Ich war froh, die Tür hinter mir schließen und mich auf die Zubereitung des Mittagessens konzentrieren zu dürfen. Was immer auch geredet wurde, es sollte jedenfalls nicht heißen, meine Kinder bekämen nicht satt zu essen. Und damit auch niemand sagen konnte, ich würde mich nicht um den Haushalt kümmern, putzte ich die Fenster und erledigte die Gartenarbeit, die neulich liegen geblieben war.
Zweimal an diesem Tag fuhr die Frau, die vor Tagen das Grübeln bei mir in Gang gesetzt hatte, mit dem Fahrrad an mir vorbei. Während ich noch beim ersten Mal inständig hoffte, sie möge mich nicht in ein Gespräch verwickeln, störte es mich beim zweiten Mal, dass sie mich so gar nicht zu sehen schien. Das kurze Grüßen konnte man ja wohl kaum als solches gelten lassen. Frechheit, mich so zu ignorieren! Hatte ich ihr irgendwas getan, dass sie nicht mehr mit mir reden wollte? Verbissen arbeitete ich weiter.
„Na, wie geht’s?“
Unvermutet hatte mich jemand angesprochen. Es war eine Nachbarin, mit der ich sonst nicht viel zu tun hatte. Ich hatte nicht bemerkt, dass sie auf mich zugekommen war, so vertieft war ich in meine Gedanken und meine Arbeit gewesen.
Ich versicherte ihr eilig, mir und meiner Familie gehe es prima, wirklich prima, und wir könnten ganz bestimmt nicht klagen, und alles sei in bester Ordnung, und auch mit den Kindern sei alles im Lot, was Schule, Freizeit und Freunde anbelange. Allerdings hatte ich den Eindruck, dass sie meine Aussage in Zweifel zog. Vielleicht lag das daran, dass meine Stimme auch für meine Begriffe ein wenig schrill geklungen hatte.
Nachdenklich sah sie mich an. Sie sagte nichts, und ich betonte noch einmal zur Sicherheit, dass meine Kinder bisher nicht einmal heimlich geraucht hatten.
„Aber das heimliche Rauchen kriegt man doch gar nicht mit“, widersprach sie mir. „Sonst wäre es doch nicht heimlich.“
„Doch, doch, ich krieg so was mit!“, beteuerte ich. „Das riecht man doch an den Klamotten.“
„Also haben sie schon mal geraucht, und jetzt nicht mehr?“
„Wie meinst du das?“
„Na, früher haben die Klamotten nach Rauch gerochen, und jetzt riechen sie nicht mehr, oder wie?“
„Nein, die haben noch nie gerochen!“
Wieder schwieg meine Nachbarin und sah mich an. Ich fühlte mich von ihrem Blick regelrecht durchbohrt.
„Ich habe meinen Kindern versprochen, ihnen den Führerschein zu bezahlen, wenn sie bis zum achtzehnten Lebensjahr nicht rauchen“, erklärte sie. „Ich habe mal in einem Vortrag gehört, dass Kinder, wenn sie gelernt haben, zu Zigaretten „Nein“ zu sagen, auch einen guten Schutz gegen Drogen und so weiter haben.“
Aha!, dachte ich. Bestechung!
„Ja, das ist ein bisschen wie Bestechung“, fuhr sie fort, „aber mir ist das egal. Bisher hat es funktioniert.“
Bei uns funktioniert das auch ohne Bestechung, dachte ich.
„Schön, wenn man sicher sein kann, dass es auch ohne funktioniert, aber da bin ich mir bei meinen Kindern nicht ganz sicher.“ Sie lächelte mich an. „Meine sind ja auch schon ein paar Jahre weiter als deine. Aber ich finde, es ist besser, mit den Kindern offen darüber zu reden, als sie heimlich zu kontrollieren.“
Alles, was ich jetzt sage, ist sowieso verkehrt, dachte ich. Also schwieg ich, und ich konzentrierte mich darauf, meine Nachbarin so penetrant anzusehen, wie sie soeben mich angesehen hatte. Ich hatte ihre Nasenwurzel im Visier, damit ich nicht in ihre Augen starren musste. Es wirkte. Nach fünfzehn Sekunden blickte sie endlich zur Seite. Viel länger hätte ich es auch nicht ausgehalten, das muss ich zugeben.
„Wolltest du was Bestimmtes?“, fragte ich dann so freundlich wie möglich.
„Ach nein, ich wollte nur mal wissen, wie es dir so geht.“
Ich schwieg weiter. Freiwillig würde ich nichts mehr sagen.
„Na ja, du wirkst in letzter Zeit so – angespannt. Man sieht dich kaum noch“, fuhr sie in versöhnlichem Ton fort. „Bist immer in Eile.“
Ist ja auch kein Wunder, dachte ich.
Ich hatte jetzt genau zwei Möglichkeiten. Entweder ich sagte die Wahrheit, nämlich dass bei uns alles in bester Ordnung sei – denn das war es ja auch, ganz unabhängig davon, was vielleicht im Ort erzählt wurde. Die Nachbarin würde mir allerdings kein Wort glauben. Oder ich log und gab zu, ich sei etwas angespannt gewesen in letzter Zeit. Eine kleine Erkältung vielleicht, mehrere Nächte nicht richtig geschlafen, das müsste doch als Erklärung ausreichen, überlegte ich. Ich entschied mich für die Lüge.
In mein Leben kehrte Entspannung ein. Ich traute mich wieder auf die Straße, und das Einkaufen machte auch wieder Spaß, selbst das Reden mit den Leuten, auch wenn ich in Eile war.
Ein paar Wochen später stand ich in einer langen Schlange von Leuten, die ihr Leergut am Automaten im Getränkemarkt abgeben wollten.
„Dieser Meyer, du weißt schon, der hat sich was geleistet!“, sagte ein Mann vor mir zu der Frau, die vor ihm stand.
Sie hatte sich zu ihm umgedreht und neigte ihm ihr Gesicht vertraulich zu. „Meinst du den Meyer?“, fragte sie.
Den Mann und die Frau kannte ich nur vom Sehen, aber ich kannte zwei Personen im Ort mit Namen Meyer. Wen meinten die beiden wohl? Meine Aufmerksamkeit war geweckt.
„Ja, genau den. Also, was man da hört!“
Die Frau schien noch nichts gehört zu haben, denn sie fragte: „Ja?!“
„Den Führerschein ist er ja los“, erklärte der Mann.
„Ach! Wieso denn das?“
Ja, das frage ich mich aber auch, dachte ich.
„Ich hab gehört, er ist in eine Kontrolle geraten. Na ja, den Rest kannst du dir denken!“
„Meinst du, er hat wieder – ?“
„Kann sein. Aber ich hab nichts gesagt, das hast du nicht von mir!“
Welchen Meyer meinen die wohl, überlegte ich. Das kann doch nur der sein, der in der Großen Straße wohnt. Oder der andere, der aus dem Schützenverein? Von beiden war mir schon einiges zu Ohren gekommen. Der Führerschein weg! Also das konnte nur der Meyer aus der Großen Straße sein. Da war vor ein paar Jahren schon mal was gewesen, Alkohol oder zu schnell gefahren oder so was. An die Geschwindigkeitsbegrenzung hielt der sich nicht immer. Ziemlich rücksichtslos fuhr der, das hatte ich selbst schon gesehen.
Dieser Meyer, dachte ich. Typisch, das musste ja so kommen!
Конец ознакомительного фрагмента.
Текст предоставлен ООО «ЛитРес».
Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.
Безопасно оплатить книгу можно банковской картой Visa, MasterCard, Maestro, со счета мобильного телефона, с платежного терминала, в салоне МТС или Связной, через PayPal, WebMoney, Яндекс.Деньги, QIWI Кошелек, бонусными картами или другим удобным Вам способом.