So kam es, dass mich Kanada von Anfang an - ich fuhr ja gerade erst seit einigen Monaten zur See - in seinen Bann gezogen und bis heute nicht mehr losgelassen hatte. Diese abgeschiedenen Verladeplätze, wie beispielsweise Tahsis, wo man nur übers Wasser oder per Wasserflugzeug hin gelangte, waren für uns junges Seemannsvolk Abenteuer pur. Die umwerfende Kulisse der kanadischen Pazifikküste, die Weite, die Stille der Regenwälder, richtiger Urwälder voll gigantischer Bäume! Keinem von uns - und kaum jemandem sonst - kam damals die Idee, dass da bereits ein heftiger Raubbau an den Ressourcen eines großartigen Landes stattfand. Natur gab es angeblich in schier unermesslichem Überfluss! Heute hat der Ort rund 560 Einwohner und ist über eine ziemlich abenteuerliche Schotterpiste erreichbar. Wen es interessiert: hier ein Internet-link, der über die grandiose Landschaft in diesem Teil Vancouver Islands informiert: www.tahsisbc.com
1962 lebten in Kanada etwa 18 bis 19 Millionen Menschen. Auf einer Fläche so groß wie Europa, von Portugal bis zum Ural! Das waren knapp 2 Menschen pro Quadratkilometer. Mann, alleine diese Zahl war doch schon eine Art Nervenkitzel in sich! Das war Einsamkeit, wilde Natur, Auf-sich-gestellt-Sein! Herausforderung an uns Kerle! Ja, ja, Karl May und Lederstrumpf lassen grüßen...
Heute liegt das alles über 50 Jahre zurück. Und? Was ist aus dem Blockhaus geworden? - Nun, zu einem echten Blockhaus hat es nicht ganz gereicht. Die Preise für Grundstück und Baumaterial sowie der steigende Dollarkurs brachten mich zurück auf den Boden der Tatsachen. Aber es reichte für ein uriges Holzhaus, das aussieht wie ein Blockhaus und dessen Behaglichkeit uns - meiner Frau, unserer Tochter und mir - seit über drei Jahrzehnten jeden Sommer zur zweiten Heimat geworden ist. Seit ein paar Jahren gehören auch unser Schwiegersohn und zwei quirlige Enkelinnen zur Stammbesatzung . Das Cottage liegt allerdings am ganz anderen Ende von Kanada, und zwar rund 4.500 km östlich von Vancouver Island an der Atlantikküste von Nova Scotia.
Wie es dazu kam, dass wir uns eine Sommer-Hütte im Osten Kanadas bauten, und wie das alles bis heute funktioniert, ist eine lange Geschichte für sich. Sie lohnt, erzählt zu werden. Also werde ich mich hoffentlich bald daran machen, ein kanadisches Hüttentagebuch ins Reine zu schreiben. Nach Möglichkeit auch mit Tipps und Tricks für interessierte Häuslebauer. Mit allerlei Geheimtipps und Informationen über den malerischen Osten Kanadas. Und über die benachbarten USA, natürlich, denn landschaftliche Schönheit macht nicht vor Ländergrenzen halt
Zwei abenteuerlustige Kameraden und ich hatten an Bord des Frachtschiffes Geert Howaldt ausgemacht, dass wir uns ein altes Segelboot in Schweden kaufen, es wieder in Schuss bringen und schließlich um die Welt segeln würden. Als der Zweite Offizier - einer von uns dreien - einen Navigationskurs für diejenigen Matrosen gab, die sich zum nautischen Offizier ausbilden lassen wollten, war ich als Außenseiter einer der eifrigsten Kursbesucher in der Offiziersmesse. Natürlich blieb sie ein Traum, unsere Weltumsegelung. Hat man erst mal abgemustert und sich in alle Winde zerstreut, dann verliert man als Seemann in aller Regel rasch seine Kameraden, selbst gute Freunde, aus den Augen und trifft sich vielleicht irgendwann mal irgendwo auf der Welt rein zufällig wieder.
Also gut, wenn schon keine Weltumsegelung, dann könnte man ja um die Welt trampen. Über Land per Daumen - und über See als sogenannter Überarbeiter, also als billige Arbeitskraft an Bord irgendeines Rattendampfers. Hauptsache er brachte einen von A nach B über die Weltmeere! Mit Rudi, dem Bootsmann, hatte ich verabredet, nach unserer Abmusterung diesen Traum zu verwirklichen.
Der Anfang klappte ganz gut. Ich jedenfalls nahm es noch sehr ernst mit unserer Verabredung und hob vom Großraum Stuttgart kommend artig den Daumen, bis ich endlich, nach vielen Tagen und einem mit dem Notwendigsten gefüllten Seesack, das Ziel unserer ersten Etappe erreichte: Barcelona, Spanien. Rudi wollte vom nordrhein-westfälischen Großraum Dortmund aus das Gleiche tun. In Barcelona also wollten wir uns treffen, um als nächstes gemeinsames Ziel erst mal die Karibik anzupeilen. Von Spanien oder Portugal oder Nordafrika aus würden wir bestimmt ein Schiff finden, das uns rüber brächte in die westindische Inselwelt...
Kommunikation auf Reisen war seinerzeit, 1963, noch eine schwerfällige Angelegenheit. Ein Telefonanschluss zählte noch lange nicht zum Alltagsstandard eines jeden Haushaltes. Über mobile Telefone für jedermann brauchen wir hier gar nicht erst anfangen zu spekulieren. Zwei Typen, die irgendwo unterwegs waren, konnten sich vielleicht bei ausgeklügelter Strategie von zwei im Voraus ausgemachten Standpunkten aus zu einem bestimmten Zeitpunkt telefonisch verabreden. Das war allerdings viel zu kompliziert und teuer. Ferngespräche kosteten eine tüchtige Stange Geld, die man in Form von Münzen auch reichlich zur Hand haben musste in den öffentlichen Groschengräbern, sprich Telefonzellen. Was blieb, war der Postweg. Ein Brief - postlagernd - poste restante . Auf allen großen Postämtern bestand die Möglichkeit, einen Brief an eine Person XYZ postlagernd aufzugeben. Diese Person, XYZ, konnte dann den Brief abholen, wenn sie sich entsprechend ausgewiesen hatte.
In Barcelona hatte ich bereits ein preiswertes Zimmer gefunden und schrieb einen kurzen Brief an Rudi mit der genauen Anschrift und der Bitte, sich eventuell auch postlagernd zu melden. Ich hatte gerade eben den Brief, ordentlich frankiert, aufgegeben und stieg die Treppen vom Postamt hinab, als mir ein fröhlicher Rudi federnden Schrittes entgegenkam. "Hallo! Mensch, prima! Dann brauch ich ja gar nicht mehr nach deinem Brief nachfragen!"
"Nee, nee, so nicht! Du holst den Brief schön ab, schließlich habe ich mir damit auch Mühe gemacht und Porto bezahlt!"
Das war unsere fröhliche Begrüßung. Und dann gestand mir Rudi, dass er nicht per Anhalter, sondern mit dem Europabus von Dortmund in zwei Tagesetappen bis Barcelona gefahren sei! Dieser bequeme Drückeberger! Wo blieb da der Abenteuergeist?
Nun war Rudi zwei oder drei Jahre älter als ich und für mich 23-Jährigen schon fast eine Respektsperson. Zumal er mit mehreren Jahren Seefahrtzeit schon eine eher erfahrene Teerjacke war. In der paramilitärischen Bordhierarchie der Handelsmarine stand er allerdings als Bootsmann im Unteroffizierrang unter mir. Ich war auf der Geert Howaldt zwar der Jüngste und ein totales Greenhorn, stand aber als Funkoffizier etwa im gleichen Rang wie ein Zweiter Offizier. Was für ein verzwacktes System, nicht wahr? Vor allem damals schworen Traditionalisten noch eisern darauf. Für einen Individualisten - für den ich mich hielt -, mit aufmüpfigen Idealen und nonkonformistischen Gelüsten, war das manchmal ein schlüpfriges Terrain. Aber ich kam immer irgendwie zurecht auf dieser Leiter überlieferter Hierarchie! Also respektierte ich Grünschnabel den älteren Rudi als den Erfahreneren. Ich akzeptierte ihn in unserem Zwei-Mann-Rudel als Leitwolf.
Bald sollten Zeiten kommen, da würde ich sämtlichen göttlichen Mächten danken, dass Rudi, die bequeme Socke, den Europabus genommen hatte!
Wir stürzten uns zunächst ins Nachtleben von Barcelona, das sich in den Nebenstraßen und Gassen bei der Prachtpromenade La Rambla abspielte. Zum Glück wohnten wir auch gleich dort, hoch oben in einer preiswerten Absteige.
"Ich habe übrigens eine ganz interessante Frau kennen gelernt im Europabus", erzählte Rudi als wir in einer Pinte Vino süffelten, der uns von einer glutäugigen Kubanerin serviert wurde, die Rudi gleich heftig anbaggerte.
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