1 ...8 9 10 12 13 14 ...17 »Können wir gehen?«, fragte Chris nun und lächelte sie an. Ihr Herz setzte einen Schlag aus, als er das tat. Kurz begegnete sie Khyras fragendem Blick, doch sie ging nicht darauf ein. Sie setzte sich in Bewegung, winkte Khyra und Kian noch einmal zu und wandte sich dann zur Straße um. Chris ging dicht neben ihr, doch er hielt gerade so viel Abstand, dass sie einander nicht berührten.
»Darf ich dich etwas fragen?«
Nadeya zögerte.
»Fragen ja. Ob ich antworte, überlege ich mir dann.«
Sein Lachen hallte von den Häusern in der engen, menschenleeren Straße wider.
»Schieß los!«, sagte Nadeya.
»Denkst du, dass die beiden jetzt... ein Paar sind?«
Sie blickte ihn kurz an und zuckte mit den Schultern.
»Keine Ahnung. Ist doch auch nicht mein Problem.« Sie hörte selbst, wie abweisend das klang. Dabei entsprachen ihre Worte nicht einmal der Wahrheit. Nichts würde sie mehr freuen, als wenn Khyra endlich jemanden gefunden hatte, der sie gut behandelte und liebte. Und zugleich würde sie nichts mehr schmerzen, als wenn er sie verletzte.
»Komm, du liebst deine Schwester.«
Überrascht sah sie ihn an. Wie kam er darauf?
»Was hältst du denn davon?«, blaffte sie ihn an.
»Kian hat sie überall gesucht. Er hat im Krankenhaus angerufen und nachgefragt, aber die durften ihm natürlich keine Auskunft geben. Und er ist seit dem täglich joggen gewesen. Er hat nichts gesagt, aber ich glaube er hat gehofft, sie dort wieder zu treffen. Jedenfalls kam er immer mit schlechter Laune zurück.« Er blickte sie an.
»Glaub mir, Kian ist kein... Playboy oder so. Ich habe ihn noch nie so erlebt wie in den letzten Wochen. Sie scheint ihm echt den Kopf verdreht zu haben.«
Nadeya musste plötzlich lächeln.
»Das ist ja fast zu schön, um wahr zu sein«, murmelte sie leise. »Mit Alan und mir lief das damals ganz anders ab.«
»Alan?«
Sie hob den Kopf und begegnete seinen blauen Augen. Automatisch blieb sie stehen.
»Ja. Alan. Mein Freund.« Sie beobachtete akribisch genau seine Gesichtszüge. Er verzog keine Miene, doch das schöne Lächeln war verschwunden.
»Du hast nicht erwähnt, dass du einen Freund hast.« Er schmunzelte und setzte sich wieder in Bewegung. Rasch folgte sie ihm. Rechts von ihnen lag das Ufer des Shannon. Nadeya vernahm das leise Rauschen des Flusses.
»Du hast nicht gefragt«, antwortete sie und lächelte. Er grinste. Eine Weile schwiegen sie wieder, bis sie das Haus erreicht hatten, in dem Nadeya wohnte. Es stand nicht direkt am Ufer, sondern auf der anderen Straßenseite. Vor dem Weg, der zur Haustür führte, blieben sie stehen. Chris kaute auf seiner Unterlippe herum, sah zur Tür hinüber und schien mit sich zu ringen.
»Danke fürs nach Hause bringen«, sagte sie rasch. Ihre Blicke begegneten sich.
»Hab ich gern gemacht«, gab er zurück. Erneut zögerte er.
»Nadeya ich will ganz ehrlich zu dir sein. Eigentlich würde ich dich gern besser kennenlernen.«
»Warum fragst du mich dann nicht, ob wir was zusammen machen können?« Es war ihr einfach so herausgerutscht. Im nächsten Moment hätte sie sich auf die Zunge beißen mögen.
»Ich dachte, du hast einen Freund«, gab er zurück und lachte. Sie wurde rot.
»Hab ich auch. Aber kennenlernen muss ja nicht gleich mehr bedeuten.«
Er lächelte.
»Hast recht.«
Einen Moment schwieg er, bevor er ihr seinen Vorschlag unterbreitete:
»Also, treffen wir uns morgen, sobald du ausgeschlafen hast? Ich lade dich auf einen Kaffee ein.«
Eigentlich hatte sie ja Khyra angekündigt, mit ihr einen Kaffee trinken zu gehen, doch die würde ihr ohnehin absagen, so wie sich die Dinge entwickelt hatten.
»Sei um 11 hier«, gab sie trocken zurück und wandte sich zur Tür um. Chris lächelte wieder.
»Versprochen. Ich bin da.«
Ein warmer Schauer lief ihr über den Rücken. Sie zwang sich, ihm nicht nachzusehen und stattdessen den Schlüssel ins Schloss zu stecken. Bevor sie jedoch die Tür zuzog, konnte sie nicht widerstehen, sich noch einmal umzudrehen. Aber Chris war schon einige Meter gelaufen. Mit einem nervösen Ziehen im Magen blickte sie ihm nach und drückte schließlich die Tür zu. Einen Augenblick lehnte sie sich an die Wand. Das war kein Date! Sie war vergeben. Sie wollte bloß mit einem Freund einen Kaffee trinken. Da war absolut nichts Verwerfliches dran.
Sie atmete noch einmal tief durch und musste unwillkürlich lächeln, als ihr seine Augen in den Sinn kamen. Wie konnte blau nur so warm erscheinen? Doch das war sein Blick. Warmherzig und offen.
Nadeya stieß sich von der Tür ab und nahm beschwingt die Stufen hinauf zu ihrer Wohnung. Als sie jedoch die letzte Treppe erreicht hatte, blieb sie wie angewurzelt stehen. Ihr erster Gedanke war, dass direkt vor ihrer Tür eine Leiche lag und sie in einen Mordfall verwickelt war. Dann erkannte sie die abgewetzten Sneakers an den langen Beinen, die auf dem Fußboden ausgestreckt waren. Sie nahm die letzten Stufen und konnte Alan sehen, der an ihrer Wohnungstür lehnte. Sein Kopf war gegen den Türrahmen gesunken und er schlief. Er saß schon wer weiß wie lange dort und wartete auf sie. Ein Lächeln stahl sich auf Nadeyas Gesicht, während sie ihren Freund betrachtete. Sein Mund war leicht geöffnet. In seiner Stirn hingen ein paar seiner im Moment längeren, ungestylten Haare. Er musste schon seit geraumer Zeit nicht mehr beim Friseur gewesen sein. Nadeya stellte fest, dass ihr die neue Frisur gefiel und plötzlich tat es ihr leid, dass sie ihn den ganzen Tag ignoriert hatte. Sie ging auf ihn zu und ließ sich rittlings auf seinem Schoss nieder. Er bemerkte das jedoch erst, als sie ihre Lippen auf seine legte. Dabei zuckte er leicht zusammen, bevor er schlaftrunken ihren Kuss erwiderte. Gute Güte, das Gefühl seiner Lippen auf ihren war unglaublich. Er hatte ihr so gefehlt.
Seine muskulösen Arme umfassten sie, seine Hände glitten ihren Körper hinauf.
»Ich hatte eigentlich nicht vor, dich so zu empfangen«, raunte er an ihren Lippen. Seine Stimme zitterte leicht.
»Wie denn?«
»Ich war sauer auf dich... aber jetzt...« Abermals küsste er sie, fuhr mit den Händen unter ihren dünnen Pullover und strich ihr über den bloßen Rücken.
»Jetzt nicht mehr?«, fragte sie ebenso leise und spürte die Gänsehaut, die seine warmen Finger auf ihr hinterließen.
»Doch eigentlich schon«, antwortete er und sein vertrautes, heiseres Lachen drang an ihr Ohr. »Aber ich hätte da eine Idee, wie du es wieder gut machen kannst...«
Er konnte es nicht fassen. Dieses Mädchen war unglaublich. Fasziniert betrachtete er sie, während sie neben ihm herging und seit sie losgelaufen waren, unaufhörlich redete. Nicht ein Mal langweilte ihn das, was sie zu sagen hatte. Ihre Art zu sprechen, die Wärme und Herzlichkeit, die in ihrer Stimme lag, berührten ihn tief. Als sie schließlich vor dem Haus angekommen waren, in dem sie lebte - ein hübsches Mehrfamilienhaus aus roten Backsteinen, in dem sie, wie sie sagte, die Wohnung im ersten Stock bewohnte - ergriff er ihre Hände und blieb dicht vor ihr stehen. Sie lächelte kaum merklich, bevor er sie küsste. Ihre Lippen fühlten sich so weich und berauschend an, dass er am liebsten nie wieder etwas anderes getan hätte, als das hier. So musste es sich anfühlen, wenn man eine dieser Drogen nahm, die pures Glück verhießen. Sie war seine Droge und er konnte nicht genug von ihr bekommen. Er hob die Hände, vergrub sie in ihren dichten Locken und spürte ihre Finger, die auf seiner Brust lagen. Vorsichtig strich sie darüber und er keuchte leise. Überrascht löste er den Kuss. Ihre Augen waren ein wenig geweitet, doch sie schien nicht zu verstehen, was ihn seine Konzentration gekostet hatte.
Читать дальше