Ja, alles ist okay.
Die Jugoslawin teilt Tina und mich ein, das frische Gemüse aus dem Lager zu holen und ich lerne die Funktion eines Rollcontainers kennen, mit dem man gleich eine ganze Menge Kisten transportieren kann, ohne sich abschleppen zu müssen.
„Kluge Mädels“, meint die Jugoslawin anerkennend und zeigt uns, dass Gemüse nicht Gemüse ist und Salat ist nicht Salat und Gurken sind nicht Gurken und der Haifisch der hat Zähne und die trägt er im Gesicht, aber die Jugoslawin hat ein Messer und das Messer sieht man nicht .
Ich kann nicht mehr. Ich muss lachen, soviel lachen und keiner hat etwas dagegen, dass es auch mal lustig ist.
Ich glaube, hier bin ich richtig, absolut richtig, ich werde nicht gleich wieder alles hinschmeißen und so wie die anderen Loser ewig beim Arbeitsamt hocken und auf eine neue Lehrstelle warten, die ich dann erst nicht bekomme, weil jetzt keine nette Frau Magister Meyer mehr hinter mir steht, die schaut, dass etwas aus mir wird und weil ich mir wieder einmal alles selbst verdanken kann.
Nein, ich bleibe ganz bestimmt hier und werde mich nicht aus meinem neuen Spinnennest verscheuchen lassen.
Nach Dienstschluss gehe ich mit Seppi und Ali ins Lehrlingsheim zurück.
„Du musst dir unbedingt ein Fahrrad checken, dann kommst du überall hin und dein Revier wird größer, als wenn du zu Fuß rumtockern musst“, sagen die beiden.
Hm? Stimmt. Wieso hat mir das keiner früher gesagt, dass du auf einem Fahrrad schneller bist? Und wenn ich erst einmal ein Moped habe, dann geht es noch ein Stück weiter, aber bis es soweit ist, muss ich mindestens im dritten Lehrjahr sein.
„Cool bleiben, Baby. Spar lieber die Piepen für die Wohnung für die Zeit danach.“
„Was für eine Zeit danach?“
„Wenn du ausgelernt bist musst du aus dem Lehrlingsheim hinaus und selber schauen wo du bleibst, daher sei schlau, die eigene Wohnung ist besser als ein Moped. Alles klar?“
„Und was ist mit dem Fahrrad? Das kostet auch etwas?“
„Aber wo. Das Fahrrad borgen sie dir kostenlos im Lehrlingsheim, die meisten sind nur zu bequem um sich aufs Fahrrad zu schwingen, aber so ein faules Aas bist du ja nicht. Du bist ja gerade erst Schulmeisterin im Sport geworden.“
Woher die beiden das wieder wissen?
Keine Ahnung, aber ich freue mich, dass jemand weiß, dass ich eine gute Sportlerin bin.
Was für ein schöner erster Tag in meinem neuen Leben! Wann habe ich zum letzten Mal einen schönen Tag gehabt?
Fünfzig Mädchen und Fünfzig Jungs wohnen im Lehrlingsheim, aber nicht alle kommen direkt aus der Kinder-WG hier her, es gibt auch gar nicht so wenige, die zu Hause eine Familie haben, die wirklich eine Familie und ein zu Hause haben und nicht so eine sind wie ich, die nur herumstreunt und von einer Wohlfahrtseinrichtung zur anderen weitergereicht wird.
Aber ich kann es gar nicht glauben, viele sind dort einfach ausgezogen, weil sie es mit ihrer Familie und ihrem zu Hause nicht mehr ausgehalten haben und weil sie es vorziehen im Heim zu wohnen, weil es dort angeblich besser ist.
Hey, in welcher Welt lebt ihr denn, ihr Arschlöcher?! Ich würde wer weiß was geben, wenn ich eine Familie hätte und sei sie noch so klein!
Aber Probleme gibt es dort scheinbar auch.
Was für Probleme?
Mit dem Vater.
Mit der Mutter.
Mit den Geschwistern.
Mit was weiß ich noch mit wem.
Die meisten hatten Stunk zu Hause, weil sie in der Schule nicht mitgekommen sind, weil sie es nicht geschafft haben, weil sie zu faul gewesen sind, weil sie ihre Eltern enttäuscht haben, weil sie geschwänzt haben, weil sie einfach nur Idioten sind, weil man sie abgeschrieben hat und deshalb müssen sie jetzt hakeln und sind nur noch die Hälfte wert, als die, die in der Schule gut sind, die in die Oberstufe des Gymnasiums versetzt wurden und jetzt weiter zu Hause wohnen dürfen und als Papi und Mamis Liebling alle um den Finger wickeln, die Geld haben.
Ich hör wohl schlecht. Geht es hier nur ums Geld? Die armen Irren müssten mal eine Woche ohne Piepen zu Recht kommen, die drehen gleich durch und rauben eine Bank aus, weil sie sich nichts organisieren können.
Ich versteh die Welt echt nicht mehr.
Zum Glück fordern mich Seppi und Ali zu einer Runde Tischfußball gemeinsam mit der Jasmin heraus, die in einem Friseursalon arbeitet und im zweiten Lehrjahr ist.
Los geht’s. Natürlich verschenken wir Mädels keinen Torschuss.
6. Die Arbeiterklasse geht ins Paradies
Ich kann es kaum glauben, nach nur einer Woche in der Lehre habe ich schon eine ganze Menge neue Freundschaften geschlossen und nicht nur das, wir sind alle irgendwie gleich, für die im Gymnasium sind wir alle nur doof, aber hier sind wir es nicht, hier sind wir junge Arbeiter und das ist ein Unterschied, denn unter uns gibt es noch Arbeitslose, Unterstandslose, Sozialhilfeempfänger, Sandler, arbeitslose Obdachlose, obdachlose Arbeitslose, es geht also die soziale Leiter ganz schön weit nach unten, wenn man nicht aufpasst und seinen Arsch nicht hochbekommt, aber, zum Glück bin ich nicht so eine.
Von wem ich das alles weiß? Von meinem Chef natürlich, der hat mich dem Betriebsrat vorgestellt und der hat mir von der Gewerkschaft erzählt, der auch Seppi und Ali und Jasmin und Tina und auch die Jugoslawin angehören. Warum sollte ich also nicht zur Gewerkschaft gehen?
Aber auch ein Kunde hat mich ermutigt zur Gewerkschaft zu gehen. Erstaunlicher Weise ist es der Filmfreak, der ja eigentlich Unternehmer ist, weil er irgendwie einen guten Job hat und es sich leisten kann den Filmclub in der Stadt zu betreiben, der in Wahrheit schon ganz schön groß ist und zwei Säle hat. Der Filmfreak hat mit der Jugoslawin gesprochen und ihr gesagt, dass ich ihm unlängst einen guten Obsttipp gegeben habe, was mein Ansehen steigen lässt, aber er hat die Schlüsse von den roten Tomaten irgendwie politisch gezogen und gemeint, dass es zu wenige Rote gibt, und dass es nicht schaden kann, sich auch bereits als Jugendliche für seine Rechte zu interessieren.
Hm?
Ich habe Rechte? Das habe ich überhaupt noch nie gehört!
Die Jugoslawin ist ganz der Meinung des Filmfreaks. „Da habt ihr es gehört, Mädels, von einem der es wissen muss. Geht zur Gewerkschaft und wenn ihr schon mal dort seid, gleich zur Jugendorganisation, im Arbeitsleben heißt es die Ohren steifhalten.“
Da ist vielleicht was dran? Jedenfalls gibt der Filmfreak Tina und mir je eine Freikarte für das Kino am Wochenende kombiniert mit der Aufmunterung es doch demnächst mit der Gewerkschaft zu versuchen.
Schon wieder etwas neues, die Neuigkeiten erschlagen mich, was ist nur aus meinem alten Leben geworden?
Seit über einer Woche habe ich nicht mehr an die Kinder-WG gedacht, dabei habe ich mich dort echt gut gefühlt.
Ich fahre mit Seppi und Ali nach Hause, natürlich habe ich mir gleich ein Fahrrad im Lehrlingsheim besorgt, was total einfach war, weil, wie vorhergesagt, kaum ein Lehrling sich aufs Fahrrad schwingt.
„Und wieso seid ihr bei der Gewerkschaft?“ frage ich die beiden.
„Es ist wichtig, dass uns jemand bei den Geschäftsleuten vertritt.“
„Wieso? Der Geschäftsführer ist doch total nett.“
„Der ist nur ein kleiner Fisch.“
„Es geht um die ganz großen Haie in der Zentrale, die um jeden Pfennig fuchsen.“
„Da brauchst du wen, der die Power hat, mit diesen Leuten Klartext zu reden, dass du auch was am Ende des Monats bekommst, wenn du eh schon schwach bei Kasse bist.“
Es geht also wieder ums Geld, es hätte mich schon fast gewundert wenn nicht.
Na gut, was soll’s, dann gehe ich eben auch zur Gewerkschaft, weil alle im Supermarkt dort sind und keiner was dagegen hat, dass auch ein kleines Kücken wie ich dort ist.
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