Wir spendieren George ein Bier und einen Burger, das war’s.
Ab in die Buchhandlung am Campus.
Erfreulicher Weise ist dort ein ganzer Stapel des Buches „Film verstehen“ vorrätig, erfreulicher Weise ist es ein Paperback, was das schwere Drum etwas leichter macht.
Ab in den Washington Square Park zum Schmökern.
Hm? Hm? Hm? Hm?
Schön langsam schwant uns beiden Böses. Schon nach Durchsicht des Inhaltsverzeichnisses müssen wir beide zugeben, dass wir total am Holzweg sind, um es etwas nobel auszudrücken, oder allgemein verständlich, die dümmsten Idioten in ganz Manhattan sind, die absolut uniformiert sich an die Uni gewagt haben.
Was tun?
Ich möchte jetzt wirklich wissen, wie sich die Ex-Seniors der 12c an der Morgen High jetzt tun, die angeblich Betriebswirtschaft, Medizin oder Jus belegt haben?
Die Lumpenhunde und Lumpenschwestern werden zur Stunde schön um Gnade heulen, da bin ich mir ganz sicher.
Suzie Q. macht eine Netzumfrage unter den ehemaligen Szenegirls. Aber die Ausbeute bleibt gering.
Aha.
Also stehen die genauso planlos vor dem Unitor wie wir beide New York University Pimps.
„Ich bin echt frustriert. Wozu quälst du dich 8 Jahre durch die High, an der sie dir vorgaukeln, was für ein super Student du mit so einem Abschluss sein wirst, wenn ich/du/er/sie/es dann an der einfachsten Baumuni gar keine Ahnung hast“, protestiert Suzie Q. unüberhörbar.
Hm?
Das hätte ich ihr gleich sagen können, dass die Morgen High nichts taugt, deshalb habe ich es mir dort auch so angenehm wie möglich gemacht, aber, dass wir beide total planlos sind, das ist selbst für einen phlegmatisch Typen wie mich eine bomben Überraschung.
Offensichtlich heißt die Devise an der Uni büffeln oder Taxi fahren.
Hm?
Da soll sich noch einer auskennen und das schon im ersten Semester.
Suzie Q. hat genug von all den entsetzlichen Ernüchterungen und wir ziehen ins Angelika Film Center ab, um uns dort den nächsten Film auf der to-do-Liste reinzuziehen.
„Taxi Driver“ steht am Programm.
Kapitel 4: Das erste Wochenende nach Studienbeginn
Freitag:
Wie geplant treffe ich Suzie Q. pünktlich um neun Uhr Vormittags am Washington Square. Erfreulicher Weise trägt sie heute nicht ihre geliebten Hotpants sondern halblange Kakihosen und ein T-Shirt und wenn sie mich fragen würde sieht sie fantastisch aus, viel besser als in dem Nuttenlook, aber leider spielt in Modesachen meine Meinung bei ihr keinerlei Rolle.
Na ja. Die wird schon noch draufkommen, dass die New York University nicht die Morgan High ist.
Ganz selbstverständlich begrüßt mich Suzie Q. mit Küsschen, was in der High School praktisch unerreichbar für mich war.
Sie ist noch schwer beeindruckt von dem Scorcese-Film, den sie heute Abend unbedingt noch einmal sehen will, so sehr hat sie der Horrortrip durch die Stadt gepackt. Sie hat bereits eine Monographie über den Regisseur, der ihr absolut nichts sagt, auf der Bibliothekswebseite gefunden und online bestellt, zu Mittag will sie das Buch abholen.
Alle Achtung Suzie Q., du kratzt die Kurve ganz stark in Richtung Independentfilm.
Wir gehen in die Uni und biegen das erste Einführungsseminar herunter, das zwar rein gar nichts mit Filmen zu tun hat, aber in dem man/frau erfährt, wie der Laden hier läuft, was auch nicht uninteressant ist.
Mittags treffen wir noch einmal unseren Tutor George im Washington Square Park, den ich schwer im Verdacht habe, dass er gleich beide Augen auf die schöne Suzie Q. geworfen hat, tatsächlich schlendern die beiden Händchen haltend von dannen und lassen mich wie den größten Idioten unter dem Triumphbogen zurück.
Typisch New York City It-Girl, auch wenn du dich in eine schicke Studentin verkleidest, du wirst immer die High School Zicke bleiben.
Ich schwemme meinen Frust mit einer Cola hinunter und ziehe von dannen.
Wo wohnt Suzie Q.?
Hm?
Keine Ahnung. Die alte Wohnung hat ihre Mom vor ihrem Umzug nach Texas aufgelöst und ich armer, junger Esel habe sie bisher nicht nach ihrer neuen Adresse gefragt. Sicher hat sie irgendwo im Village Quartier bezogen, wo wird sich sicher bald auskundschaften lassen, spätestens dann, wenn George genug mit ihr gevögelt hat, aber dann, werde ich es mir auch dreimal schwer überlegen ob ich als Ausheulbaum herhalten will.
Wie auch immer. Ich bin gegen 4 am Nachmittag zu Hause und falle auf mein Bett in der Schülerbude, die sich bisher noch nicht sehr verändert hat.
Der einzige Stilbruch im High School-Schick ist das Buch „Film verstehen“, das tatsächlich ein New Yorker geschrieben hat, der an der Columbia Vorlesungen hält, wie ich dem Klappentext entnehme.
Okay, ich schlage den Schmöker auf und lege los.
Ich sehe erst auf, als es an die Zimmertür klopft.
„Hey, Jerry, Abendessen! Kommst du?“ Moms Stimme ruft mich unüberhörbar.
„Hab keinen Hunger“, sage ich nur und lese weiter.
„Film verstehen“ zieht mich total rein in eine unbekannte Hemisphäre, die, als „Filmwelt“ bekannt und mir bisher völlig unbekannt gewesen ist.
Was für Filme habe ich bisher gesehen? Fast ausschließlich Blockbusterkino, nach der Definition von Mister Monaco, also schnöde Unterhaltungsware, die nur zur Gewinnmaximierung hergestellt wurde. Die beiden einzigen Filme, die ich kenne und in dem Buch erwähnt werden sind „Zazie fährt in der Metro“ und „Taxi Driver“.
Uff, ich hab wohl noch ganz schön Aufholbedarf.
Es ist stockdunkel.
Bin ich eingeschlafen?
Nein. Ich habe wie der Irre gelesen und bin bereits auf Seite 100 in dem dickleibigen Schmöker.
Mein Blick streift die Uhr.
Oh mein Gott, es ist bereits Mitternacht.
Ich habe Suzie Q. versetzt, jetzt brauche ich erst gar nicht mehr losziehen, denn selbst die Mitternachtsvorstellung von den „Blues Brothers“, die ebenfalls in meiner neuen Bibel erwähnt werden, hat bereits begonnen.
Ich suche nach meinem Handy und checke die Nachrichtenbox.
Nichts.
Aha.
Sie hat es nicht für nötig befunden mich via SMS oder Anruf an unser Date zu erinnern.
Ob sie noch mit diesem Wichtigtuer George abhängt?
Wahrscheinlich.
Soll ich noch mal ausrücken und in einen der Clubs im Village nach Suzie Q. suchen?
Kommt gar nicht in die Tüte. Ich ziehe mir lieber noch ein paar Seiten von „Film verstehen“ rein. Das ist besser für meine persönliche Erbauung.
Ich lese bis drei Uhr morgens durch, was bisher noch nie vorgekommen ist, dann schlafe ich endlich ein.
Samstag:
Ich lese bis Mittags durch und erscheine ohne Katzenwäsche beim Mittagstisch.
Allgemeines Naserümpfen. Meine Ausdünstung ist nicht die beste.
Mein älterer Bruder Danny, der ebenfalls an der New York University studiert, reißt als erster das Maul auf.
„Jerry liest ein Sachbuch“, knallt Danny die Sensation des Tages in die völlig unvorbereitete Runde.
Sämtliche Augenbrauen, außer natürlich meine, werden nach oben gezogen.
„Wow“, sagt Mom.
„Ein Sachbuch?“ Dad nimmt mich ins Visier.
„Echt? Tatsache?“, fragt Berry, der an der Columbia studiert.
„Wird ja auch Zeit“, gibt Danny zum Besten.
„Hat eh länger als Usus gedauert“, feixt Berry.
„Cool bleiben, Jungs, bisher war Jerry nicht gerade der Intellektuelle in unserer Familie“, sagt Dad.
„Was ist eigentlich ein Sachbuch?“
Allgemeiner großer Megaseufzer. Haarraufen. Kopfschütteln. Stirnrunzeln.
„Scherzt du, mein Sohn?“ fragt Dad, ganz der supercoole Psychoanalytiker.
„Äh?“
„Was liest du denn eigentlich?“ fragt Mom um mir aus der Patsche zu helfen.
„Film verstehen. Von einem gewissen James Monaco. Ist echt cool“, antworte ich sofort.
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