"Und?", fragte ich.
"Na ja, 'ne Studentin, so 'ne Schlaue, studiert Mathematik und Sport und Musik, oder so was, Mann! Aber sie trifft sich mit drei Freundinnen irgendwo südlich von Tarragona. Hat mir die Adresse gegeben. Können ja mal vorbei schauen, vielleicht nicht uninteressant. Weiber, du weißt schon..."
Natürlich war ich mit diesem Vorschlag einverstanden. Wir jungen Kerle waren mehr als ungebunden. Meine letzte Freundin und große Liebe hatte mir längst den Laufpass gegeben. Ihr Abschiedsbrief hatte mich während unserer langen Liegezeit im Westen Kanadas erreicht. Im Nachhinein betrachtet hatte mir das Schicksal gar nicht so übel mitgespielt, denn zum Schwiegersohn eines Richters in Dortmund hätte ich bestimmt nicht viel getaugt, nee!
Also, ab nach Tarragona! Und dann noch 30 km weiter. Diesmal zünftig per Daumen. Zum Glück hatten Rudi und ich an Bord in der Südamerikafahrt fleißig Spanisch gebüffelt. So konnten wir uns verständlich machen, und erreichten Miami Playa, einen kleinen Badeort, wo sich schon seinerzeit einige Deutsche ein schlichtes Häuschen in die noch einsame, ursprüngliche Küstenlandschaft gebaut hatten. Wir fanden die vier deutschen Mädels, und ein preiswertes Zimmer mit Meerblick im nahen Hotel Miami Playa .
Die vier Studentinnen, die anderen drei studierten an der Werkkunstschule in Bielefeld, wohnten im Haus der Eltern eines der Mädchen. Wir verstanden uns gut, unternahmen Ausflüge und trafen uns täglich am Strand. Ich verliebte mich prompt in die sportliche Mathematikstudentin, die mich zu Höchstleistungen beim Schwimmen verführte. So weit hinaus aufs Meer war ich noch nie - und bin ich seither auch nie wieder geschwommen. Schon irre, wozu einen Verliebtheit anzustacheln vermag!
Eines Abends feierten wir im Haus der Mädels. Aus der Nachbarschaft hatten sie eine Gitarre organisiert - und ich konnte endlich mal wieder Musik machen. Schließlich hatte ich mit einigen Bands in den Clubs der Amerikaner und in deutschen Tanz-Gaststätten rund um Stuttgart und Ludwigsburg mein Geld für die Ausbildung zum Schiffsfunker verdient. So ließ ich das alte Wimmerholz tönen und sang all die schönen Songs jener Zeit, von Elvis, von Harry Belafonte, von Peter, Paul und Mary, Lieder, die ich in Lateinamerika und Kanada gelernt hatte.
Eines der vier Mädchen, Hildrun, setzte sich neben mich. Ich war begeistert, wie schön sie mitsang und genau den Takt der Lieder einhielt oder den Rhythmus klatschte, Caramba! Dass sie auch noch gut aussah, Mann, ich war hin und weg! Aber zunächst schien sie mir etwas unnahbar zu sein. Auch war sie des Öfteren mit einer Clique holländischer Jungs unterwegs. Doch das Schicksal hatte längst seine Medizinmann-Knöchelchen gewürfelt und seine verworrenen Fäden gesponnen: Wir verliebten uns ineinander - und diese Liebe hält bis zum heutigen Tag!
Natürlich war für Rudi und mich der Traum von einer Trampreise um die Welt erst mal zu Ende. Rudi hatte allerdings darauf bestanden, dass wir nach etwa einer Woche weiterziehen sollten. Nach hartnäckigen Diskussionen ließ er sich jedoch überzeugen, vor allem durch die Unterstützung des freundlichen weiblichen Hotelpersonals, dass man dieser jungen Liebe eine Chance gewähren müsse!
"Okay", hatte Rudi gesagt, "dann bleiben wir aber bis Ende September hier!"
Mir sollte es recht sein. Unser Geld, vor allem meines, schmolz sowieso dahin und wir mussten uns einen Job suchen. Orangen pflücken unten in Valencia war im Gespräch. Vorerst ernährten wir uns aber mit spanischen Liedern im nahen Camping-Restaurant. Dessen Wirt hatte zwar eine Gitarre, konnte aber nicht spielen. So unterhielten wir abgemusterten Seeleute die Touristen und wurden mit freiem Essen, vor allem aber mit viel zu vielen freien Drinks entlohnt...
Es war also diese Weichenstellung des Schicksals gewesen, Rudis bequeme Europabusreise, dass ich in Hildrun meine zukünftige Frau, die beste Seemannsfrau und den treuesten weiblichen Reisekameraden gefunden hatte.
Und ich lernte Hildruns Wohnort, Gütersloh, kennen, der mir bislang so fern und unbekannt schien wie Ouagadougou. Deshalb diese etwas weitschweifige Einführung, denn ohne Hildrun hätte es keine elf Monate lange Hochzeitsreise von Kanada bis Panama, keine weiteren, oftmals Monate dauernde Reisen durch die schönsten Landstriche Nordamerikas bis hinunter nach Mittelamerika gegeben.
Es folgten Jahre, 1963 bis 1967, in denen Hildrun erfahren musste, dass das Zusammenleben mit einem Seemann alles andere als einfach ist. Zunächst brachte sie ihr Studium in Bielefeld zu Ende, während ich das mitunter wilde Leben an fernen Küsten zu meistern versuchte. Verliebt, aber für viele Monate getrennt zu sein, ist eine harte Erfahrung. Da gehen viele brave Vorsätze und gutbürgerliche Regeln über Bord. Wer aber all das übersteht, der hat das gefunden, was man vielleicht gemeinhin als Glück bezeichnen mag...
In diese Jahre fiel leider auch der plötzliche und viel zu frühe Tod von Hildruns Vater.
Nach einer abenteuerlichen Ostafrika-Reise auf dem Schlepper Rotesand , hatte ich dann im Januar 1967 abgemustert, um unsere weiteren gemeinsamen Lebenswege zu planen und vorzubereiten. Wir hatten ernsthaft vor, eine längere Reise mit einem VW-Bus durch den amerikanischen Kontinent zu machen. Wer übrigens meine und unsere gemeinsamen Seefahrtsjahre nachvollziehen möchte: es gibt bei www.neobooks.com drei E-books über diese Zeit unter dem Titel 'Seefahrt - Abenteuer oder Beruf?', oder gleich die Printausgaben als Taschenbücher, die man überall dort bestellen kann, wo man Bücher bekommt.
Im März 1967 heirateten wir.
Zunächst standesamtlich, damit wir unsere persönlichen Reisepapiere rechtzeitig in Ordnung bringen konnten. Hildrun verlor ja ihren sogenannten Mädchennamen. Und ich war eigentlich arbeitslos. Ich hatte am 4. Januar 1967 nach rund 5 Monaten Fahrtzeit von meinem letzten Schiff, dem besagten Schlepper Rotesand , abgemustert und bekam noch bis zum 9. Januar Urlaub angerechnet. Tja, das waren noch sparsame Zeiten auf dieser Seite des Sozialsystems! Also musste ich mich rasch freiwillig krankenversichern lassen und irgendeinen Übergangsjob an Land finden. Es waren leider magere Zeiten für sogenannte Studentenjobs, die Bundesrepublik hatte eine Million Arbeitslose. Davon träumen wir allerdings heute, nicht wahr?
Wir benötigten Zeit für unsere Vorbereitungen. Zunächst musste ich den Führerschein machen. Den gab's damals noch nicht zum 18. Geburtstag von Papi geschenkt, außerdem war mein Vater noch 1945 in diesem Irrsinn von Weltkrieg geblieben...
Während meiner Seefahrtzeit hatte ich fleißig gespart, und Hildrun arbeitete seit dem Frühjahr 1965 als Grafik-Designerin in einer Werbeagentur in Bielefeld. Um unsere Ersparnisse für die Amerikareise zu schonen, nahm ich den Job eines Zeitungsverteilers an. Kein Führerschein, kein Auto, also per Fahrrad. Und dann noch das Westfalen-Blatt , dessen weit verstreute Kunden meist weit draußen in den Bauernschaften rund um Gütersloh wohnten. Zum Glück gelang mir die Führerscheinprüfung nach wenigen Fahrstunden, was unserem Budget gut tat. Am 1. April 1967 bekam ich den Lappen. Das war der beste Aprilscherz meines Lebens!
Zwei Wochen später kauften wir einen schlichten gebrauchten VW-Campingbus. Das Fahrzeug war wirklich spartanisch. Baujahr 1960, 34 PS, keine Isolierung, also das blanke Blechgehäuse, innen weiß, außen rot mit weißem Dach. Der VW-Bulli hatte einen Austauschmotor mit 4.000 km Fahrleistung und kostete 3.000,- DM. Die Innenausstattung bestand aus zwei Bänken mit Stauraum. Eine in Längsrichtung und eine quer. Ein großer Tisch wurde an der Rückseite der durchgehenden Fahrkabinenbank - es gab keine Einzelsitze - eingehakt. Abends wurde diese Tischplatte zwischen die Bänke eingepasst, die Sitz- und Rückenkissen entsprechend verteilt, und fertig war das Bett, welches fast den gesamten hinteren Raum des Bullis ausfüllte.
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