem Feuerofen, doch den Flammen
Entstrahlt kein Licht; nur sichtbar finstre Nacht
Enthüllt ihm hier die Gruppen tiefen Weh's,
Die Gegenden der Sorgen, düstre Schatten,
Wo Friede nicht, noch Ruhe je verweilt,
Wohin selbst Hoffnung, die sonst Allen naht,
Nicht kommen kann; nur endlos grimme Pein
Mischt sich der Feuerflut, genährt von Schwefel,
Der ewig brennt und nimmer sich verzehrt.
Solch einen Ort erschuf der ewge Richter
Für die Empörer, deren Kerker hier
Aus tiefstem Dunkel gähnt, daß sie von Gott
Und Himmelslicht drei Mal so weit entfernt,
Als wie der Mittelpunkt vom letzten Pol.
Wie ungleich jenem Raum, aus dem sie fielen!
Dort sieht er die Genomen seines Fall's
Von Flut und Wirbelwind der Feuermassen
Verschlungen, und an seiner Seite wälzen
Den Einen, an Verbrechen und Gewalt
Ihm selbst der nächste, der bekannt dereinst
In Palästina ward als Beelzebub.
Zu diesem wandt der Erzfeind jetzo sich,
Der in dem Himmel Satan wird genannt,
Mit trotzigem Wort das grause Schweigen brechend:
»Wenn Du es bist, – doch o! wie tief gefallen,
Wie ungleich Dem, der in den Lichtgefilden
Mit höchstem Glanz bekleidet, Myriaden
An Schimmer überstrahlte – wenn Du's bist,
Den wechselseitig Bündnis, gleicher Plan,
Hoffnung und Wagnis in der großen Tat
Mit mir verband, und Elend nun im Sturz –
Du siehst, in welchen Pfuhl, aus welcher Höhe
Gestürzt wir sind, so mächtig war sein Donner,
Wer hat vorher auch dieser grausen Waffe
Gewalt gekannt? doch weder dies, noch auch
Was sonst des mächtigen Siegers Grimm verhängt,
Läßt mich bereun und meinen Willen ändern,
Ob ich verändert auch im äußern Glanz,
Groll fühl ich ob beleidigten Verdienstes,
Was mit dem Höchsten mich zu kämpfen zwang,
Und mich zum Streit die unermessne Macht
Bewehrter Geisterscharen führen hieß,
Die seine Herrschaft wagten zu verschmähn,
Die mich erwählten, seiner Allgewalt
Sich widersetzten, auf den Himmelsau'n
In zweifelhaften Treffen seinen Thron
Erschütternd. Ob das Schlachtfeld auch verloren,
Ist doch nicht Alles hin; der Wille nicht,
Der unbesiegbar, nicht der Rache Durst,
Der ewge Hass und Mut, sich nie zu beugen,
Und was noch sonst unüberwindlich ist:
Den einen Ruhm soll nimmer mir sein Grimm
Und seine Macht entreißen. Wollt' ich jetzt
Kniebeugend ihn um seine Gnade flehn
Und seine Macht vergöttern, dessen Reich
Jüngst vor dem Schrecken dieses Arms erbebte,
So wär' es wahrlich niedrig, wäre Schmach
Und größre Schande noch als unser Sturz,
Da nach dem Schicksal nie die Macht der Götter,
In uns das Himmlische nie schwinden kann;
Weil die Erfahrung dieses großen Kampfs
An Kräften uns nicht schwächer; ja nur stärker
An Vorsicht machte, können wir mit mehr
Erfolg und Hoffnung ewge Fehde wagen,
Die unversöhnlich mit Gewalt und List
Den größten unsrer Feinde soll bekriegen,
Der triumphierend jetzt im Freudetaumel
Des Himmels Herrschaft ganz allein besitzt.«
So sprach der abgefallnen Engel Herr
Laut prahlend, doch gefoltert von Verzweiflung
Und keck entgegnet ihm sein Mitgenoß:
»O Fürst und Haupt so vieler Herrschermächte,
Die in den Krieg die Seraphim geführt,
Die furchtlos bei der schreckenvollsten Tat
Des ewgen Himmelskönigs Thron bedrohten,
Zu prüfen seiner Oberherrschaft Kraft,
Ob sie auf Zufall oder Macht gestützt:
Wohl seh ich und beklag' ich dies Ereignis,
Das durch der Niederlage grausen Sturz
Den Himmel uns verlor und unser ganzes
Gewaltiges Heer furchtbar zertrümmerte,
So weit als Götter oder Himmelswesen
Zu Grunde gehn, denn Geist und Seele bleibt
Unüberwindlich; bald auch kehrt die Kraft,
Ob unser Ruhm auch schwand und unser Glück
Von endlos arger Pein verschlungen ward.
Doch wie, wenn unser Sieger (dessen Kraft
Ich anerkennen muß, da nicht geringere
Die unsern Kräfte je besiegen konnte)
Uns Geist und Stärke ließ, um unsre Qual
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