Prinz Wohlgemut seufzte tief. Wenn man verliebt ist, ist es nicht so leicht, auf den nächsten Tag zu warten. Und wenn man noch dazu ein Prinz ist, ist man es auch gar nicht gewöhnt, auf den nächsten Tag zu warten, egal, ob es um die Liebe geht oder um Apfelkuchen.
Aber Prinz Wohlgemut sah ein, dass ihm nichts anderes übrig blieb, und ging.
Namik lehnte sich zurück.
Das ist noch einmal gutgegangen, dachte er. „Wenn jetzt nur nicht noch jemand kommt!“
Doch natürlich kam doch jemand.
Schon im nächsten Augenblick hörte Namik Hufgeklapper, und Prinzessin Rambazamba kam auf ihrem weißen Pferd um die Ecke galoppiert. Sie bremste in einer Staubwolke.
„Gut, dass du da bist!“, rief sie und schwang sich aus dem Sattel. „Ich brauche eine Geschichte!“
Das Pferd tänzelte nervös hin und her. Die Katze fauchte, der Hund knurrte. Nur der Vogel im Apfelbaum zwitscherte munter weiter.
„Aha“, sagte Namik langsam, um möglichst viel Zeit zu gewinnen. „Was für eine Geschichte soll es denn sein?“
„Die Geschichte einer starken Prinzessin!“, rief Prinzessin Rambazamba. „Die Geschichte einer Prinzessin, die ein ganzes Königreich allein regiert. Oder lieber gleich zwei! Ohne König, ohne Prinz. Diese Geschichte möchte ich meinem Vater erzählen, damit er endlich aufhört, einen Mann für mich zu suchen!“
„Das kann ich verstehen“, sagte Namik. „Lass mich nachdenken.“
Doch sosehr er auch nachdachte, es fiel ihm keine Geschichte ein. Keine Prinzessinnengeschichte, keine Königsgeschichte, überhaupt keine Geschichte. Nur der kleine, lästige Gedanke turnte durch seinen Kopf und jammerte: „Jetzt fällt dir schon wieder nichts ein! Wie peinlich!“
Namik schüttelte den Kopf, um den dummen Gedanken zu verscheuchen.
„Es tut mir leid“, sagte er zu Prinzessin Rambazamba. „Du musst morgen wiederkommen. Mir fällt gerade keine passende Geschichte ein.“
Prinzessin Rambazamba verzog das Gesicht.
„Dann nehme ich eben eine andere!“, rief sie. „Eine von einer starken Prinzessin, die auszieht, um einen Drachen zu besiegen! Oder von einer Prinzessin, die drei Riesen gleichzeitig überlistet! Oder von einer, die wenigstens ein Einhorn fängt!“
Namik zuckte mit den Schultern. „Im Augenblick fällt mir leider gar nichts ein“, sagte er. „Ich weiß auch nicht, warum.“
Prinzessin Rambazamba seufzte. Aber dann sah auch sie ein, dass ihr nichts anderes übrig blieb, als auf den nächsten Tag zu warten, und so schwang sie sich auf ihr Pferd und galoppierte davon. Zurück blieb nur eine Staubwolke.
Namik nieste, der Hund und die Katze schüttelten sich den Staub aus dem Fell.
Hoffentlich ist jetzt endlich Schluss, dachte Namik.
Doch das war es natürlich nicht. Im Gegenteil.
Namik hatte sich noch nicht einmal den Staub von den Kleidern gebürstet, den Prinzessin Rambazambas Pferd aufgewirbelt hatte, da hörte er ein Schnauben, und die Kutsche des Königs bog um die Ecke.
Der Kutscher zog die Zügel an, die Pferde blieben stehen, der König sprang heraus. Seine Krone war verrutscht, sein silbernes Haar stand in alle Richtungen.
„Namik“, rief der König. „Ich brauche eine Geschichte!“
Schnaufend ließ er sich neben Namik auf die Bank fallen.
„Eure Majestät“, sagte Namik und setzte sich aufrecht hin, weil er es vor lauter Schreck versäumt hatte, rechtzeitig aufzustehen. „Was für eine Geschichte soll es denn sein?“
Er hätte es gern ein bisschen langsamer gesagt, um Zeit zu gewinnen, aber in der Aufregung hatte er darauf natürlich vergessen.
„Ich brauche eine Geschichte“, schnaufte der König, „die meine Tochter davon überzeugt, dass sie endlich heiraten muss. Und zwar nicht den dämlichen Prinzen Wohlgemut, der die ganze Zeit um sie herumscharwenzelt, sondern einen ordentlichen Prinzen mit großem Reich und Gold und Geld!“
„Hm“, sagte Namik etwas kläglich. „Darüber denke ich gerne nach.“
„Aber rasch bitte“, sagte der König. „Es eilt. In einer halben Stunde gibt es Mittagessen.“
Namik schloss die Augen und dachte nach. Natürlich fiel ihm auch dieses Mal keine Geschichte ein. Überhaupt keine. Nur der lästige Gedanke boxte von innen gegen seinen Kopf und schrie: „Wie willst du das dem König erklären, du jämmerlicher Kerl, hä?“
„Eure Majestät“, sagte Namik schließlich. „Ich fürchte, ich kann heute nicht mit einer Geschichte dienen. Anscheinend ist es ein schlechter Tag für Geschichten. Darf ich Eure Majestät untertänig bitten, auf morgen zu warten?“
Der König runzelte die Stirn. Warten gefiel ihm ganz und gar nicht. Erstens weil er keine Lust dazu hatte und zweitens weil so ein Vorschlag schon ziemlich nach Ungehorsam klang. Ungehorsam konnte ein König aber auf gar keinen Fall dulden! Kurz überlegte der König also, Namik sofort in den königlichen Kerker werfen zu lassen. Schließlich konnte es ja sein, dass ihm zwischen den Kerkerratten schneller die richtige Geschichte einfiel. Aber andererseits wusste man das bei solchen Künstlern nie. Es war genauso möglich, dass Namik vor lauter Schreck gar nichts mehr einfiel. Das wollte der König aber auf gar keinen Fall riskieren, weil er nämlich im Augenblick nur diesen einen Geschichtenerzähler in seinem ganzen, riesigen Reich hatte.
„Dann eben morgen“, brummte er. „Ich erwarte dich morgen Abend im königlichen Thronsaal. Pünktlich um acht.“
Der König stand ächzend auf und kletterte in seine Kutsche. Der Kutscher ließ die Peitsche knallen, die Pferde setzten sich in Bewegung, und die Kutsche verschwand um die Ecke.
Oje, dachte Namik. „Da habe ich ja ein schönes Schlamassel.“
Und das hatte er wirklich.
„Ich fürchte, ich muss mir einen anderen Beruf suchen“, sagte Namik beim Frühstück zu seinem Hund. „Mit den Geschichten ist es anscheinend vorbei.“
Der Hund öffnete ein Auge und stellte ein Ohr auf.
„Was willst du denn machen?“, brummte er. „Du kannst doch nichts anderes.“
„Das glaubst du vielleicht“, sagte Namik und löffelte sein Ei leer. „Aber ich kann eine ganze Menge. Apfelkuchen backen zum Beispiel.“
Der Hund gähnte.
„Dein Apfelkuchen ist aber nicht so besonders“, sagte er. „Der letzte war völlig verbrannt. Und bei dem davor hast du den Zucker vergessen. Und vor dem ohne Zucker hast du …“
„Ja, ja“, sagte Namik. „Ist schon gut. Es muss ja nicht der Apfelkuchen sein. Ich kann auch noch andere Sachen. Zum Beispiel pfeifen.“
„Pfeifen?“, fragte der Hund. „Wozu soll das gut sein?“
„Es klingt schön“, sagte Namik. „Und es macht Spaß.“
„Vom Spaß kann man aber nicht leben“, sagte der Hund.
Namik runzelte die Stirn und dachte nach.
„Ich kann eine Kette aus Büroklammern basteln“, sagte er. „Jedenfalls wenn ich genug Büroklammern habe.“
„Und?“, fragte der Hund. „Hast du genug?“
Da musste Namik leider den Kopf schütteln. Büroklammern waren selten im königlichen Reich.
„Ich bin sehr gut im Spucken von Kirschkernen“, sagte er schließlich. „Vom Fenster aus spucke ich fast bis zur Straße.“
„Das kann jedes Kind“, sagte der Hund.
Namik verdrehte die Augen. „Ich kann quaken wie ein Frosch. Oder Fliegen fangen. Und ich kann mit den Ohren wackeln.“
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