Da seine Schwiegermutter ihn jedoch auf keinen Fall um sich haben wollte, hatte sie es Elena und ihm verwehrt, nach der Hochzeit bei ihr zu wohnen, obwohl die Villa mehr als groß genug war. Notgedrungen waren sie daraufhin in eine Mietwohnung in der Stadt gezogen.
Doch seine Schwiegermutter hatte ihm auch noch über ihren Tod hinaus misstraut. Sie hatte Elena zwar die Villa vererbt, in der diese aufgewachsen war, jedoch alle übrigen Vermögenswerte nicht. Diese hatte sie Gemeinnützigen Institutionen unter Bedingungen vermacht, die Elena insbesondere im Alter absicherten.
Er würde davon allerdings zu keiner Zeit profitieren, selbst dann nicht, wenn Elena vor ihm starb. Anna Kaiser hatte ihm noch über ihren Tod hinaus ihre Abneigung deutlich gemacht.
Es hatte ihn bei der Testamentseröffnung große Mühe gekostet, seinen Zorn zu beherrschen. Innerlich tobend hatte er die Kanzlei bereits nach kurzer Zeit verlassen, ohne das Ende der Ausführungen des Notars abzuwarten. Wozu auch, er hatte von seiner Schwiegermutter nichts Gutes zu erwarten.
„Ich brauche Geld“, flüsterte Adrian in die Stille des Raumes. „Aber woher nehmen? Meine Bucheinnahmen sind fast aufgebraucht, neue kommen kaum herein, und ein zweiter Erfolg ist nicht in Sicht.“
Elena hatte keine Ahnung, dass er an keinem neuen Roman arbeitete. Bislang hatte er noch keine einzige Zeile geschrieben. Er schüttelte die trüben Gedanken ab, drehte sich um und ging hinaus zum Briefkasten.
Mit mehreren Briefen und einem braunen DIN A4-Umschlag kehrte er zurück. Wahrscheinlich Rechnungen, vermutete Adrian. Der braune Umschlag war an Elena gerichtet. Adrian drehte ihn neugierig um. „Nicht frankiert und kein Absender“, murmelte er. „Jemand muss ihn persönlich eingesteckt haben.“
Er ging zurück ins Haus und legte den braunen Umschlag auf einen Beistelltisch. Nachdem er die übrige Post durchgesehen hatte – natürlich waren es wie stets in letzter Zeit überwiegend Rechnungen – fiel ihm der braune Umschlag wieder ein. Er holte ihn und nahm ihn mit hinüber ins Wohnzimmer.
Nachdenklich fuhr er mit dem Finger über die zugeklebte Umschlaglasche. Sie klebte nicht sehr fest. Und da Adrian Verhoeven ein sehr neugieriger und misstrauischer Mann war, hatte er keinerlei Skrupel ihn zu öffnen. Vorsichtig fuhr er mit einem schmalen Messer an der Klebestelle entlang und schlug die Lasche hoch. Mit spitzen Fingern zog er einen dünnen Stapel Papier heraus, auf dem ein Anschreiben lag.
„Na sowas“, murmelte Adrian verblüfft. „Was hat Elena denn mit einer Privatdetektei zu schaffen?“ Er las das Anschreiben und wurde blass. Lange starrte er mit unbewegtem Gesicht vor sich hin. Endlich erhob er sich. Mit dem Umschlag in der Hand stieg er die Wendeltreppe zu seinem Arbeitszimmer hinauf.
Als Elena am Abend nach Hause kam, erwartete Adrian sie mit einem Glas Sekt.
„Was ist los? Haben wir im Lotto gewonnen?“, scherzte sie.
Adrian nahm sie in die Arme. „Das nicht, Liebling. Aber ich habe etwas mit dir zu besprechen. An und für sich wollte ich schon lange mit dir darüber reden, doch dann habe ich es immer wieder verschoben, um dich nicht aufzuregen.“
„Um was geht es, Adrian?“, fragte Elena besorgt.
Adrian musterte sie schweigend.
„Also, was ist los?“ Nun rück schon raus damit“, verlangte Elena burschikos.
„Also gut. Du vertraust mir doch, Liebling, oder?“
Elena nickte, wenn auch etwas zögernd.
„Es betrifft indirekt den Unfall deiner Mutter“, begann Adrian. „Ich war damals ja leider nicht zu Hause, als es passierte. Hätten wir bei ihr gewohnt, wäre es vielleicht nicht passiert. Aber deine Mutter wollte mich ja nicht um sich haben“, sagte Adrian bitter.
Elena ging nicht darauf ein. „Du wolltest mir etwas sagen“, erinnerte sie ihn.
Adrian nickte. „Na ja, das ist ja auch Schnee von gestern“, murmelte er. „Also kurz und gut. Als ich dir dann ein paar Tage später beim Durchsehen ihrer Sachen half und mir dabei etwas herunterfiel, entdeckte ich unter ihrem Schreibtisch diese Armbanduhr. Deine Mutter muss sie aus irgendeinem Grund abgenommen haben. Ich nahm sie an mich, steckte sie wohl ganz in Gedanken ein und vergaß sie.
Als ich mich nach Tagen wieder an die Uhr erinnerte, legte ich sie in meinen Schreibtisch. Ich wollte sie dir erst dann geben, wenn du etwas zur Ruhe gekommen warst. Dich hatte der schreckliche Unfall deiner Mutter so sehr mitgenommen. Ich brachte es einfach nicht übers Herz, dich erneut daran zu erinnern und dieses schreckliche Ereignis erneut aufzuwühlen.
Ich dachte solange nicht mehr an die Uhr, bis sie mir gestern zufällig wieder in die Hände fiel. Es tut mir wirklich sehr leid, dass du umsonst danach suchtest.“
Elena sah ihn stumm an. Hinter ihrer Stirn jagten die Gedanken. Und ihr schon länger wucherndes Misstrauen schoss mit Macht empor.
Adrian log, belog sie hier und jetzt ganz unverblümt und mit dem ehrlichsten Gesichtsausdruck der Welt!
Es war vollkommen unmöglich, dass er die Uhr einige Tage später gefunden haben sollte, noch dazu ausgerechnet unter dem Sekretär, wo sie zuerst nachgesehen hatte.
Aber woher hatte er sie dann? Sie erstarrte innerlich, als ihr die logische Schlussfolgerung bewusst wurde!
„Was ist mit dir, Liebling? Du bist ja plötzlich kreidebleich“, drang seine Stimme in ihre Gedanken.
Sie durfte sich nichts anmerken lassen! Plötzlich wähnte sie sich in Gefahr. „Es sind nur die Erinnerungen“, flüsterte sie.
Adrian stand auf und zog sie an seine Brust. „Ach, mein armer Liebling“, murmelt er.
Als Elena ein warmes Bad nahm, holten die Gedanken sie wieder ein. Hatte Adrian mit dem Tod ihrer Mutter etwas zu tun? War es vielleicht gar kein Unfall? Und woraus resultierte sein plötzliches Bedürfnis ihr von der Uhr zu erzählen?
Hatte er bemerkt, dass sie an seinem Schreibtisch gewesen war? Dass sie von der Uhr wusste? Oder war ihm etwas von der Privatdetektei zu Ohren gekommen?
Wenn ja, dann reagierte er schnell und nach dem Motto – Angriff ist die beste Verteidigung –. Ihr Instinkt riet ihr vorsichtig zu sein. Sie durfte sich ihr Misstrauen nicht anmerken lassen. Und er durfte auf keinen Fall erfahren, dass sie eine Privatdetektei eingeschaltet hatte, deren Rechnung ihre langjährige Freundin Arlena bezahlte.
Und noch etwas wurde Elena schlagartig klar. Sie hatte einem Mann ihre Liebe und ihr Vertrauen geschenkt, den sie anscheinend überhaupt nicht kannte. Ihre Mutter und Arlena, mit der sie zusammen aufgewachsen war, hatten ihn von Anfang an abgelehnt. Sie hatten sie beschworen, Adrian nicht zu heiraten. Doch sie war von ihm wie verhext gewesen. Hatte auf nichts und niemanden gehört.
Jetzt blieb ihr nur noch die Hoffnung, dass Adrian mit dem schrecklichen Dahinscheiden ihrer Mutter nichts zu tun hatte. Sie musste zweifelsfrei wissen, ob ihre Mutter wirklich durch einen Unfall und nicht durch ein Verbrechen zu Tode gekommen war.
Es war ein grauenhafter Anblick gewesen! Blutüberströmt hatte sie ihre Mutter in dem Geräteschuppen am Boden liegend gefunden. Sie würde diesen Anblick niemals vergessen!
Es war der Schneidrechen gewesen. Er sei umgefallen, und die spitzen Zinken hätten die Kehle ihrer armen Mutter durchbohrt. So, die offizielle Version der Polizei.
Doch wieso war das Gerät ausgerechnet in dem Moment so zielgerichtet umgefallen, als ihre bedauernswerte Mutter davor gestanden hatte? Oder war vielleicht doch Fremdverschulden die Ursache gewesen? War es Mord? Hatte Adrian etwas damit zu tun?
Würde diese Frage jemals beantwortet werden? Und wenn nicht, konnte sie dann trotz dieser Ungewissheit überhaupt noch weiterhin mit Adrian zusammenleben?
Wollte sie das überhaupt? Oder hatte das Misstrauen ihre Liebe bereits zerstört und im Nichts versickern lassen?
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