Die Reise ging weiter nach Westen. Bei Port Arthur und Fort William verließen wir den Trans-Canada-Highway. Seit 1970 haben sich diese Städte mit zwei weiteren kleineren Gemeinden zur 120.000-Einwohner-Stadt Thunder Bay zusammengeschlossen. Im heutigen Thunder Bay also bogen wir nach Südwesten auf den Highway 61, der uns nach Minnesota, in die Vereinigten Staaten von Amerika brachte.
Kurz vor der Grenze bestaunten wir noch die Wasserfälle des Pigeon River, dem Grenzfluss zwischen Ontario und Minnesota. Dort trafen wir ein schwäbisches Ehepaar, das uns wegen unserer deutschen Autonummer ansprach. Die beiden lebten seit 40 Jahren in den USA. Sie sprachen ein drolliges Gemisch aus Schwäbisch und Englisch. Wir tranken eine Tasse Kaffee zusammen und sie erzählten von ihren Erfahrungen in Amerika. Sie besaßen ein Haus in Florida, direkt am Strand, einen dicken Wagen, und machten nun eine Ferienreise mit Auto und Trailer durch die USA und Kanada. Mit 65 und 68 Jahren waren sie für uns natürlich bereits uralt, obwohl wir ihre jugendliche Freude am Campingleben bewunderten. Wie sich doch die Grenze, ab der man uralt zu sein hat, im eigenen Leben locker nach hinten schieben lässt!
Hildrun beschrieb ihre Eindrücke an ihre Familie folgendermaßen: ". . . Sie hatten sich natürlich schon sehr auf das amerikanische Leben eingestellt. Frau Schmidt trug ein Paar rosa Bermudashorts, obwohl sie ungefähr die Figur von Tante C…. hat. In Deutschland würden die Leute bei so einem Anblick wiehern vor Lachen. Hier stört sich niemand an so einem modischen Fauxpas. Im Gegenteil, man hat den Eindruck, dass die Bermudashorts hier Nationaltracht ist. Im Sommer laufen Männlein wie Weiblein von 2 bis 80 Jahren in diesen Buxen herum. Ja, die amerikanische Mode - viel ist darüber nicht zu berichten. Alles ist farbenfroh, mehr praktisch als schön, und man merkt, dass es im Dutzend hergestellt ist. Die Frauen tragen ihre Lockenwickler ungeniert beim Einkaufsbummel spazieren, keiner findet das komisch oder unpassend…"
Wie locker wir das mittlerweile sehen! Man merkt, dass wir zu jener Zeit in Deutschland noch von einer strengeren, sich um Schicklichkeit bemühte Weltanschauung geprägt worden waren.
Am 17. Juli 1967 überquerten wir die Grenze von Kanada in die USA bei Grand Portage am Pigeon River problemlos und fuhren auf dem amerikanischen State Highway 61 in Minnesota weiter Richtung Duluth.
Entsprechend zu den kanadischen Provincial Parks bieten die USA ihre State Parks an, die jeweils von den einzelnen Provinzen (die 10 Staaten Kanadas), oder von den einzelnen Staaten der USA verwaltet werden. Daneben gibt es auf beiden Seiten die großen und zum Teil weltberühmten Nationalparks. In den USA findet man aber auch sehr schöne Campingplätze in den Nationalwäldern, den National Forests. Diese Plätze haben oft die Bezeichnung Primitive Camping , sind andererseits gerade deshalb von besonderem Reiz. Wir lernten diese Art Campingplätze sehr zu schätzen. Oft haben sie nur sehr wenige Stellplätze, die sich dafür auf einem großzügigen Gelände verteilen. Ausgestattet mit einfachen Plumpsklos, aber immer mit einer Feuerstelle, Trinkwasser und Picknicktischen. Selbst in späteren Jahren, als man grundsätzlich bezahlen musste fürs Campen, waren dies die preisgünstigsten und meistens auch die landschaftlich am schönsten gelegenen Übernachtungsplätze.
Hildrun träumt am Rande eines 'primitiven' Campingplatzes
Unsere erste Nacht in den USA, vom 17. auf den 18. Juli, verbrachten wir auf so einem primitiven Campingplatz, dem Eckbeck Campground im Finland State Forest. Auf dem ganzen weiten Areal waren nur drei Plätze mit Zelten belegt.
Am nächsten Tag war ein Getriebeölwechsel für 8,53 US-Dollar (34,12 DM) in Two Harbors am Oberen See fällig. An einer Tankstelle bezahlten wir für 7,2 Gallonen (27 Liter) Benzin 2,50 Dollar (10,- DM), was einem Literpreis von 37 Pfennig entsprach.
Weiter ging's nach Duluth, der viertgrößten Stadt Minnesotas. Als Seemann war mir Duluth ein Begriff, denn der Ort liegt zwar 2.000 km von der Atlantikküste entfernt, ist aber der westlichste Atlantik-Hafen der USA. Über den kanadisch-amerikanischen Sankt-Lorenz-Seeweg und die großen Seen erreichen Seeschiffe Duluth nach 3.700 km Reisestrecke, was wegen der vielen Schleusen über eine Woche dauert.
Wir waren zugegebenermaßen nicht so sehr an den Städten, sondern an den weiten Landschaften des Kontinents interessiert. Also fuhren wir durch Duluth weiter nach Südwesten. Wir hatten unsere Route in den Westen Kanadas, mit einem Schlenker nach Süden durch die USA, so gewählt, um den kanadischen Prärieprovinzen mit ihren endlosen Getreidefeldern aus dem Wege zu gehen.
Je weiter wir allerdings nach Südwesten fuhren, umso landwirtschaftlicher wurde es auch in Minnesota. Langsam wichen die Berge zurück, die Landschaft war nicht mehr so schroff und gewaltig. Das Land wurde bewohnter, große Farmen mit riesigen Maisfeldern lösten die endlosen Wälder des Nordens ab. Wir fuhren noch lange in den Abend hinein, überquerten bei St. Cloud den Mississippi, der noch verhältnismäßig klein war, und verpassten es, einen Campingplatz zu finden.
Zwar hatten freundliche Farmer immer wieder unentgeltliche Picknick- und Campingplätze am Wegrand zur Verfügung gestellt, doch als es dunkel wurde, war kein gastfreundlicher Farmer mehr in Sicht. Dafür endlose Maisfelder. Wir drückten uns am Rande des Highways in so einen Acker und überstanden die Nacht unbeschadet.
Bereits am nächsten Tag erreichten wir bei Sioux Falls South Dakota. Nun ging es auf dem großartigen Interstate Highway 90 wirklich nach Westen, durch eine schier endlose hügelige Prärielandschaft.
In Sioux Falls hatte uns zum ersten Mal Post von unseren Lieben erreicht. Es schien gut zu klappen mit den postlagernd an uns adressierten Briefen! Bei Chamberlain, am Ufer des breiten Missouri, hatten wir dann bei hochsommerlichen Temperaturen von weit über 30 Grad Gelegenheit, auf unsere Korrespondenz einzugehen. Es waren leider auch ärgerliche Neuigkeiten dabei.
Vom Oberkreisdirektor des Landkreises Wiedenbrück (von wo damals noch die Stadt Gütersloh verwaltet wurde), erreichte mich eine Ordnungsverfügung wegen mangelnden Versicherungsschutzes unseres Campingwagens. Mir wurde ein Fahndungsverfahren angedroht, sollte ich nicht umgehend einen Versicherungsschutz für unser Fahrzeug nachweisen können. Oh du elender Amtsschimmel, was wieherst du so grausig falsch in die ferne Prärie von Süddakota! Es war echt zum Kotzen!
Ich hatte mich eingehend beim Straßenverkehrsamt, beim ADAC, bei unserer Versicherung erkundigt. Vermutlich war unser Ansinnen, mit einem VW-Bulli von Deutschland aus durch Amerika fahren zu wollen, noch zu ungewöhnlich gewesen. Klipp und klar sollten wir also die notwendige Vorgehensweise erst dann erfahren, als es zu spät war.
So hatte ich uns einen Versicherungsschutz für die USA und Kanada, wenn auch nur für einen begrenzten Zeitraum aus den bereits erwähnten Kostengründen, beim ADAC ein Carnet de Passages , bei den zuständigen Ämtern einen Internationalen Führerschein (den übrigens niemand sehen wollte), sowie eine Internationale Zulassung besorgt. Uns blieb letzten Endes nichts anderes übrig als unseren VW-Camper wieder in Deutschland versichern zu lassen. Alternativ hätten wir die entwerteten Nummernschilder nach Deutschland zurückschicken können, um dann was? Ohne Nummernschilder durch den amerikanischen Kontinent zu brausen?
Also fuhren wir ohne Versicherung durch Amerika und bezahlten artig die Kfz-Versicherung in Deutschland, die uns hier keinerlei Schutz gewährte. Ist man erst mal in den Fängen der Bürokratie, wird das Leben noch spannender.
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